Vor 50 Jahren: Nazis stellten die Moderne an den Pranger / Zur Ausstellung „Entartete Kunst“ von 1937

Von Bernd Berke

Wieder einer jener schandbaren Gedenktage, von denen wir Deutschen aus eigener Schuld so viele haben: Am 19. Juli 937, vor genau 50 Jahren, wurde in den Münchner Hofgartenarkaden die Hetz-Ausstellung gegen die damals so genannte „Entartete Kunst“ eroffnet. Mit dieser Veranstaltung, die 730 Werke von 112 Kunstlern umfaßte, denunzierten die Nazis die gesamte Moderne der Kunst. Die Namen der damals an den Pranger gestellten Künstler lesen sich heute als ,,Ehrenliste“: Barlach, Beckmann, Chagall, Corinth, Dix, Ernst, Feininger, Grosz, Kandinsky, Kirchner, Kokoschka, Lehmbruck, Macke, Marc, Nolde, Picasso seien nur stellvertretend genannt.

Die Auswahl (sprich: entschädigungslose Beschlagnahme in Museen und bei Privatsammlern) besorge – im Auftrag des früh gescheiterten Möchtegern-Malers Hitler – der damalige Präsident der .„Reichskammer der Bildenden Künste“, Adolf (,,Meister des Schamhaars“) Ziegler, der sich vor allem mit erbarmungslos kitschigen Aktbildern hervorgetan hatte. Von solcher Art waren denn auch die Bilder, die – zeitlich parallel – im Münchner ,,Haus der deutschen Kunst“ den mißliebigen ,,Modernen“ als Beispiel vorgehalten wurden.

Rund zwei Millionen sahen die Wanderausstellung in München, Berlin, Leipzig, Düsseldorf und Frankfurt. Die NS-Machthaber karrten selbstverstandlich ganze Schulklassen oder BDM-Gruppen an die Ausstellungsorte. Allerdings: Nicht alle Besucher verspürten jenen propagandistisch geschickt aufgestachelten Haß auf jegliches Unbekannte und Verstörende, der sich manchmal auch darin entlud, daß Bilder in der Ausstellung bespuckt wurden. Gar mancher kam jedoch aus (heimlicher) Liebe zu diesen Kunstwerken und nutzte damit die fiür lange Zeitletzte Gelegenheit, sie in Deutschland öffentlich zu sehen.

Zunachst hatte es noch Tendenzen gegeben, den Expressionismus als ,,nordische Kunst“ für NS-Zwecke zu vereinnahmen. Propagandaminister Joseph Goebbels besaß privat einige Bilder yon Emil Nolde, den auch seine Parteimitgliedschaft hernach nicht vor Aussonderung bewahrte. Es setzte sich die breitere Strömung durch: die Kampfansage an alle Kunstrichtungen, die nicht einem verlogenen Klassizismus huldigten, mithin an die gesamte Moderne, besonders nachdrücklich aber an offen sozialkritische Kunst wie die eines Otto Dix und eines George Grosz.

Seele des Kleinbürgers zum Kochen gebracht

Nach der infamen Wanderschau, die die Kunstwerke bewußt lieblos und möglichst nachteilhaft prasentierte, sie aber sicherheitshalber noch mit höhnischen Kommentaren versah, wurden zahllose Werke verfemter Kunstler am 30. Juni 1939 bei einer Auktion im schweizerischen Luzern zu Spottpreisen verschleudert; ein Großteil davon ist deshalb heute in Großbritannien oder den USA zu finden. Bereits im Marz 1939 hatte man auf dem Hof der Berliner Hauptfeuerwache noch kürzeren ProzeB gemacht: Tausende von nicht genehmen Kunstwerken wurden dort verbrannt.

Verfolgung und Vernichtung aller ernstzunehmenden Kunst, mit Ausstellungs- oder gar Malverbot einsetzende Drangsalierung von Künstlern bis hin zur Ermordung, kamen natürlich nicht aus heiterem Himmel. Das Regime nutzte die Entfremdung breiter Schichten von der modernen Kunst, es nutzte tiefsitzende Vorurteile, die schon in der wilhelminischen Kaiserzeit gepflanzt warden waren. Die Seele manches zu kurz gekommenen Kleinbürgers mußte nur noch zum Kochen gebracht werden – und darauf verstand man sich im .„Dritten Reich“. NS-Maßnahmen gegen Künstler begannen auch nicht etwa erst 1937, sondern schon 1933 – in Reden Hitlers, die bereits sehr deutliche Drohungen enthielten, aber auch ganz konkret, z. B. mit der Schließung des ,,Bauhauses“ schon im Jahr der „Machtergreifung“.

Wozu diese Erinnerungen? Wir sind doch weit weg von jenen Zeiten, haben zahllose neue Museen gebaut, die damals verfemten Bilder erzielen Höchstpreise und die großen Ausstellungen sind überlaufen… Jedoch: Hat es in unserer Republik etwa keine Ausfälle und Ausschreitungen gegen Kunst gegeben (Beuys, Serra, Vostell usw.)? Und: Wer versichert uns, daß die jüngst erhobene Forderung, .„endlich wieder“ Nazi-Kunst in unseren Museen zu zeigen, nicht eines Tages aggressiver, mit gefährlicheren Argumenten und emflußreicheren Fürsprechern vorgebracht wird?

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 2 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Geschichte, Gesellschaft, Kunst & Museen, Politik und so abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.