Diese nahezu parodistisch klingenden Namen – und welcher lebenswichtige Ernst wird später daraus! Da lernt, bei einem bundespräsidial umrahmten Geburtstagsfest auf Schloss Bellevue, die Theologin Dr. Maja Schneilin den Romancier Basil Schlupp kennen.
Aber ach, nein! Kennenlernen wäre viel zu viel gesagt. Sie tafeln im selben Raum, doch nur er nimmt sie wahr – und wie! Groß. Strahlend. Einzigartig. Damit sie überhaupt auf ihn aufmerksam wird, bringt er im Laufe des Abends eine blödsinnig starke Behauptung vor. Kurz darauf schreibt er ihr, und zwar so raffiniert feinfühlig, dass sie sich zu einer Antwort hinreißen lässt.
Eigentlich schade. Denn man könnte stundenlang lesen, wie überaus geschmeidig und nuanciert Martin Walser derlei gesellschaftliche Zusammenkünfte wie jene im Schloss schildert. Das beherrscht er seit jeher virtuos, schon seit den legendären „Ehen in Philippsburg“ (1957).
Doch nun beginnt ein veritabler Briefroman; eine Gattung, die man schon für ausgestorben halten konnte. Aber auch dabei entfaltet sich etwas, was niemandem besser gelingt als eben Walser: eine Vierecksgeschichte, wie sie etwa schon „Ein fliehendes Pferd“ (1978) bestimmt hat. Basil Schlupps Frau Iris (TV-Serienautorin) und Maja Schneilins Mann Korbinian (geschäftlich erfolgreicher Molekularbiologe) sind im Reigen der Briefe stets präsent.
Dahinter scheint in kunstvoller Verschachtelung eine weitere Vierecksgeschichte auf, denn Maja und Korbinian sind auf desolate Weise mit dem steinreichen Egozentriker Ludwig und dessen Frau Luitgard befreundet. Geradezu schmerzlich rührend wird das recht eigentlich Unaufhebbare solch langjähriger Zweisamkeiten deutlich, allem ehelichen Verdruss zwischen geschwätzigen und stummen Tagen zum Trotz. Diese Paare bleiben zueinander gefügt, aneinander gekettet, das ist gewiss. Und doch ist da jenes Unabweisliche, das ganz Andere…
Anfangs schien der besagte Briefwechsel vor allem auf männlicher Seite eine galante, beinahe zierlich-rokokohafte Sprachtändelei zu sein, doch dabei bleibt es beileibe nicht. Maja und Basil schreiben sich nach und nach ins schier Unmögliche hinein, sie bauen Wortbrücken ins luftleere Nichts, spielen unentwegt mit dem „Als ob“, das sich erhitzt. Es wächst und wächst ein wortwörtlicher Überschwang, die beiden gestehen einander Dinge wie niemandem sonst. Martin Walser gelangt dabei noch einmal auf die Höhen seiner ungemein einfühlsamen Schreibkunst.
Maja und Basil sind unterwegs zu einem absoluten Mitteilen, zu einer hochkultivierten Stufe körperlos erotischer Existenz, hervorgerufen mit rein sprachlichen Mitteln, belletristische und theologische Beigaben inbegriffen, zumal Maja einen Liebesbriefwechsel des berühmten Theologen Karl Barth von Maja als historisches Muster benennt. Briefeschreiben, so erfahren wir jedenfalls innig, kann zum alles erschütternden Abenteuer der Selbstüberschreitung werden. Ein Abenteuer für jene, die sich auch sonst mit dem Vorhandenen nicht abfinden wollen.
Schon die Signaturen einiger Briefe aus den Zonen der lockenden Unmöglichkeit lassen ahnen, wohin das Schreiben einen tragen kann:
„Es grüßt Sie der Verratssüchtige“
„Ihr Anempfinder“
„Ihre Teilhaftige“
„Ihr heute Ausgelieferter“
„Die Gelieferte“
„Deine Kapitulierende“.
Ein sekundenkurzer Zufallstreff am Flughafen („Wunder von Tegel“) lässt die brieflichen Worte überfließen, nun fehlen im Buch sogar vorübergehend die Seitenzahlen (von 158 bis 161), so allenthoben wird auf einmal jubiliert.
Doch es folgt ein jäher Absturz. Schlupp hat ein gedankenlos gefallsüchtiges Interview gegeben, in dem er seine Beziehung zu Frauen aus steter Höflichkeit herleitet. Kein Wunder, dass die kurzzeitig entflammte Maja tief beleidigt ist. Statt der langen Mails, die sie zuletzt geschrieben hat, findet Schlupp auf dem Bildschirm nur noch die Botschaft „Es sind keine Objekte in dieser Ansicht vorhanden“.
Mit der letzten Wendung beginnt ein Schlussteil, der gleichsam mit schnellerem Atem geschrieben zu sein scheint, buchstäblich zum Ende hin. Maja schickt wieder Briefbotschaften an Basil, und zwar hierüber: Ihr Mann Korbinian ist krebskrank, zwingt aber sich und sie zu einer irrsinnigen Fahrradtour in die entlegensten Landstriche des nordkanadischen Yukon-Territoriums, wo die zusehends Erschöpften lauter Liebesversehrten begegnen. Dort auch ertönt in zwei längeren Zitaten Jack Londons lebens- und todessüchtiger „Ruf der Wildnis“.
Selbst wenn man es vielleicht kommen sieht, so ergreift einen das Finale.
Martin Walser: „Das dreizehnte Kapitel“. Roman. Rowohlt Verlag. 271 Seiten. 19,95 Euro.
Du hast mich neugierig gemacht, Bernd.