Kraftvolle Explosionen auf der Leinwand – Werke von Lovis Corinth im Essener Folkwang-Museum

Von Bernd Berke

Essen. Was hat man Lovis Corinth (1858-1925) nicht schon alles nachgesagt: Der Berliner Kunstwelt seiner Epoche galt er zuvörderst als Impressionist, den NS-Kunstscharfrichtern als „entartet“. Dann, in den 50er Jahren, fand man seine Bilder „zu gegenständlich“, hernach wurde er als „Klassiker“ in luftleere Regionen verbannt. Jetzt will, mit einer Zusammenstellung von 85 Gemälden und 50 Graphiken aus allen Schaffensperioden, das Essener Folkwang-Museum eine Neubewertung des vor 60 Jahren gestorbenen Ostpreußen einleiten.

Chance wie Gefahr, dieses Werk auch jetzt von der Dignität gegenwärtiger Strömungen zeugen zu lassen, liegen nah. Unter dem Blickwinkel der heftigen Figuration unserer Jahre ist man in der Tat schnell geneigt, Corinth als „wildes Kraftgenie“ zum Bürgen und Vorläufer des Jetzt zu erklären.

Zweifellos hat Corinth stets kraftvoll, ja aggressiv wider seine Zeit angemalt. Kampfbereit, sozusagen „auf dem Sprung“ wirkt er auch auf zahlreichen seiner Selbstbildnisse, so 1907 auf dem „Selbstporträt mit Glas“, welch letzteres er dem Betrachter entgegenschleudern zu wollen scheint. Man ahnt: Das ist kein bloßes Gebaren, keine Attitüde, es ist – entschlossene Pinselführung unterstreicht es – Ausdruck wirklicher Seelenenergie.

Auch die Landschaften tragen bei näherem Hinsehen diese Handschrift; sie sind explosive Entäußerungen, Projektionen verschiedener Stimmungslagen – dem Expressionismus darin wohl näher als dem Impressionismus; und sie tendieren („Walchensee. Mondnacht“, 1920) mitunter auch schon zur reinen Farbkomposition.

Fern jeder Akademiehörigkeit wagte sich Corinth auch an verwegen anmutende Themen, so an die Darstellung einer „Königsberger Marzipantorte“ (1924) oder auch an blutrot-rohe Szenen wie „Im Schlachthaus“ (1883) und „Fleischerladen“ (1913).

Mythologische Szenen gar, die der Akademietradition heilig waren, füllte Corinth mit berstendem Alltagsleben. So sind etwa die „Heimkehrenden Bacchantinnen“ (1898) eine derb-komische Zecherschar, und die „Gefangennahme Simsons“ (1907) gemahnt in ihrem unmittelbaren Blick, in ihrer Gewaltsamkeit an Caravaggio.

Einige Spitzenwerke („Ecce Homo“, „Der rote Christus“) fehlen aus konservatorischen oder sonstigen verleihpolitischen Gründen. Man verschmerzt es leicht, sind doch – Museen aus aller Welt zeigten sich großzügig – von Zdenek Felix und seinen Mitarbeitern viele, auch weniger bekannte Spitzenwerke nach Essen geholt worden (Gesamtversicherungswert: 18 Mio. DM).

Der Katalog ist ein Bonbon für sich: Sämtliche (!) Gemälde sind ganzseitig in Farbe wiedergegeben, vier Aufsätze entschlüsseln Aspekte des Werks – und das alles in der Ausstellung für 36 DM, im Buchhandel für 78 DM.

Die Ausstellung dauert bis zum 12. Januar ’86 und ist danach nur noch in München (Hypo-Kunsthalle) zu sehen.

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 19 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Kunst & Museen abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.