Subversive Untertöne: Sergej Prokofjews „Die Verlobung im Kloster“ in Dortmund

Valery Gergiev ist künstlerischer Leiter und Intendant des Mariinsky-Theaters in St. Petersburg (Foto: Alexander Shapunov/Konzerthaus Dortmund)

Valery Gergiev ist künstlerischer Leiter und Intendant des Mariinsky-Theaters in St. Petersburg (Foto: Alexander Shapunov/Konzerthaus Dortmund)

1936 löste Sergej Prokofjew seine Wohnung in Paris auf. Just in den finsteren Jahren des stalinistischen Terrors zog er mit seiner Frau und zwei Söhnen endgültig nach Moskau zurück. Es war nicht nur Heimweh, das ihn zu diesem folgenreichen Schritt bewog.

Nachdem er im Westen darunter gelitten hatte, vor reichen Gönnern, Agenten, Verlegern und Orchesterchefs katzbuckeln zu müssen, verführte ihn Stalins Propaganda vom „Kulturarbeiter an der künstlerischen Front“, vom Künstler „als führendes Mitglied der neuen Sowjetgesellschaft.“

Die Vorteile waren zunächst erheblich. Prokofjew erhielt jährlich garantierte Aufträge, Vorschüsse, eine kostenfreie Wohnung, Studienreisen, kostenlose Schule für die Kinder, freie Krankenversicherung und Sonderprämien. Er feierte große Erfolge, aber die bittere Rechnung blieb nicht aus. In der berüchtigten „Formalismusdebatte“ ritten Kulturfunktionäre scharfe Attacken gegen sein Schaffen. Stalins immerzu schwankende Richtlinien von der wahren Sowjetkunst führten unter Künstlern und Intellektuellen zu einem Klima ständiger Angst.

Auch Prokofjews lyrisch-komische Oper „Die Verlobung im Kloster“, nur ein Jahr vor Hitlers Überfall auf Russland vollendet, wurde als „typische Erscheinung des Formalismus“ gegeißelt und erhielt Aufführungsverbot. Dabei hatte der Komponist für diese sechste seiner insgesamt acht Opern einen heiteren, volkstümlichen Stoff gewählt.

Der Vierakter handelt von Liebeswirren im Sevilla des 18. Jahrhunderts. Zwei junge Paare finden erst nach erheblichen Turbulenzen zueinander, ganz wie im „tollen Tag“ von Mozarts „Le Nozze di Figaro“. Das ist kein Zufall, denn der irische Dramatiker Richard Brinsley Sheridan, der das Theaterstück „La Dueña“ und somit die Vorlage schrieb, war ein Zeitgenosse des französischen Schriftstellers Pierre Augustin Beaumarchais – und damit auch von Mozart.

Als Rarität bereicherte „Die Verlobung im Kloster“ die aktuelle Prokofjew-Zeitinsel im Konzerthaus Dortmund. Die buffoneske Heiterkeit des rund dreistündigen Werks entpuppt sich dabei als keineswegs harmlos. Vielmehr würzte Prokofjew die Partitur mit unterschwelliger Ironie. Sein Gespür für das Lächerliche treibt dabei Blüten, die eine feine Perfidie verströmen.

Auf solch subversive Untertöne verstehen sich Chor, Orchester und Sänger des Mariisnky-Theaters St. Petersburg offenbar blendend. Kraftvolle Motoren des turbulenten Spiels sind Evgeny Akimov (Don Jeronimo) und der kurzfristig eingesprungene Sergei Aleksashkin (Mendoza): ein auf geldwerten Vorteil bedachter Vater der eine, ein ungehobelter, aber reicher Fischhändler der andere. Wie diese beiden miteinander um Don Jeronimos Tochter Luisa schachern, wie sie wüten und sich winden, ist ein köstliches und stimmstarkes Schauspiel. Mendoza, der vermeintlich Bauernschlaue, entpuppt sich dabei als Trottel, weil er sich hereinlegen und mit der alten Hauswirtin abspeisen lässt (spanisch: Dueña). Und Don Jeronimo, der unbedingt den lukrativen Kuhhandel um seine Tochter über die Bühne bringen will, ist einer jener Choleriker, deren Zorn leicht ins Lächerliche verrutscht.

Die Komik gipfelt in einer zirkusreifen Hausmusik-Szene, in der ein Trio aus Klarinette, Trompete und Basstrommel quietschfidel vor sich hin dilettiert, vom Hausherrn aber dauernd unterbrochen wird. Der findet es schließlich angesagt, die Leitung des Trios selbst zu übernehmen. Evgeny Akimov (alias Don Jeronimo) nutzt die Gelegenheit, um Chefdirigent Valery Gergiev zu imitieren: die flatternden Handbewegungen und der auf Zahnstocher-Format geschrumpfte Taktstock haben köstlichen Wiedererkennungswert. Die nächste böse Parodie lässt nicht lange auf sich warten. Im Kloster findet ein allgemeines Besäufnis statt, begleitet von scheinheiligen Chorälen. Die Mönche, die da Wein trinken und lärmen, predigen mit größter Strenge Wasser, sobald der heiratswillige Besuch eintrifft.

Das Orchester des Mariinksy-Theaters ist bei diesen komischen Eskapaden weit engagierter bei der Sache als am ersten Abend der Prokofjew-Zeitinsel. Es nimmt seinen Hang zum knalligen Forte zurück, um den Sängern den Vortritt zu lassen, Ironisches fein zu untermalen und mancher Farce die rechte Farbe zu geben. So löst sich für Prokofjews Figuren und für die Dortmunder Zuhörer alles in Wohlgefallen auf.

 (Die nächste „Zeitinsel“ im Konzerthaus Dortmund gilt dem schwedischen Jazzposaunisten und Sänger Nils Landgren. Informationen: http://www.konzerthaus-dortmund.de/abonnements_details.html?id=253&saison=201415)

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