„Menschheitsdämmerung“ – die Bochumer Symphoniker erinnern vielfältig an 1914

Georg Heym gilt als Begründer der expressionistischen Lyrik.

Georg Heym gilt als Begründer der frühen expressionistischen Lyrik. 1911 verfasste er die wichtigen Gedichtsammlungen „Die Stadt“ und „Der Krieg“.

1914 – Das Gedenken an einen der markantesten Punkte der deutschen/europäischen Geschichte, von manchen als Ur-Katastrophe des Kontinents bezeichnet, ist vielfältig. Das Jahr, in dem der 1. Weltkrieg ausbrach, und heuer ein Zentenarium zurückliegt, haben Historiker und andere Geisteswissenschaftler zum Anlass genommen, um in Buchform erneut auf die Ereignisse zu blicken – sei es in Form einer Gesamtschau oder in der Fokussierung auf Einzelaspekte. Zahlreiche Museen, auch und besonders in Nordrhein-Westfalen, wollen das Interesse ebenfalls wecken – mit zahlreichen Dokumenten oder Zeugnissen der Kunst jener Zeit.

Vom Allgemeinen zum Besonderen: Die Bochumer Symphoniker haben einen Reigen namens „Endspiel“ aufgelegt – Konzerte, Musiktheatralisches, Lesungen und ausgewählte Bildbetrachtungen (in Kooperation mit dem Museum Bochum) sollen nicht zuletzt auf die Verflechtung der Künste in der Vorkriegszeit hinweisen. Das Schlüsselwort ist der Expressionismus, der in der Literatur die Einsamkeit des Menschen im Moloch Großstadt anprangert, dann wieder jubilierend vom Aufbruch in bessere Zeiten schwärmt, oder in aller Düsternis die Schrecken des „großen Krieges“ vorausahnt. In der Musik wiederum entsteht eine Gegenbewegung zu Romantik und Impressionismus – Arnold Schönberg und die „2. Wiener Schule“ lösten sich von alten tonalen Strukturen, beschworen den Ausdruck als wirkmächtigstes Merkmal einer Komposition.

Exemplarisch blicken die Bochumer Symphoniker in einer gesonderten, vierteiligen Reihe auf dieses Wechselspiel von Dichtung (Textauswahl: Werner Streletz) und Musik . Der Titel „Menschheitsdämmerung“ verweist auf das Endzeitdenken vieler Autoren jener Jahre, und der erste Abend, „Verfall und Aufbruch“ überschrieben, zeugt von Ambivalenz: hier die Hoffnung auf neue Ufer, dort Resignation bis hin zur Todessehnsucht. Veronika Nickl und Martin Bretschneider vom Bochumer Schauspiel lesen die Lyrik von Georg Trakl, August Stramm, Ernst Wilhelm Lotz oder Georg Heym eindringlich, ohne ins falsche Pathos zu verfallen. Und wenn Lotz’ Gedicht „Aufbruch der Jugend“ in flammenden Worten vom Wegfegen der Alten, von leuchtenden neuen Welten spricht, und Martin Bretschneider dann fast nüchtern feststellt, Lotz sei im Alter von 24 Jahren in den Schützengräben des 1. Weltkriegs umgekommen, dann wird die grausige Tragik jener Zeit beklemmend greifbar.

Gelesen und musiziert – es spielt das heimische Streichquartett „Bermuda4“ – wird im Bochumer Wassersaal. Gut 160 Menschen hören zu. Der Raum, mit seinen halbrunden Bögen wie ein Gewölbe wirkend, weist erstaunliche akustische Qualität auf. Das Quartett – mit Raphael Christ und Katrin Spodzieja (1./2. Violine), Marko Genero (Bratsche) und Wolfgang Sellner (Cello) – klingt noch in den zartesten Strukturen von Anton Weberns Bagatellen op. 9 sehr präsent. Die aphoristische, spieltechnisch komplexe, fragile Musik des Schönberg-Schülers ist in ihrem Wechsel zwischen Aufbäumen und Ersterben sinnfällige Ergänzung zur expressionistischen Lyrik.

Frühe Werke Weberns wiederum – „Langsamer Satz“ (1905) und Rondo (1906) – verweist in ihrem dunklen, elegischen Tonfall sogar noch auf Johannes Brahms. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass „Bermuda4“ zum Ausklang dessen 2. Quartett spielt. Mit eindringlicher, teils großer Geste wird die bisweilen fiebrige Musik interpretiert, so ernst und kernig wie strahlend, wenn auch mit wenigen Problemen in der Tongebung.

Die weiteren Termine der Reihe „Menschheitsdämmerung“ sind der 11. und 25. Mai sowie der 22. Juni (Beginn jeweils 19 Uhr).

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