„Ein Stück von sich schenken“: Zum 75. Geburtstag der Sängerin Helen Donath

Sie war nie die strahlende Diva, aber auch nie ein schüchternes Mauerblümchen; sondern stets eine Sängerin, die mit Stimme und Karriere verantwortungsvoll und vorsichtig umgegangen ist. Und so kommt es, dass Helen Donath am heutigen 10. Juli ihren 75. Geburtstag feiern kann und nach wie vor singt. Bis gestern stand sie als Mrs. Grose in Robert Carsens Inszenierung von Benjamin Brittens „The Turn of the Screw“ auf der Bühne des Wiesbadener Staatstheaters.

Eine Rolle, die sie im Frühjahr auch in Köln gesungen hat, wo ihre Laufbahn vor 53 Jahren begonnen hatte. Die Texanerin Helen Janette Erwin, geboren in Corpus Christi, bekam 1962 ihr erstes europäisches Engagement am Kölner Opernstudio. Damals hatte die 22jährige jedoch schon eine lange Ausbildung hinter sich.

Helen Donath (Foto: Wikipedia Commons/DEDB - Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/)

Helen Donath (Foto: Wikipedia Commons/DEDB – Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/)

Begonnen hat alles, so erzählte sie einst August Everding in einer seiner berühmten „da capo“-Sendungen, mit dem Film „The great Caruso“ von 1951. Helen wollte singen wie Mario Lanza im Film und eignete sich die Tenor-Arien an. Als sie 14 war, gastierte George London in ihrer Heimatstadt – und sie nahm sich ein Herz und sang ihm „Vesti la giubba“ vor – das ergreifende Solo des Canio aus Ruggiero Leoncavallo „Pagliacci“. London muss ziemlich irritiert gewesen sein: Er fragte das Mädchen, was für ein Stimmfach sie denn sei, und Helen antwortete, ziemlich hilflos, mit einem Begriff, den sie vom Programmheft von Londons Konzert abgeschaut hatte: „I am a lady baritone“.

Eine derart exotische Stimme wurde Helen Donath zwar nicht – aber sie entwickelte sich zu einer der führenden lyrischen Sopransängerinnen, vornehmlich im deutschen Fach. Eine Position, der ihr 40 Jahre lang nur wenige streitig machten. George London übrigens traf sie in Köln wieder – auf der Bühne: Er sang in Wieland Wagners „Ring“-Inszenierung den Wotan, sie die zweite Rheintochter. Lange blieb sie nicht in Köln; Rollen wie Liú in Puccinis „Turandot“ oder Micaëla in Bizets „Carmen“ waren nicht das Richtige für die junge Stimme, die unter der Obhut von Londons Lehrerin Paola Novikova behutsam reifen sollte.

In Hannover debütierte sie 1963 in Mozarts „Zauberflöte“ als Pamina – eine Rolle, die für ihre Laufbahn prägend werden sollte. Schon ein Jahr später stellte sie sich mit dem sensiblen Porträt einer gefühlvoll-selbstbewussten jungen Frau bei den Salzburger Festspielen vor.

Mozart sollte ein ständiger Begleiter ihrer Sängerlaufbahn werden: Pamina, Susanna und Zerlina, auch Donna Anna, aber erst im Jahr 2000 Despina („Cosí fan tutte“). Dazu die Sopranpartien in den großen Messen. Donaths Zerlina am Aalto-Theater Essen, die sie in der „Don Giovanni“-Inszenierung von Stefan Herheim zuletzt 2011 gesungen hat, ist in lebendiger Erinnerung: Zerlina als ältere Dame mit Rollator, stimmlich aber jung geblieben und immer noch mit dem hellen, optimistischen Ton, der Helen Donaths anmutigen, feintönigen, stets leuchtend präsent geführten Sopran in ihren Glanzzeiten ausgezeichnet hat.

Hannover wurde auch in anderer Hinsicht bedeutend für die junge Sängerin: Hier lernte sie den Kapellmeister Klaus Donath kennen. Es war „eine Liebe auf den ersten Blick“, sagte sie später. Vor 50 Jahren heirateten die beiden – zum Geburtstag kann also auch Goldene Hochzeit gefeiert werden. Donath half seiner jungen Frau, die Karriere umsichtig aufzubauen. Vor allem aber lernte sie – die in Köln gerade einmal ein paar deutsche Wörter wie „Sauerkraut“ kannte – den Umgang mit der Sprache. Die Texanerin spricht völlig akzentfrei und mit einer Grammatik, um die sie mancher deutschstämmige Gymnasiast beneiden dürfte.

Bei Mozart, aber auch im Liedgesang und in moderner Musik kommt Helen Donath ihr Sprachgefühl zupass: Das Wort steht für sie im Vordergrund. Beim Lernen einer Rolle sei es „das Allererste, dem Text nachzugehen und zu fragen: Was möchte ich ausdrücken?“. Für sie ist es „absolut notwendig, dass das Publikum begreift, was ich ihm im gesungenen Wort vermitteln möchte“. Wer ihre Aufnahmen hört – sie hat wohl mehr als 100 Schallplatten und CDs gemacht –, kann diese Position nachvollziehen: Donath bleibt bei der Artikulation der Texte kompromisslos.

Das zeichnet nicht nur ihre Mozart- und Strauss-Aufnahmen aus. Helen Donath hat sich nicht um neue Musik und nicht um seltene Partien gedrückt. In Köln sang sie in Boris Blachers verschwundener Version des „Romeo und Julia“-Stoffs. In Hannover in Werner Egks ebenso vergessener „Verlobung in San Domingo“. Sie war Luise in Hans Werner Henzes damals brandneuer Oper „Der junge Lord“, sang später auch in Ernst Kreneks „Karl V.“ und in Hans Pfitzners „Palestrina“. Vor neuer Musik hat sie keine Angst: Wer mit Mozart umgehen kann, kann alles singen, ist ihr Bekenntnis. Und mit fortschreitendem technischem Verstehen habe sie auch aktuelle Musik für sich entdeckt – von Aribert Reimann bis John Corigliano.

Helen Donath (rechts) als Mrs. Grose in der Wiesbadener Aufführungsserie von Benjamin Brittens "The Turn of the Screw" in einer für Wien entstandenen Inszenierung von Robert Carsen. Foto: Hessisches Staatstheater Wiesbaden

Helen Donath (rechts) als Mrs. Grose in der Wiesbadener Aufführungsserie von Benjamin Brittens „The Turn of the Screw“ in einer für Wien entstandenen Inszenierung von Robert Carsen. Foto: Karl-Bernd Karwasz / Hessisches Staatstheater Wiesbaden

1967 wechselte sie an die Bayerische Staatsoper München, wo sie in den Folgejahren eine glanzvolle Karriere entfaltete. Sie sang unter George Solti die Sophie im „Rosenkavalier“; Herbert von Karajan holte sie 1970 für seine „Meistersinger“-Aufnahme als Eva. Karajan, so erzählt Donath, wollte keine erwachsene Stimme, sondern ein „Evchen“, naiv, jung und frisch. Erst 16 Jahre nach der Aufnahme hat sie die Partie auf der Bühne gesungen – später unter anderem in Wien und unter Colin Davis in Leipzig.

Als Helen Donath 1970 ihren ersten Münchner Liederabend gab, schwärmte der Kritiker Karl Schumann von „Geschmack und Intelligenz“ und von ihren edelsten vokalen Qualitäten. Ein Urteil, das sich in zahlreichen Lied- und Oratorienaufnahmen nachprüfen lässt. Mit Farbe und Attacke hält sich Helen Donath zurück; vokale Glut oder gar veristische Exaltation sind ihre Sache nicht. Dafür entwickelt sie dramatische Miniaturen aus der Welt des Liedes ganz aus dem Wort und aus der Leuchtkraft eines unbeschädigten Timbres. Auch ihren Strauss-Partien kommt die Sorgfalt in der Formung des Wortes entgegen. In Essen war das zu erleben, als Helen Donath erstmals die Aithra in der „Ägyptischen Helena“ sang, einer Partie, mit der sie 2003 auch in Salzburg großen Erfolg hatte.

Ihre internationalen Engagements führten sie an alle großen Opernhäuser, von London über Mailand und Zürich bis Paris. An der Metropolitan Opera debütierte sie erst 1991 als Marcelline in Beethovens „Fidelio“. In Detroit sang sie die Marschallin im „Rosenkavalier“ mit ihrem Mann Klaus am Pult und in der Regie ihres Sohnes Alexander Donath. An der Wiener Staatsoper debütierte sie 1973 als Pamina und Zerlina, später sang sie auch Sophie, Meistersinger-Eva und zuletzt 2006 Despina in Mozarts „Cosí fan tutte“. Nicht vergessen werden sollten die Operetten, in denen Helen Donath stets geschmackvolle Rollenporträts gestaltet hat.

Helen Donath singt nach wie vor, gibt aber auch Meisterkurse, um ihren reichen Erfahrungsschatz an die junge Generation weiterzugeben. Beim Singen komme es darauf an, die Stimme reifen zu lassen, sagt sie. Mit Sorge sieht sie, wie junge Menschen heute um des schnellen Erfolges willen unfertig auf den Bühnen verschlissen werden. „Das Wichtigste beim Singen ist, ein Stück von sich zu schenken“ – diese Botschaft liegt ihr am Herzen.

Am 23. Oktober 2015 gibt Helen Donath gemeinsam mit ihrem Mann Klaus Donath einen Liederabend in der Düsseldorfer Oper, wo sie wieder einen Meisterkurs mit dem Opernstudio hält. Der Titel des Abends: „Ein glückliches Sängerleben“.

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 9 times, 1 visit(s) today

Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
Dieser Beitrag wurde unter Lebenswege, Oper & Ballett abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert