Die Angst des Dorfrichters vor der Revision – Kleists „Zerbrochener Krug“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Der zerbrochene Krug“ steht und fällt – wörtlich wie im übertragenen Sinn – mit dem Dorfrichter Adam. Wird auch nur diese eine Rolle unzureichend besetzt, kann man Kleists Lustspiel-Klassiker, salopp gesagt, „vergessen“.

Ein Glück also, daß die Wuppertaler Bühnen Horst Fassel haben. Er verleiht dem fleischgewordenen Justizskandal, der ausgerechnet am Prüftag des Revisors über seine eigenen Eskapaden zu Gericht sitzen muß, das unabdingbare Komik-Profil, ohne in die Klamotte abzugleiten. Wie Fassel, bis in Haar- und Fingerspitzen elektrisiert, zwischen selbstgefälliger Seligkeit des Nicht-Ertapptseins und flatternder Angst hin und her hastet, ist sehenswert.

Daß Petra Dannenhöfers Inszenierung auf die Hauptfigur bauen muß, zeigt sich gegen Schluß. „Adam“ ist endgültig entlarvt und betritt die Bühne nicht mehr. Was folgt, ist ein langatmiges Aufdröseln nebensächlicher Aspekte. Die Luft ist ‚raus. Hier hätte man, zum Wohle des Stücks, Textkürzungen vornehmen sollen. Außer der Komik arbeitet diese Wuppertaler Einstudierung nur wenig „Überschuß“ heraus. Die herbe Justizkritik Kleists etwa, die das Recht als zwischen vielerlei Interessen relativiert und zerrieben beschreibt, wird eben nur „mitgeliefert“.

Die Darsteller lassen ihre Figuren mit unterschiedlicher Fortune lebendig werden. Während Maria Pichler mit Elan die resolute „Frau Marthe“ gibt und Gregor Höppner („Schreiber Licht“) als junger Ehrgeizling seine Aufgabe löst, bleiben René Schönenberger („Gerichtsrat Walter“) und besonders Sabine Schwanz („Eve“) eher blaß.

Das Bühnenbild Sigrid Greils ist (was die Aufbauten betrifft) zweckmäßig und schlicht. Reichlich herbeigezerrt scheint mir jedoch die Bedeutung zu sein, die dem Bühnenboden beigemessen wird. Vier Keile weisen, abwechselnd rot und blau, ins Zentrum. Sie sind, wie sich erst bei Lektüre des Programmhefts enthüllt, dem Papierfalt-Spiel „Himmel und Hölle“ abgeguckt und sollen offenbar eine optische Entsprechung zum Hin- und Hergerissensein der Handelnden abgeben.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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