Nico: Die Frau mit der Sirenenstimme

Köln. Christa Päffgen war ein Weltstar, ja geradezu eine Ikone der Popmusik. Wie bitte? Christa Wer? Nun, weitaus bekannter war die gebürtige Kölnerin unter ihrem Künstlernamen „Nico“ – und geradezu legendär wurde sie als zeitweilige Sängerin der Kultband „Velvet Underground“.

Zur Erinnerung: Diese formidable Formation um Lou Reed und John Cale spielte anfangs unter der Ägide des Pop-Künstlers Andy Warhol, der auch das berühmte Bananen-Cover für ihre Debüt-Platte schuf. Das immens einflussreiche Album hieß „The Velvet Underground & Nico“ und war mit düsteren Titeln („I’m Waiting for my Man“, „Venus in Furs“, „Femme Fatale“, „Heroin“, „All Tomorrow’s Parties“) ein Meilenstein der Rockgeschichte. Nicht zuletzt lag es an Nicos suggestivem Sirenengesang, der sich mit hartem deutschen Akzent im Niemandsland zwischen Minimalismus und Nihilismus erging.

Die Ausstellung, mit der das Kölner Museum für Angewandte Kunst jetzt an Nico (1938-1988) erinnert, erweist sich mit zahlreichen Doku¬menten (Bilder, Texte, Filme und Töne – auch via Audioguide) als weit verzweigte Spurensuche. Sie ist mehr als eine bloße Reliquienschau.

Kaum zu glauben, in welchen Sphären sich diese Nico bewegt hat. Ihr Dasein als öffentliche Frau begann beileibe nicht erst im Pop-Geschäft. Nico wurde in hohem Maße zur Projektionsfläche diverser Männerphantasien. Wahrscheinlich ist sie daran zerbrochen; vielleicht auch am Überangebot der Freiheiten, das sich damals aufgetan hat.

Schon mit 16 Jahren wurde sie in Berlin als Model (damaliger Ausdruck: Mannequin) der Marke „Lolita“ entdeckt und zog bald nach Paris, wo sie den Künstlernamen „Nico“ annahm. Sie zierte die Titelseiten von Magazinen wie dem „Stern“ (1959 – Fotograf: Charles Wilp) oder des Zeitgeistblattes „Twen“ (1961). Auch die Glamour-Postillen „Elle“ und „Vogue“ wurden aufmerksam auf die Blondine mit der Aura zwischen Unschuld und Erfahrung. Später mengten sich mehr und mehr Schattierungen todessüchtiger Traurigkeit und von Dämonie mit hinein.

Eigentlich kein Wunder, dass ein auf optische Sensationen versessener Mann wie Federico Fellini sie dann 1960auch für den Film rekrutierte. Nico spielte eine kleine, aber seltsam faszinierende Rolle in dem Klassiker „La dolce vita“ (Das süße Leben) – neben den Stars Marcello Mastroianni, Anita Ekberg und Anouk Aimée. Einem gewissen Bob Dylan prägte sich Nicos kurzer Kinoauftritt derart ein, dass er ihr den Song „I’ll keep it with mine“ (1965) widmete. Folgenreicher Vorfall jener Jahre: Der Filmschönling Alain Delon schwängerte sie, wollte aber den gemeinsamen Sohn Ari nie anerkennen.

Nach dem furiosen Einsatz bei „Velvet Underground“ vagabundierte Nico durch die wildesten „Szenen“ der späten 60er Jahre. Klischee-Stichworte sind schnell genannt: Sex, Drogen, überdrehtes Leben am Rande des Todes. Nico faszinierte denn auch andere, früh verstorbene Rockgrößen: Jim Morrison (1943-1971) von den „Doors“ überredete sie zu musikalischen Solo-Projekten. Eine Zeit lang gehörte sie zu den Groupies im Gefolge der Rolling Stones, besonders der Gitarrist Brian Jones (1942-1969) war ihr zugetan. Stärkste Platte dieser Phase: „Chelsea Girl“ mit dem phänomenalen Titel „These Days“.

Zunehmend stilisierte die einstige Blondine zur dunklen, schläfrig wandelnden Erscheinung. Schwarz gefärbtes Haar, finster umflorter Blick, ausgezehrtes Gesicht. Später, in den 80er Jahren, gibt es erschreckende Bilder von einer aufgedunsenen, durch harte Drogen vorzeitig vergreisten Frau.

Den windungsreichen Weg, der immerzu bergab führt, kann man anhand der in Köln kenntnisreich ausgebreiteten Dokumente eingehend verfolgen. Hie und da könnte man glauben, Nico sehr nahe zu kommen; so etwa, wenn man die rasch hingefetzten Postkarten von ihrer zittrigen Hand liest. Diese fahrige, flüchtige Schrift, diese ziellose Signatur eines verletzlichen Menschen, der alle Wurzeln gekappt hat und sich nicht mehr zurechtfindet: Wort-Bruchstücke aus Herzen der Finsternis.

„Nico – Stationen einer Pop-Ikone“. Museum für Angewandte Kunst, Köln, An der Rechtsschule (neben dem Dom/Hauptbahnhof). Bis 1. Februar 2009. Geöffnet Di-So 11-17 Uhr. Eintritt 5 Euro. Internet: http://www.nico-cologne.de

(Der Beitrag stand am 21. November 2008 in der „Westfälischen Rundschau“)

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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