Dem Schauspiel droht eine Zwangspause – Dortmunder Theater präsentiert Programm

HŠuptling Abendwind und Die Kassierer: Eine Punk-Operette

Weiterhin im Programm des Schauspiels: „Häuptling Abendwind und die Kassierer“. Szene mit (v.l.) Wolfgang Wendland, Mitch Maestro und Uwe Rohbeck (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Schauspiel-Chef Kay Voges wirkte etwas angeschlagen. Nicht sein Tag: Auf dem Weg zur Spielplan-Pressekonferenz des Theaters Dortmund hatte ihn die Polizei angehalten, wegen Fahrens ohne Gurt. Deshalb war er auch etwas zu spät gekommen.

Das dickere Problem des Intendanten indes hat nichts mit dem Führen von Kraftfahrzeugen zu tun. Wie es aussieht, stehen er und sein 16-köpfiges Ensemble ab dem 20. März 2016 ohne Theater da, zumindest ohne Großes Haus. Ab dann nämlich werden die Werkstätten im Haus grundlegend renoviert, ist der Zuschauersaal blockiert.

Sechs Monate ohne Garantie

Mit der Spielzeit 2016/2017 kommt es dann noch ärger: Dann ist nämlich auch das Studio dicht, und wann das Große Haus in Spätsommer/Herbst 2016 wieder verfügbar sein wird, steht in den Sternen. Wer schon einmal mit Bauvorhaben zu tun hatte, weiß um die Unsicherheit planerischer Zeithorizonte. Dauert die Werkstättenrenovierung also länger als die veranschlagten sechs Monate, geht auch in der Saison 2016/2017 erstmal gar nichts im Großen Haus.

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Weiterhin im Programm ist das Ballett „Zauberberg“ von Xin Peng Wang (Foto: Theater Dortmund/Bettina Stöß/Stage Picture)

Umbaupläne waren bekannt

Nun ist das alles nicht neu. Schon vor einem Jahr, ebenfalls anläßlich der Spielplanvorstellungen, hatte Bettina Pesch als Geschäftsführende Direktorin die Renovierung der Werkstätten angekündigt. Es gab auch, seitens der Stadt in Sonderheit durch Kulturdezernent Jörg Stüdemann, Vorstöße zur Ersatzraumbeschaffung.

Doch weder im ehemaligen SAT.1-Studio am Phoenixsee noch im Gebäude des (mittlerweile verzogenen) Ostwall-Museums lassen sich aus verschiedenen Gründen Spielstätten realisieren. Zudem sind im Etat des Schauspiels keine Umzugskosten eingepreist, so daß jetzt keiner so genau weiß, wie es weitergehen soll.

Alles nur Show

Muß der Intendant mit einer „temporären Spartenschließung“ rechnen, sozusagen seine Leute nach Hause schicken? „Das Klima im Ensemble und bei den Mitarbeitern ist sehr beunruhigt“, berichtet Kay Voges. Sein Spielplan ist denn auch, der Sachlage geschuldet, zum Ende hin noch etwas unfertig.

Doch am Anfang wird geklotzt. Am 23. August spielt das komplette Ensemble mit, wenn „Die Show“ über die Bühne geht. Das „Millionenspiel um Leben und Tod“ (Untertitel), geschrieben von Voges, Anne-Kathrin Schulz und Alexander Kerlin, nimmt auf den gleichnamigen TV-Klassiker von Tom Toelle und Wolfgang Menge aus dem Jahr 1970 ebenso Bezug wir auf den aktuellen Wahn der Casting- und Container-Shows, und ist natürlich selber eine Mega-Show, die spannend zu werden verspricht.

Heiner Müller und Sylvester Stallone

Das Berliner „Zentrum für politische Schönheit“ wagt in „2099“ den Blick zurück auf unsere Jetztzeit und erzählt dem Publikum, wie alles weiterging, Jörg Buttgereit, dem Haus als „Splatter-Kultregisseur“ treu verbunden, steuert, inspiriert vom Film „Der Exorzist“, seine Studioproduktion „Besessen“ bei. Erwähnt seien noch „RAMBO plusminus ZEMENT“ – Heiner Müller meets Sylvester Stallone in einem „Live-Film“ von Klaus Gehre – und „Das Maschinengewehr Gottes“, eine Kriminal-Burleske von Wenzel Storch, dem Katholizismus-Geschädigten aus dem Wigwam.

Etwas einsam schaut aus all dem neumodernen Premieren-Material Becketts „Glückliche Tage“ als einziger Klassiker hervor. Das Programm wirkt hochgradig spannend, auch wenn keinem alles gefallen wird. Bleibt also zu hoffen, daß die Dortmunder Schauspielerinnen und Schauspieler ihr Programm auch spielen können, im Schauspielhaus und anderswo.

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„Jesus Christ Superstar“ von Andrew Lloyd Webber bleibt im Spielplan der Oper. Im Bild Alexander Klaws als Jesus (Foto: Theater Dortmund/Björn Hickmann/Stage Picture)

Paul Wallfisch geht

Ach, eins noch, der Intendant hätte es angesichts der prekären Raumsituation fast zu sagen vergessen: Obermusikus Paul Wallfisch verläßt Schauspielhaus und Dortmund und kehrt nach New York zurück.

Wechseln wir zur Oper, von der Intendant Jens-Daniel Herzog freudig zu berichten weiß, daß die Auslastung die 80-Prozent-Marke in der letzten Spielzeit deutlich übersprungen hat.

Zu den Schwergewichten unter den Premieren zählen hier Richard Wagners „Tristan und Isolde“ (Regie Herzog, musikalische Leitung Generalmusikdirektor Gabriel Feltz) oder auch Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“, für die der renommierte Regisseur Tilman Knabe gewonnen werden konnte.

Auffällig unter den Premieren ist neben Verdis „La Traviata“ und Händels „Rinaldo“ ein Musical-Dreiklang aus Cole Porters Klassiker „Kiss me, Kate“, dem Repertoire-Dauerbrenner „Jesus Christ Superstar“ und dem 2009 uraufgeführten Broadway-Rockmusical „Next to normal“ von Tom Kitt und Brian Yorkey. Gleichsam drei Musical-Epochen kommen also nacheinander auf die Bühne, Herzog hält eine solche Schwerpunktsetzung beim angloamerikanischen Musical für erfolgversprechend und trendgemäß.

Roxy ist weg

Indes ist Paul Abrahams Fußball-Operette „Roxy und ihr Wunderteam“ vom Dortmunder Spielplan verschwunden, ein Werk aus dem deutschsprachigen Repertoire der 30er Jahre nicht im Angebot. Der Trend zur Neu- oder Wiederentdeckung von Operetten verfemter Künstler, zumal des Juden Paul Abraham, der wesentlich von der Berliner Komischen Oper und ihrem sendungsbewußten Intendanten Barrie Kosky ausgeht, hat in Dortmund offenbar keinen langen Nachhall ausgelöst.

Aber „Der Rosenkavalier“ ist unsterblich! 1966 erklang Richard Strauss’ „Komödie für Musik“ zur Eröffnung des Opernhauses, am 12. März 2016 erklingt sie wieder, denn dann wird Dortmunds größte Spielstätte 50.

Im Ballett wagt sich Xin Peng Wang an eine Choreographie für „Faust“, Untertitel „Die Geburt der Gnade“. Kollege Benjamin Millepied stellt Tschaikowskys „Nußknacker“ auf die Bretter. „Drei Farben: Tanz“ und „Zauberberg“ werden wiederaufgenommen, im September 2015 und im Juni 2016 ist Internationale Ballettgala Nr. XXII und XXIII.

Musik für Charlie Chaplin

Die Dortmunder Philharmoniker und ihr Chef Gabriel Feltz wissen von allen Künstlern wohl am genauesten, was in der nächsten Saison gespielt wird. Die Programme der zehn philharmonischen Konzerte unter dem Rubrum „liebes_gefühls_rausch“ stehen fest, ebenso jene der Konzertreihen „Wiener Klassik“ und „Sonderkonzerte“, der Kammerkonzerte, Babykonzerte, Kinderkonzerte und Familienkonzerte.

Kraftvoll arbeiten sich die Musiker durch das klassische Repertoire, unterstützt von etlichen stattlichen Chören. Eine Ausnahme bildet das 2. Sonderkonzert am 29. (Schaltjahr!) Februar 2016. Da sorgt Gabriel Feltz nämlich für den Soundtrack zu Charlie Chaplins Stummfilm-Klassiker „City Lights – Lichter der Großstadt“ aus dem Jahr 1931. Übrigens verkündete auch der Generalmusikdirektor gute Auslastungszahlen: 75 Prozent im Durchschnitt, mehr, als in den vergangenen zehn Jahren erreicht wurden.

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Das Stück „Frau Müller muß weg“ – hier eine Szene mit Bettina Zobel – bleibt im Programm des Kinder- und Jugendtheaters (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Angst um die Spielstätte

Schließlich das Kinder- und Jugendtheater – KJT. Direktor Andreas Gruhns Programm ist gekennzeichnet durch das Bemühen, jugendlichen Themen möglichst nahe zu sein. „In was für einer Welt wollen wir leben?“ wabert als eine Art universeller Leuchtschrift über der Liste recht unterschiedlicher Produktionen.

Da gibt es in zielgruppengerechter Adaption zum Beispiel Schillers „Wilhelm Tell“ zu sehen, und gänzlich unkaputtbar ist Oscar Wildes „Gespenst von Canterville“ auch im Dortmunder KJT eine Stütze des Repertoires. Es gibt etwas für Kinder ab 3 („Als die Musik vom Himmel fiel“) und etwas Religiöses für „Kommunionkinder“, es gibt Kooperationen und ein mobiles Stück für Klassenräume („Gespenstermädchen“ von Christine Köck und Rieke Spindeldreher) – und es gibt bei den Wiederaufnahmen weiterhin Lutz Hübners Erfolgsgeschichte „Frau Müller muß weg“.

Auch über Andreas Gruhns gefurchter Stirn schwebte unübersehbar ein mittleres Besorgniswölkchen, während er sein Programm vortrug. Denn auch ihm, dem altgedienten Kämpen vom Kinder- und Jugendtheater, droht gleich seinem Kollegen Kay Voges der Verlust der Spielstätte. Schon seit vielen Jahren gilt die Bühne an der Skellstraße als suboptimal, und der Mietvertrag läuft bald aus. Doch blieb die Suche nach einem neuen Ort bislang erfolglos.

 Infos: www.theaterdo.de

 Das neue, ausführliche Programmbuch „15/16“ weist eine muntere, orange dominierte Farbgestaltung auf. Es liegt im Theater und an vielen anderen kulturaffinen Orten aus.

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