Bonner Ausstellung sucht nach „Peinlichkeiten“ in der Kunst

Maria Lassnig: „Selbst als Almuth“ oder „Selbst als Almkuh“ (beide Titel sind zu finden), 1987, Öl auf Leinwand (Bild: Bundeskunsthalle / VG Bild-Kunst, Bonn 2022 / Maria Lassnig Stiftung)

Auch das „Advanced Learner’s“, das im Bücherregal seit ewigen Zeiten ein weitgehend unbehelligtes Dasein fristet, kannte es nicht, das Wort „camp“ in seiner besonderen Bedeutung für das Kunstgeschehen. Also Wikipedia, wo zu lesen ist, daß „camp“ „eine stilistisch überpointierte Art der Wahrnehmung kultureller Produkte aller Art (Film, Musik, Literatur, Bildende Kunst, Mode, Schminke etc.) (meint), die am Künstlichen und der Übertreibung orientiert ist“. Je nachdem kann man auch „campy“ sagen, das ist dann aber schon etwas despektierlich. Wieso interessiert der Begriff „camp“? Weil die Bundeskunsthalle in Bonn jetzt in einer Ausstellung Kunst zeigt, die – auch, manchmal – campy ist. Oder sein soll.

Schlagworte

„Ernsthaft?! Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst“ heißt die Schau, deren Titel den Betrachter zunächst einmal ziemlich ratlos macht. Auch ein weiteres Schlagwort des textlichen Begleitmaterials, die „enthusiastische Peinlichkeit“, bringt ihn nicht wirklich weiter. „Peinlich“ ist uns ja vor allem als wertender Begriff aus dem Teenager-Sprech gegenwärtig („Mama/Papa, du bist peinlich“). Aber peinliche Kunst? Das läßt fast an Nazi-Formeln denken. Oder ist das alles nur Scherz? Wohl nicht.

Trubel im historischen Vergnügungspark – Blick in die Austellung mit Arbeiten von Adrien Rovero und Jim Shaw (Foto: Mick Vincenz, 2022, © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Historisch

Die Kunst, die in Bonn gezeigt wird, ist schön, aber weniger spektakulär als der Ausstellungstitel befürchten läßt. Verständlicher wird das ganze, wenn man auf die insgesamt sieben Kapitel schaut, in denen Jörg Heiser und Cristina Ricupero als Kuratoren „enthusiastische Peinlichkeit“ zu entdecken vermeinen. Grellrotbunter Blickfang – und erklärtermaßen Kapitel Nr. 1 – ist in prominenter Raumesmitte eine Installation von Adrien Rovero, die mit der Anmutung eines historischen Vergnügungsparks spielt. Hier wird das eigentlich Kleine groß und bunt und dramatisch gemacht, um Aufmerksamkeit zu erlangen. In dieses Umfeld wurde Jim Shaws ebenfalls ziemlich raumgreifende Arbeit „Labyrinth: I Dreamt I was Taller than Jonathan Borofsky“ (2009) platziert, deren Elemente wirken wie überdimensionierte  Pappe-Aufsteller mit großem Mitteilungsdrang. Auf der einen Seite werden anonyme Menschenmassen zusammengepfercht, während auf auf der anderen  ein überdimensionaler Staubsauger mit Ganovengesicht Menschen aufsaugt, die in Panik zu fliehen versuchen. Dominiert wird das alles von einem riesigen, traurigen Clown mit Vollbart, Tutu und Netzstrümpfen.

Vorbild für Rovero war der Luna Park auf Coney Island (New York), der 1903 als erster seiner Art eröffnete. Gemessen an Titel und Anspruch der Schau könnte man also fragen: Enthusiasmus? Na ja. Albernheit? Nicht wirklich. Aber auf jeden Fall ein kluges Spiel mit Proportionen in einer skulpturalen Überwältigungsarchitektur.

Wenn sie nur nicht so schielen würden! Hans-Peter Feldmann malte das Paar mit schielenden Augen (Cross-eyed couple) 2012. Öl auf Leinwand (Foto: Bundeskunsthalle, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Jan Windszus)

Was Künstler wollen

Die meisten anderen Werke sind erheblich kleiner, stehen im Raum oder hängen an der Wand, doch fast immer schwebt ein gerüttelt Maß Ambivalenz über dem Ganzen, zumal die Ausstellung der Frage wenig Bedeutung beimißt, ob Albernheit, Peinlichkeit und ähnliches nun der künstlerischen Intention entsprechen oder im Widerspruch zu ihr stehen.

Bei „Dada“ (zweites Kapitel) fällt die Antwort leicht; die Welt, der im Weltkrieg alle Gewißheiten abhandengekommen waren, sollte sich in der Kunst spiegeln, im „respektlosen Humor“ (Katalog) etwa von Alfred Jarry oder Marcel Duchamp. Die schrillen fotografischen Selbstinszenierungen der Baroness Elsa von Freytag-Lohringhoven aus den 20er Jahren wirken in diesem Kapitel gut aufgehoben. Eine Radierung Pieter Bruegels d.Ä. von 1642 („Die Narren“) hier unterzubringen, wollen wir allerdings mutig nennen. Doch eigen ist ihr wie den anderen Genannten, daß der Künstler der erklärte, quasi aktive Possenreißer ist.

MRZYK et MORICEAU: „Ohne Titel“, 2021, Tinte auf Papier (Foto: Bundeskunsthalle, © Courtesy the artists and Air de Paris, Romainville, Marc Domage)

Musentempel

„Das moderne Museum“ ist  Kapitel III übertitelt, das den Widerspruch zwischen der Feierlichkeit des Musentempels mit seinen Vorschriften, Absperrungen, Sockeln und der Respektlosigkeit der Künstler sehr schön pointiert. Hier gibt es Surreales von Magritte und de Chirico zu sehen, knallbunte Publikumsverhöhnung von James Ensor und einiges von Martin Kippenberger, dem die Bundeskunsthalle vor einiger Zeit ja eine umfangreiche Retrospektive widmete. Da hing viel Gutes, und etwas beispielsweise aus dem Projekt „Lieber Maler male mir“ hätte auch der aktuellen Ausstellung sicherlich gutgetan.

Kuratoren-Slapstick

„Trockenen Humor“ macht die Ausstellung in manchen Hervorbringen der Minimal Art/Konzeptkunst aus. „Man kann dieses Kapitel als einen sehr kühlen White Cube beschreiben, mit sich bewegenden Wänden und sich verschiebenden kleinen Objekten von Robert Breer und Sigmar Polke, mit Kuhportraits von Jef Geys oder den gefundenen, von Wollfäden umspannten Sonntagsmalereien von Lara Favaretto. Zusammen bilden diese Werke einen (fast) stummen Slapstick-Film“, meint die Pressemappe. Erfolgte der Aufbau der Arbeiten mithin in diffamierender Absicht? Selbst wenn es so wäre, kann der Rezensent den unernsten Eindruck aus eigener Anschauung nicht bestätigen, den die Ausstellungsmacher offenbar von dieser Kunst haben. Und es fragt sich schon, warum gerade sie schlecht wegkommt bei diesem gewaltigen Rundumschlag der Kunstbetrachtung.

Der schlechteste Regisseur aller Zeiten darf  nicht fehlen

Erstmal geht es jetzt aber weiter mit den B-Movies, entsetzlich schlecht gemachten Horrorfilmen aus den 50er Jahren, mit denen sich bekanntlich untrennbar der Name des Regisseurs Ed Wood verbindet, des „schlechtesten Regisseurs aller Zeiten“. Doch auch andere machten peinliche Filme (hier paßt das Wort direkt mal), die Bonner Ausstellung zeigt Filmplakate auch von Hervorbringungen wie „Die Satansweiber von Tittfield“ oder „Angriff der Killertomaten“ sowie aus dem asiatischen Raum.

Da wundern sich die Kuscheltiere: Paul McCarthys „Skunks“ von 1993 haben bemerkenswerte Pimmel. (Foto: rp)

Lustige Figuren

Die letzten Kapitel schließlich arbeiten sich an bereits erwähnten Begriff „camp“ und an „Post-Surrealismus/Post-Internet“ ab, an gegenwärtiger Kunst, deren Peinlichkeits- bzw. Spaßvaleurs, falls vorhanden, sich nicht immer unmittelbar erschließen. Auf dem Weg durch die Kapitel, der übrigens weit davon entfernt ist, so etwas wie eine Zwangsführung zu sein, gibt es jedenfalls viel Lustiges zu sehen. Besonders gefällt Hans-Peter Feldmanns Ölgemälde eines wohlhabenden bürgerlichen Ehepaars des 19. Jahrhunderts, das nur leider ganz grauenvoll schielt und dem damit jede Feierlichkeit abgeht. Auch Feldmanns Nofretete, hier mit Zweitauge, schielt zum Gotterbarmen.

Das Dortmunder Fotografenehepaar Anna und Bernhard Blume ist mit Bildern aus der „Holterdiepolter“-Serie von 1977/78 ebenso vertreten wie Isa Genzken mit ihrer Figureninstallation „Family on the Beach“ (2015) oder George Grosz mit der Zeichnung „Schwejk: ,melde gehorsamst, daß ich blöd bin’“ von 1928. Ausgesprochen stark ist Maria Lassnigs „Selbst als Almuth“ (oder „Selbst als Almkuh“) (1987), geradezu umwerfend sind Paul McCarthys „Skunks“ von 1993 mit ihren stattlichen Pimmeln, wie sie sich für süße Stofftiere doch eigentlich nicht gehören, auch wenn sie überlebensgroß sind.

Ein Platz in der Kunstgeschichte?

Und so weiter, man könnte endlos aufzählen. Dabei fällt schon auf, daß der Auswahl der Werke eine gewisse Beliebigkeit eigen ist, die im Gegensatz zu den relativ eng gefaßten Betextungen steht. Ob der Begriff der Peinlichkeit, der enthusiastischen zumal, seinen Platz in der Kunstgeschichte finden wird? Dann hätten sich die Kuratoren ein veritables Denkmal gesetzt. Immerhin hat es schon mal für eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle gereicht, hernach wird sie in Hamburg (Deichtorhallen/Sammlung Falckenberg) und in Graz zu sehen sein.

  • „Ernsthaft?! Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst“, Bundeskunsthalle, Bonn, Helmut-Kohl-Allee 4
  • Bis 10. April 2023.
  • Eintritt 13 Euro, erm. 6,50 Euro, bis enschl. 18 Jahre frei.
  • Allg. Informationen Tel. 0228 9171 200

www.bundeskunsthalle.de

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