Beide Weltkriegs-Bomben entschärft – Weite Teile der Dortmunder Innenstadt waren evakuiert

Seit Tagen und Wochen herrschte quasi Daueralarm, zumindest in stetig anwachsenden Vorstufen: Dortmund hatte sich gründlich auf die „Mega-Evakuierung“ (so das handelsübliche Steigerungs-Wort) an diesem Sonntag, 12. Januar, vorbereitet – im Großen und Ganzen und bis in alle vorhersehbaren Einzelheiten. Früher hätte man dafür das Wort „generalstabsmäßig“ verwendet, heute meidet man derlei martialische Ausdrücke lieber. Doch tatsächlich geht es ja immer noch um Kriegsfolgen.

Betroffenes Gebiet: Blick von der Kinderklinik zur Zentrale des Klinikums. (Foto von April 2015: Bernd Berke)

Betroffenes Gebiet, zu einer anderen Zeit: Blick von der Kinderklinik zur Zentrale des Klinikums. (Aufnahme von April 2015). (Foto: Bernd Berke)

Über 13.000 Menschen waren direkt betroffen

Vier etwaige Blindgänger-Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg waren in der Innenstadt geortet worden, bei jedem einzelnen der (bis Sonntagmittag noch unbekannten) Objekte hätte es sich theoretisch um eine 500-Kilo-Bombe handeln können, also wurde sicherheitshalber jeweils ein Evakuierungs-Radius von 500 Metern gezogen. Zwischenzeitlich wurden am Sonntag zwei gefährliche Funde bestätigt: Die erste Bombe wurde heute gegen 15.30 Uhr an der Luisenstraße entschärft, um ca. 17 Uhr haben Spezialisten auch den zweiten Blindgänger (in der Beurhausstraße) unschädlich gemacht.

Zuvor mussten weite Teile der Innenstadt (bis spätestens Sonntag, 8 Uhr morgens) vorübergehend freigezogen werden. Direkt betraf diese Maßnahme über 13.000 Menschen. Dabei musste ungeheuer vieles bedacht werden, so u. a. auch die Frage nach der Mitnahme von Haustieren, um nur einen Nebenaspekt zu nennen. Doch so umfassend die organisatorische Leistung gewesen sein mag – mit den Leuten vom Kampfmittelräumdienst, die schlussendlich ganz nah ran mussten, hätte im Zweifelsfalle niemand tauschen wollen.

Drei große Kliniken im Einzugsbereich

Besondere Herausforderung im Vorfeld: Auch die Zentrale des Städtischen Klinikums, das Johannes-Hospital und die Kinderklink sowie zwei Altenheime zählten zum Einzugs- bzw. Auszugsgebiet. Bis auf wenige Intensiv-Fälle, bei denen das Transportrisiko gar zu groß gewesen wäre, sind die Patienten in andere Krankenhäuser verlegt worden, bis ins Umland hinein. Die komplizierte Aktion hat offenbar noch besser funktioniert als vorher geplant.

Auch der Dortmunder Hauptbahnhof durfte zeitweise nicht mehr betreten werden, Züge wurden umgeleitet; wie denn überhaupt Ausnahmezustand im gesamten öffentlichen Nah- und Fernverkehr rund um die Stadt herrschte. Auch andere Bereiche waren betroffen: Das Theater und andere Kulturstätten (u. a. Dortmunder U, Deutsches Fußballmuseum) blieben am Sonntag geschlossen, etliche Gastronomie-Betriebe ebenfalls. Mit anderen Worten: Das öffentliche Leben lag weitgehend brach.

Unterkunft im Ortsteil Scharnhorst

Die Bewohner des Klinikviertels und angrenzender Bereiche der Innenstadt wurden, sofern sie nicht bei Freunden oder Verwandten untergekommen sind, in einer Gesamtschule im Dortmunder Stadtteil Scharnhorst untergebracht. Alternativ konnten städtische Angebote wie der ausnahmsweise kostenlose Eintritt in den Zoo, in den Westfalenpark oder ins Südbad wahrgenommen werden. Erstmals wollte die Polizei übrigens Drohnen einsetzen, um zusätzlich die möglichst komplette Evakuierung zu überwachen. Es gibt ja immer mal wieder einzelne Leute, die sich weigern wollen, ihre Behausung zu verlassen. Und sind sie nicht willig, so…

Straße im Klinikviertel (August 2009). (Foto: Bernd Berke)

Straße im Klinikviertel (August 2009). (Foto: Bernd Berke)

Gespenstisch leere Straßen im Viertel

Zahlreiche Journalist(inn)en hatten sich für das Ereignis akkreditiert – offenbar weitaus mehr, als man zuvor erwartet hat. Dortmund hat es auch mal wieder mit ein paar Schnipseln in die ARD-Tagesschau um 20 Uhr geschafft. Aber ist das denn ein erstrebenswertes Ziel?

Die Ruhrnachrichten und der WDR hatten permanente Live-Ticker eingerichtet, mit denen man lückenlos auf dem Laufenden bleiben sollte. Auch viele andere Medien berichteten ausführlich, die in aller Regel weniger zimperlichen RTL, SAT.1 und „Bild“ ließen sich gleichfalls nicht lumpen. Erste Online-Fotos aus der Nacht zum Samstag zeigten bereits gespenstisch leere, weil auch komplett autofreie Straßen im Klinikviertel. Vielleicht ist es insofern eine Art Zukunftsschau ohne Absicht?

Wenn wir schon beim Thema Medien sind: Eventuell setzt sich ja eines Tages die Erkenntnis durch, dass eigentlich nicht Menschen „evakuiert“ (also: entleert) werden, sondern Gebäude, Gelände oder Zonen. Okay, das ist das geringste aller Probleme. Obwohl Präzision auch im Sprachlichen nicht schaden kann.

…und wenn es nur rostige Badewannen gewesen wären?

Apropos Zukunft: Ein Freiburger Forscherteam, das ein Simulationsmodell für Druckwellen und sonstige Auswirkungen explodierender Blindgänger entwickelt, betrachtet die (sehr realen) Vorgänge in Dortmund als eine Art Großversuch, der eingehend begleitet wird; damit man sich künftig vielleicht noch etwas präziser auf solche Ereignisse vorbereiten kann. Mag sein, dass dann die Sicherheitszonen nicht mehr so weitläufig bemessen sein müssen.

Ein Restaurant-Betreiber, der seinen Betrieb am Sonntag gar nicht erst öffnen wollte, gab sich der  örtlichen Presse gegenüber skeptisch bis verärgert: Wenn an den „Bombenverdachtspunkten“ (offizielle Bezeichnung) nun nur eine rostige Badewanne gefunden werde und sich das Ganze als falscher Alarm erweise, hätte Dortmund sich blamiert, findet er. Eine sehr spezielle Einlassung. Es drohte nach (inzwischen zweifach bestätigter) Experten-Einschätzung nun einmal Gefahr. Wer hätte da die Verantwortung übernehmen wollen? Etwa die Wirte und Pächter der umliegenden Gaststätten? Eben.

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Die folgenden Links haben nur begrenzte Gültigkeit:

Weitere Informationen der Stadt Dortmund: www.evakuierung.dortmund.de

Live-Ticker der Ruhrnachrichten

Live-Ticker des WDR: https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/ticker-grosse-bombenentschaerfung-im-dortmunder-klinikviertel-100.html
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Infos mit Material u. a. von Ruhrnachrichten und WDR

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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