Die Rache-Show des Rigoletto: Frank Hilbrich inszeniert Giuseppe Verdis Oper am Aalto-Theater

Ein Mann starrt in die Finsternis: Rigoletto (Luca Grassi), unglücklicher Hofnarr des Herzogs von Mantua (Foto: Matthias Jung/Aalto-Theater)

Dieser Hofnarr trägt einen Buckel aus zerplatzten Luftballons. Er hält sich gebeugt, geht stets gekrümmt wie einer, dessen Rückgrat verbogen ist. Angstvoll blickt er um sich, eine gehetzte Kreatur im mausgrauen Anzug, verfolgt von einer unsichtbaren Meute. Dann steigt er in seine quietschbunte Arbeitskluft und verwandelt sich: nicht etwa in einen bösen Harlekin, sondern in einen Horror-Clown, verwandt dem aus der Verfilmung von Stephen Kings Roman „Es“.

Zirkus? Nein, Verdi! Der Bariton Luca Grassi gab in Essen sein Rollendebüt als Rigoletto.

Mit dieser Darstellung von „Rigoletto“, dem tragischen Antihelden der gleichnamigen Oper von Giuseppe Verdi, legt Regisseur Frank Hilbrich sich am Essener Aalto-Theater früh fest. Der böse Clown soll uns das Gruseln lehren mit seinem Wahn, mit seiner Verbitterung und mit seinem Hass auf vermeintlich privilegiertere Existenzen. Hilbert will uns Fratzen und Verzerrungen zeigen, hervorgebracht durch das Spiel von Macht und Erniedrigung. Ein nachvollziehbarer Ansatz, der auf der Bühne leider zunehmend in Mummenschanz mündet.

„Das Schöne hat nur eine Erscheinungsform, das Hässliche hat tausend“, zitiert das Programmheft Victor Hugo, den Dichter der Romanvorlage „Le Roi s’amuse“. In der Essener Premiere erinnert uns die bald einsetzende Vermehrung der Horrorclowns aber vielmehr daran, dass der Februar nicht mehr fern ist – und mit ihm die Karnevalssaison.

Die Höflinge als eine Schar von Horrorclowns (Foto: Matthias Jung/Aalto-Theater)

Konfetti und Kamelle fliegen zwar nicht, dafür aber viele bunte Luftballons, von denen viele geräuschvoll platzen. Sind sie Symbol für die Illusionen der Hauptakteure? Sie verbreiten jedenfalls eine konträr zum Stück stehende Kindergeburtstags-Atmosphäre.

Überzeugend gelingt dagegen die Zeichnung der Gilda, die endlich einmal nicht in einem käfigartigen Verhau auf ihren Vater warten darf, sondern als selbstbewusster Teenager in modischer Jeans auf dem heimischen Sofa lümmelt.

Gilda (Christina Pasroiu), Tochter des Rigoletto (Foto: Matthias Jung/Aalto-Theater)

Auch die Bühne von Volker Thiele hat es in sich: Sie ist nachtschwarz und unterkühlt und besitzt zudem drehbare Seitenportale, die das seitwärts einfallende Licht so spiegeln, dass der Zuschauer immer wieder geblendet wird. Das ist ähnlich unangenehm wie die Perversionen, die am Hofe des Herzogs gepflegt werden. Verblendung, Gefühlskälte und (eitle) Selbstbespiegelung werden hier zum Raum.

Die beiden entscheidenden Nachtszenen der Oper verschenkt die Regie indes komplett. Die Begegnung mit dem Auftragskiller Sparafucile findet vor einem violetten Glitzervorhang statt, als seien wir Zeuge einer Zirkusnummer. Den Mord inszeniert Hilbert auf einer Doppelbühne, gerahmt vom violetten Vorhang. Gemeinsam mit Gilda sind wir gezwungen, die Rache-Show des Rigoletto mit anzusehen. Diese Revue ist jedoch weit entfernt von der düsteren „tinta“, der von Verdi bewusst eingesetzten Einfärbung der Szene durch die Musik. Statt einer Nacht des Schreckens also nur das Theater des inneren Wahns. Statt Wetterleuchten diskoähnliches Flackerlicht.

Quartett vor dem tödlichen Finale: Rigoletto (Luca Grassi), Maddalena (Bettina Ranch), der Herzog von Mantua (Carlos Cardoso) und Gilda (Cristina Pasaroiu). (Foto: Matthias Jung/Aalto-Theater)

Sängerisch will diese Produktion ebenfalls nicht recht erwärmen. In seinem Rollendebüt gibt Luca Grassi dem Rigoletto Gentleman-Farben, schafft es aber (noch) nicht, die Emotionen dieser Figur zum Glühen zu bringen. Zärtliche Vater-Gefühle klingen an, aber darüber hinaus bleibt sein Bariton oft blass, reicht nicht in die Tiefen von Hass, Verzweiflung und Rachedurst hinab.

Carlos Cardoso, als Herzog von Mantua für den erkrankten Abdellah Lasri am Start, übersetzt den Machismo etwas steif in Spitzentöne und Phonstärken. Der Träller-Stil der berühmten Arien erzählt bei ihm nicht viel von Leichtfertigkeit und Charme. In den Duetten mit Gilda bemüht er sich aber um feurigen Schmelz, um die Schöne für sich zu gewinnen.

Der Herzog (Carlos Cardoso, r.) gibt sich Gilda gegenüber als Student aus (Cristina Pasaroiu,. Foto: Matthias Jung/Aalto-Theater)

Damit wären wir bei der überragenden Spitze des Dreigestirns, bei Cristina Pasaroiu als Gilda, die uns mitten hinein führt in den leuchtenden glasmusikalischen Käfig, den Verdi rund um Rigolettos Tochter komponiert hat. Aber die Sängerin belässt es nicht dabei: Sie ergänzt ihr Rollenporträt durch selbstbewusste Akzente, wie sie einem Menschen eigen sind, der an der Schwelle zum Erwachsenalter steht. Zart und traumschön, wie ihre Gesangsbögen zunehmend ätherischer werden und in der Sterbeszene gänzlich gen Himmel entschweben. Die Nebenrollen des Grafen Monterone, des Mörders Sparafucile und seiner Schwester Maddalena sind mit Baurzhan Anderzhanov, Tijl Faveyts und Bettina Ranch sorgsam besetzt.

Unter dem Dirigat des Italieners Matteo Beltrami stützen die Essener Philharmoniker die Sänger psychologisch genau. Deutlich tritt die jeweils eigene Klangwelt vor, die Giuseppe Verdi den Hauptakteuren zugeordnet hat. Helle Flötentöne und ätherische Geigenklänge für Gilda und gockelhaft-triviale Canzonetten für den Herzog heben sich ab von düsterem Grund: Monterones Fluch wirft seinen schicksalhaften Schatten über die gesamte Partitur. Ein ums andere Mal fliegt Matteo Beltrami die Künstlermähne in den Nacken, wenn er die Musiker im Orchestergraben anspornt. Essens Philharmoniker antworten mit sprühender Vitalität und dramatischem Feuer.

Folgetermine bis 28. Mai 2017. Kartenbestellung: 0201/ 8122-200. Infos: http://www.aalto-musiktheater.de/premieren/rigoletto.htm/

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