Von Erfurt nach Westfalen: Bedeutsame Oper „Joseph Süss“ kommt 2015 ans Theater Münster

Szene aus Detlev Glanerts "Joseph Süß" in Erfurt, mit Marisca Mulder (Magdalena), Máté Sólyom-Nagy (Joseph Süß) und Robert Wörle (Weißensee). Foto: Lutz Edelhoff

Szene aus Detlev Glanerts „Joseph Süß“ in Erfurt, mit Marisca Mulder (Magdalena), Máté Sólyom-Nagy (Joseph Süß) und Robert Wörle (Weißensee). Foto: Lutz Edelhoff

Die Geschichte des Joseph Süß Oppenheimer ist die eines Glücksritters des 18. Jahrhunderts: Aufstieg bei Hofe, Finanzrat des Herzogs von Württemberg, nach dessen plötzlichem Tod Schauprozess und Todesurteil. Ein Justizmord, wie man heute zweifelsfrei nachweisen kann. Doch Joseph Süß war Jude, und der Prozess gegen ihn ein Manifest des offenen Antisemitismus. Als „Jud Süß“ wurde sein Schicksal zum Material für judenfeindliche Propaganda, die in Veit Harlans berüchtigtem Film von 1940 gipfelte: ein sogenannter Vorbehaltsfilm, der bis heute in Deutschland aus gutem Grund nur eingeschränkt gezeigt werden darf. Harlan, ein Meister seines Fachs, hat wie kein anderer antisemitische Hetze so subtil wie perfide künstlerisch bemäntelt.

1999 vollendete Detlev Glanert seine Oper „Joseph Süss“, die nun am Theater in Erfurt Premiere hatte. Die Inszenierung von Hausherrn Guy Montavon war 2012 am Gärtnerplatztheater München zu sehen – und der damalige Gärtnerplatz-Intendant Ulrich Peters holt sie ab 7. Februar 2015 an sein neues Haus in Münster. Glanert hat mit dieser Oper ein bemerkenswertes Erfolgsstück geschrieben: Seit der Uraufführung in Bremen hat es Nachfolgeinszenierungen in Regensburg, Heidelberg, Trier, Krefeld-Mönchengladbach und Zwickau-Plauen gegeben. Glanerts Werk entkräftet die Ansicht, zeitgenössische Oper könne nicht erfolgreich sein und habe keine Chance im Repertoire. Man muss sie nur spielen wollen.

Guy Montavon lässt sein Inszenierung – unterstützt durch die Bühne Peter Sykoras – um den Kerker des „Hofjuden“ kreisen: Er bildet das Zentrum des Bühne, ein enger Raum mit Wänden aus Goldbarren. Der Zuschauer erlebt die Stunden vor der Hinrichtung. Immer wieder kehrt Süss zurück in die Vergangenheit. Seine Erinnerungen „materialisieren“ sich in den Szenen auf der Bühne, bevölkert von schwarz-grau-weißen Gespenstern, zum Teil in groteskem Barock überzeichnet, unter denen sich Süss in seinem roten Prachtrock wie der einzig lebende Mensch ausnimmt.

Detlev Glanert, "Joseph Süß", am Theater Erfurt: 2015 wird die Inszenierung Guy Montavons mit der Bühne Peter Sykoras in Münster gezeigt. Foto: Lutz Edelhoff

Detlev Glanert, „Joseph Süß“, am Theater Erfurt: 2015 wird die Inszenierung Guy Montavons mit der Bühne Peter Sykoras in Münster gezeigt. Foto: Lutz Edelhoff

Das Libretto von Werner Fritsch und Uta Ackermann bezieht den antisemitischen Hintergrund explizit mit ein, radikalisiert noch von Montavons Inszenierung: „Juden sind in unserem deutschen Wald unerwünscht“, liest man vor Beginn der eigentlichen Handlung; zwei biedere Familienväter erzählen sich geschmacklose Judenwitze. „Judas verrecke“ kreischt der Herzog (Stephen Bronk), vom Schlaganfall gelähmt, aus seinem Rollstuhl.

Doch die Perspektive ist nicht auf dieses einzige Thema verengt: Es geht um die Niedertracht der Ränkespiele bei Hofe, um Täuschung, Neid, sexuelle Gier und Geltungssucht, exemplarisch verkörpert im Sprecher der Landstände, Weissensee (mit passend schneidender Stimme: Robert Wörle). Seine tückische Intrige bringt den verhassten Finanzmann letztendlich an den Galgen. Joseph Süss ist in diesem Spiel eine ebenso ambivalente Figur wie die anderen Beteiligten: Er sucht „Ruhm und Ehre“ für sein Volk, vernachlässigt seine Tochter, steht der nach Genuss und Luxus süchtigen Gesellschaft ohne Skrupel mit seinem Geschick zur Verfügung.

Máté Sólyom-Nagy läuft als Darsteller wie als Sänger zu großer Form auf, macht auch die inneren Kämpfe des Joseph Süss deutlich, die am Ende in einer schmerzvollen Klage gegen Gott, den „Allmächtigen“, münden. Und in der Beteuerung der eigenen Unschuld, mit der er in den Tod geht. So wird Glanerts Oper am Ende auch zu einer Frage nach der Gerechtigkeit Gottes und seiner Ohnmacht vor dem Wirken des Bösen in der Welt.

Im durchweg überzeugenden Erfurter Ensemble sind die Frauen auf beiden Seiten Opfer: Naemi (Henriette Gödde mit lyrischer Intensität) verliert ihr Leben, von einer gewaltbereiten Meute vergewaltigt. Magdalena, Tochter Weissensees, als „Judenhure“ denunziert, hat keine Chance, der entfesselten, unterdrückerischen Lüsternheit bei Hofe zu entgehen. Marisca Mulder singt diese traurige Frau mit bewegendem Ernst. Julia Neumann hat einen koloraturenreichen, ironisch durchtränkten Auftritt als Opernsängerin Graziella – ein Geschöpf, das sich widerstandslos in die Dekadenz ihrer Umgebung einfügt.

Samuel Bächli und das Erfurter Orchester geben jeder der dreizehn Szenen unverwechselbare Prägnanz, von den filigranen Momenten verlorener Holzbläser-Soli über tosend losbrechende schlagzeuggestützte Wucht bis hin zu choralartigen, geclusterten Melodiemotiven oder ariosem Klagegesang. Auch der Chor von Andreas Ketelhut bewährt sich zwischen skandierendem Geschrei und flüsterndem Sprechgesang.

Glanerts Musik ist dabei weder anbiedernd noch verflüchtigt sie sich in uneinholbare intellektuelle Höhenflüge. Sie zeichnet aus, was seit jeher für das Theater taugt: Fasslichkeit, dramatische Wirkung, einprägsame Faktur. Solche Musik ist ihm auch in anderen Opern gelungen: Von dem eindrucksvollen, leider bisher im deutschsprachigen Raum nicht wiederholten „Caligula“ (Köln/Frankfurt) bis hin zu „Der Spiegel des großen Kaisers“ (zuletzt 2005 in Gelsenkirchen und 2006 in Münster) oder zur Science-Fiction-Oper „Solaris“ (Uraufführung 2012 in Bregenz, deutsche Erstaufführung angekündigt am 2. November 2014 in Köln) hat sich stets die eminent bühnenwirksame Qualität seiner Kompositionen erwiesen. Fazit: Auch Musik des 21. Jahrhunderts hat eine realistische Chance, ein Publikum jenseits eklektischer Kreise anzusprechen. Die Oper lebt!

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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