Keiner weiß, wo das Handy gerade klingelt – Hellmuth Karaseks listiges Buch über Mobiltelefone

Von Bernd Berke

Das Buch war fällig. Denn keine technische Errungenschaft hat den Alltag zuletzt so erobert wie das Mobiltelefon, sprich: das Handy. Also sollten wir die menschlichen und kulturellen Folgen des Gebrauchs bedenken. Genau das hat Hellmuth Karasek („Das Literarische Quartett“) getan.

„Hand in Handy“ heißt sein neues Buch. Der Titel klingt mit fortschreitender Lektüre gar nicht mehr rätselhaft. Karasek schildert besonders die Konsequenzen, die das mobile, ja tendenziell ortlose Gequatsche für unser Liebesleben hat. Statt wie früher Hand in Hand miteinander zu gehen, treffen viele Leute jetzt lieber – Hand in Handy – fernmündliche, möglichst unverbindliche Verabredungen (neudeutsch: Dates).

Das Fremdgehen wird leicht gemacht

Die Kunst des Fremdgehens hat laut Karasek mit dem Aufkommen des Handys (in Deutschland seit 1992) einen ungeahnten Schub erlebt. Denn nun kann niemand mehr wissen, wo der angerufene Partner sich mit seinem grenzenlos transportablen Handy befindet, weil man ja überall unter derselben Nummer erreicht wird. Beispiel: Vielleicht ist er gar nicht bei der Tagung in X, sondern bei dieser Schlampe inY…?

Welches Mißtrauen daraus erwächst, beschreibt Karasek in der Leidensgeschichte eines Berliner Ehepaares. Sie finden jedenfalls nicht zu der Haltung, die der Autor empfiehlt: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“.

Karasek entgeht auch nicht, daß gerade das Handy sehr einsam machen kann, zumal wenn es an eine Mobilbox (Anrufbeantworter) gekoppelt ist. Gerade wer theoretisch allzeit und überall erreichbar ist, wird gehörig ins Grübeln kommen, wenn ihn nur ganz wenige erreichen wollen…

Wohin mit dem ganzen Gefühl?

Teilweise arg komische Beobachtungen auf Flughäfen und in Messehallen gehören natürlich zum Thema. Wenn ganze Heerscharen von Leuten mit Nadelstreifen, Schlips und Attachékoffer wie auf geheimes Kommando zu ihren Handys greifen, um irgendwem zu erzählen, daß sie „gleich losfliegen werden“, so hat das einen Ballett-Effekt mit Slapstick-Qualität. Dieselben Leute schalten die Geräte zwar während des Fluges murrend ab (weil’s aus guten Gründen verboten ist, die Piloten-Frequenzen zu stören), aber spätestens dann wieder ein, wenn sie am Ankunftsort im Taxi sitzen: „Bin jetzt gelandet.“ Daran knüpft Karasek eine These, die man unbesehen glauben darf: daß die Gesprächs-Inhalte um so banaler werden, je weiter die Telefontechnik sich entwickelt.

Viele dynamisch-flexible Herrschaften übersehen zudem, so findet Karasek, daß sich persönliche „Wichtigkeit“ längst nicht mehr mit einem Handy beweisen läßt. Inzwischen sind die kleinen Apparate millionenfach verbreitetes Gemeingut. So viele Entscheidungsträger kann’s ja wohl gar nicht geben…

Und noch eins: Beim Handy kann man keinen Hörer mehr aufknallen, sondern nur noch den Knopf fürs Gesprächsende drücken. Auch solche Kleinigkeiten zeitigen sozial bedeutsame Folgen. Wohin mit dem Frust, den man früher mit einem beherzten Kracher-auf die Telefongabel loswerden konnte? Soll man etwa das liebgewordene Handy vor die Wand werfen?

Hellmuth Karasek: „Hand in Handy“. Verlag Hoffmann und Campe. 159 Seiten, 28 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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