Hie und da hat man schon mal von medial induzierter Kunst gehört. Dass mit Handys & Smartphones zur Not auch rudimentäre Formen von Literatur produziert und übermittelt werden könn(t)en, ist auch nicht völlig neu. Doch hier kommt eine weitere Variante, hervorgebracht von einer Siebenjährigen!
Nun gut, ich bin befangen, denn sie ist meine Tochter. Jedenfalls finde ich ihre grundsätzliche Offenheit für technische Möglichkeiten und den Umgang mit all dem staunenswert. Obwohl man ja eh so viel darüber liest.
Vor gerade mal zwei Jahren hat sie in der Schule begonnen, das Lesen und Schreiben zu lernen. Nun ist sie in der Handhabung des Mobiltelefons ihrer Mutter und mir bereits voraus – wie wohl etliche ihrer Altersgenoss(inn)en. Mit virtuellen Phantomen wie „Siri“ und „Alexa“ parlieren sie recht geläufig.
Jeden Vorschlag akzeptieren
Darum muss ich derzeit noch mehr feixen, wenn ich die Bundestags-Wahlplakate sehe, auf denen das allzeit geschmeidige, aber auch in Sorge um Deutschland sich verzehrende, ungesund übernächtigte Politmodel Christian Lindner (FDP) in hippem Schwarzweiß mit Smartphone posiert und die ungeheure Wichtigkeit der Digitalisierung beschwört. Mit Verlaub: Er ist doch vergleichsweise auch schon ein alter Zausel.
Worum es eigentlich geht? Ach so, ja: Unsere Tochter hat die Möglichkeiten der Autokorrektur/Autovervollständigung entdeckt bzw. genauer: die verbalen Vorschläge, die einem das Smartphone unterbreitet, wenn man in der SMS- oder Whatsapp-Nachricht erst mal ein anfängliches Wort hingeschrieben hat und zum nächsten ansetzt. Ihr Dreh ist es, jede, aber auch wirklich jede dieser Vorgaben sofort spontan zu akzeptieren. Reihen- und kettenweise.
Das „System“ textet sich selbst zu
Wenn da also beispielsweise vier Vorschläge dafür stehen, wie es weitergehen könnte, so werden sie in rascher Abfolge auch allesamt angenommen – ohne jegliches Innehalten. Fortan braucht sie praktisch kein eigenes Wort mehr hinzutippen, sondern nur noch zu bestätigen, was da ohne Unterlass geliefert wird. Mit anderen Worten: Das „System“ reagiert sozusagen auf sich selbst, es spricht mit sich selbst oder textet sich gleichsam selbst zu.
Was dabei herauskommt, ist natürlich nicht gleich Literatur, es läuft aber (vor allem mit dem entsprechenden Zeilenzuschnitt) auf eine traditionell quasi-literarische Textgestalt hinaus, die inhaltlich zunächst noch sehr roh und unbehauen wirkt, die einigermaßen seelenlos zu rattern scheint. Man müsste das also noch bearbeiten, hier glätten und da zuspitzen, doch es scheint schon durchaus verwertbare Ansätze zu enthalten.
Ein Beispiel gefällig? Bitte sehr, hier ist es, ich habe es als SMS-Botschaft erhalten. Dieser erste Text müsste wohl füglich das Wort „Horror“ im Titel tragen und klingt stellenweise – Achtung, höchst gewagter Vergleich! – wie von Beckett ersonnen:
Ich bin jetzt auf der
Suche ist das ja nicht
mehr zu spät kommt die
Mädels und Jungs und
Mädchen in den Mädels
und ich hoffe das ist ein
Test der Zeitschrift die
ganze Welt der Horror die
Zeit ist es ist ein Witz ist
ja jetzt schon es ja ist
es nicht so gut und
zwar mit der Horror die
ganze Welt der Arbeit der
Horror und dann ja nicht
zu sehr gerne mal mit der
Horror die ganze Nacht
über das Thema der
Horror und wir werden
die ganze Nacht Welt
und dann ja aber nicht
mehr erholt und dann ja
nicht zu viel an den
Mädels und ich hoffe es
ja vielleicht noch nicht
mehr so viel in Ruhe und
wir werden die beiden
uns ja nicht mehr so gut
ist ein Test zu sein
scheint mir die beiden.
Nach demselben Prinzip ist folgendes Stückchen entstanden:
Und dann ist ja wohl ein r ist
es nicht so oft in Ruhe
reden ich hoffe du bist
ein Schatz schlummert
ist Tee ist es ist ein
Witz ist das ja auch die
ganze Nacht über die
ganze Welt der Fahrt mit
Theresa der zu ja
ist ja jetzt schon es
richtig ist das zu spät ich
habe ein bisschen zu
sehr nett wenn sie ist es
nicht zu viel um die
Ohren steif zu sein ist
tatsächlich eine ganz
liebe ist es nicht zu
viel um die Ohren es
nicht zu sehr nett gerne (…)
ich zu spät ist das ja auch
nicht mehr zu tun haben
mehr als ein wir sind.
Genug. Man sieht schon: Die Möglichkeiten solcher Textproduktion sind offenbar begrenzt, so manches wird sich wiederholen und zur Ödnis des Immergleichen tendieren. Trotzdem könnte man sich das Verfahren vielleicht zunutze machen und – fast wie beim „automatischen Schreiben“ herkömmlich-surrealistischer Art – Anregungen daraus empfangen. Ich mein‘ ja nur.
Das wird nicht verraten. 🙂
Jo, da hab ich auch ein paar Texte in der Notizen-App 🙂
Interessant wär, das mal mit einem »frischen« System zu machen, weil die Vorschläge ja aus den Schreibgewohnheiten des jeweiligen Nutzers kommen.
Hat sie das mit dem Handy deiner Frau geschrieben?