Vieles hat er ausprobiert: Kay Voges verabschiedet sich nach zehn Jahren von Dortmund mit „Play: Möwe / Abriss einer Reise“

Szene mit Björn Gabriel (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Mehrere rote Vorhänge im Bühnenraum, Gaze vor dem Parkett, ausgebuffte Videoprojektionen und später auch ein bißchen Trockennebel: Die Maschinerie kommt einem vertraut vor, liefert groß, grell und laut ihre eindrucksvollen Bilder, und wenn sie zu Beginn mit unerwartet viel Schwarzweiß aufwartet, so deshalb, weil sie trotz unübersehbaren Dortmunder Wiedererkennungswerts auch Stilzitat ist.

Abgeschaut bei Jean-Luc Godard

Der Regisseur hat sich die Optik der ersten Szenen bei Jean-Luc Godard abgeschaut, bei dessen mehrteiligem quasi-dokumentarischen, sehr reflexiven und hoch gepriesenen Werk „Histoire(s) du cinéma“ („Geschichte(n) des Kinos“) aus dem Jahr 1989. Nur reflektiert der Dortmunder Regisseur, der Reihe nach dargestellt von mehreren Herren aus dem Ensemble, nicht das Kino, sondern das Theater, was fraglos eine Mammutaufgabe ist.

Malena Keil, Ekkehard Freye (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

„Volkstheater“

2020 wird Kay Voges nach Wien gehen, nach zehn Jahren Theaterarbeit in Dortmund, und dort als Direktor das „Volkstheater“ leiten. So ist die Spielzeit 2019/2020 eine der Abschiede – vom Chef selbst natürlich, von vielen bekannten Gesichtern des Ensembles, von vielen Menschen vor und hinter der Bühne, wenn man einmal so sagen darf, die gehen werden, wenn die Neue kommt.

Die neue Intendantin soll, wie berichtet, Julia Wissert werden, und zu gegebener Zeit wird hier sehr viel mehr über sie zu lesen sein. Aber jetzt noch nicht. Jetzt geht es erst einmal um Kay Voges’ nach eigenem Bekunden letzte Dortmunder Regiearbeit, eine Collage mit dem etwas störrischen Titel „Play: Möwe / Abriss einer Reise“, uraufgeführt im Großen Haus.

Adam und Eva als Puppen (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Tote Möwe

Die Möwe im Stücktitel ist natürlich eine Tschechow-Anleihe, folienhaft mit ihren Prototypen unterlegt. Wiederholt wird szenisch Bezug genommen auf die Schauspielerin Arkadina und den Schriftsteller Trigorin, erfolgreiche Künstler alle beide, sowie Trepljow und Nina, ihre um Erfolg und Anerkennung ringenden Pendants.

Die (vordem) im Stück real existierende Möwe überlebt das Desaster bei Tschechow ebenso wenig wie Teile des jugendlichen Personals, und schlüssig folgt aus alledem, daß es im Theater keineswegs nur um alte und neue Formen geht, sondern auch um Leben und Tod und alles andere Grundlegende auch.

Caroline Hanke; Ensemble (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Das Ensemble

Unversehens sind wir nun bei der dritten Komponente dieses collagierten Theaterabends angelangt, die man eigentlich für die wichtigste halten könnte: beim Ensemble und bei dem, was es in den vergangenen Jahren so alles gespielt hat. Dieser Aspekt kommt spät, aber heftig ins Spiel; da wettstreiten die Damen, wer von ihnen was in Weiß gespielt hat („Ich trug das Brautkleid in der Dreigroschenoper“), rattern die Namen bedeutender Theaterleute in so schneller Folge über die Leinwand, daß alle Individualität dahingeht und die Summe ihrer Werke an den notorischen Steinbruch denken läßt, in dem sich die Fürsten des Regietheaters gern bedienen, wenn sie ihren inszenatorischen Obsessionen frönen wollen.

Andreas Beck (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

„Wie Sophie Rois“

Dem Frust durch fehlende Anerkennung verleiht Bettina Lieder in einem Wutausbruch Ausdruck („Spiel doch mal mehr wie die Sophie Rois“), in der Kloschüssel finden sich spannendste Wendungen, schließlich gar ein roter Faden…

Es sei dahingestellt, wie geschmackvoll die ausufernden Lokus-Passagen sind, die natürlich als Video über die Besucher kommen, aber fleißig ist das alles ohne Frage.

Häschenkostüme

Was aber will (resp. wollte) uns Kay Voges letztlich sagen? Vieles hat er ausprobiert in den letzten zehn Jahren, hat seine Darsteller Weill-Songs singen lassen (was sie nicht sehr gut konnten) oder sie in Häschenkostüme gesteckt und die Revolution ausrufen lassen. Die Schauspielkunst selbst jedoch, die magischen Momente, die sich einstellen können, wenn Menschen Menschen etwas vorspielen, scheint ihn weniger interessiert zu haben.

Die richtigen Menschen findet man auf seiner Bühne folgerichtig oft erst auf den zweiten Blick, nachdem man sie in den Videoprojektionen überlebensgroß längst schon wahrgenommen hat. Auch in „Play…“ ist das so, da sitzt beispielsweise das Alter Ego des grüblerischen Theatermannes rechts hinter der Gaze, spärlich aber stimmungsvoll von einer alten Schreibtischlampe beleuchtet.

Eigene Ideen

Voges hat durchaus noch Autoren inszeniert, etwa den „Theatermacher“ von Thomas Bernhard zur Wiedereröffnung des Großen Hauses. Größte Aufmerksamkeit jedoch wurde ihm zuteil, wenn er eigenen Ideen folgte, wie etwa bei der „Borderline-Prozession“ oder der „Parallelwelt“ in Zusammenarbeit mit dem Berliner Ensemble. In lebhafter Erinnerung bleiben einige Bühnenbilder wie das schwebende Haus in „Der Meister und Margarita“ (2012), das – ebenso wie jetzt jenes in „Play…“ – von Michael Sieberock-Serafimowitsch stammte.

Ensemble-Szene (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Permanent überfordert

Kurz vor Schluß knattern am Dortmunder Premierenabend – mit Jahreszahlen – empörende Ereignisse der vergangenen zehn Jahre in Stichworten über die Leinwand, „Halle“ ist eins der allerletzten. Jedes Stichwort, so will dies wohl verstanden sein, ist eine aktuelle politische Herausforderung für das Theater, auf die es reagieren muß. Und was das Theater eigentlich ist, ist ja keineswegs sicher, wie wir aus den radikalen Fragestellungen zu Beginn de Stücks wissen.

Vermutlich befindet sich der Regisseur also in einer permanenten Überforderungs-Situation, und seine „Zwangsneurose“, als Stichwort wiederholt ins Textgeschehen geworfen, macht es nicht besser. Hoffentlich findet er noch etwas Erholung, bevor er in Wien antritt. Dort spielt man derzeit übrigens ein reiches Repertoire, und man darf gespannt sein, ob Voges dies mit „neuen Formen“ (sic!) des Theaters ändern wird.

Was kommt da auf die Wiener zu?

Bißchen Gesellschaftstratsch noch zum Schluß: Auch Bodo Harenberg hatte seinen Weg ins Theater gefunden, erfolgreicher Dortmunder Verleger und Wahl-Wiener; möglicherweise, aber das ist reine Spekulation, ist er ja gefragt worden, was da auf seine österreichischen Nachbarn zukommt.

  • Termine: 16., 23. und 25. Oktober (jeweils 19.30 Uhr).
    Karten (9 bis 23 Euro) Tel. 0231/50 27 222 und www.theaterdo.de
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