Büchners „Woyzeck“ in Wuppertal – Inszenierung lässt vieles offen

Von Bernd Berke

Wuppertal. Mit Georg Büchners „Woyzeck“ ist das so eine Sache. Seit Generationen streiten sich die Philologen, in welche Reihenfolge die Szenen gehören (wovon u. a. abhängt, ob Woyzecks Gang ins Wasser als Selbstmord oder als Reinigung anzusehen wäre), ja die Gelehrten sind sich noch nicht einmal einig, ob es sich um ein „Fragment“ handelt oder ob die offene Dramenform als in sich abgeschlossen zu gelten hat.

Wuppertals Bühnen haben sich in Gestalt des Regisseurs Ulrich Greiff und seines Dramaturgen Lothar Schwab dafür entschieden, die Sache nicht gar so ernst zu nehmen. Im Programmheft läßt Schwab durchblicken, daß man die Szenen nahezu beliebig umstellen könne, was während der Proben auch mehrfach geschehen sei.

Und so läßt denn diese Inszenierung vieles offen. Sie umkreist gleichsam ihre Hauptfigur (den nicht nur mit medizinischen Versuchen geschundenen Franz Woyzeck), greift den oder jenen roten Faden auf, läßt ihn fallen, faßt an anderer Stelle wieder zu. So kommt es, daß auch die Motivationen sich auffächern. Ist nun, so fragt man sich, Woyzeck das Opfer sozialer Umstände oder seiner eigenen Seelenverwirrung oder gar der allgemeinen Unzuträglichkeit menschlicher Existenz? Auch Ansätze, Woyzeck überhaupt nicht mehr als unbedarftes Opfer, sondern als messerscharf denkenden (und träumenden) Menschen darzustellen, sind vorhanden.

Manches wirkt umständlich. Heftigst werden Kulissen geschoben,  ja einmal rollt mitten in der Szene, die ganze graue Silhouette einer Stadt weg. Den Protagonisten werden zuweilen Laufleistungen abverlangt, die das Stück nicht um ein Jota vorwärtsbringen. Und wenn ein wallendes Tuch, mit blutrot verlaufendem Fleck besprenkelt, zunächst die ganze Bühne bedeckt und sich wie ein wörtlich zu nehmendes „Verhängnis“ bläht, sodann aber als bodenlose Rutschbahn für eine Bühnenleiche (die von Woyzeck erstochene Marie. de ihn betrogen hat) dient, dann schlägt Umständlichkeit in Abwegigkeit und unfreiwillige Komik um.

Eher ablenkend als sinnerhellend wird auch die Figur des „Idioten Karl“ eingesetzt. Im Text nur mit wenigen Sätzen ausgestattet, ist sie hier – das Haupt bandagiert – ständig anwesend, trinkt, raucht und vollführt pantomimische Darstellungen.

Auf Heiner Stadelmann, der die Titelrolle spielt, lastet viel; er entledigt sich seiner Aufgabe bemüht, wenn auch nicht immer zureichend (sein Mord etwa wirkt wie ein Zufall, der auch hätte unterbleiben können); Isabell Zeumer als „Marie“ tritt gar nicht recht in Erscheinung. Glanzpunkte hingegen im grotesken Panoptikum rund um Woyzeck: Gerd Mayen als „Doktor“ liefert einen wahnsinnigen Wissenschaftler – immer hart am Rande des Klischees, aber doch glückhaft daran vorbei. Heinz Voss als Hauptmann setzt seine Mittel ökonomisch ein und erzielt viel Wirkung. Für Wuppertaler Verhältnisse gab’s nur mäßigen Beifall.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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