Rausch und Ruhm eines Selbstzerstörers: „Panikherz“ nach Stuckrad-Barres Roman am Berliner Ensemble

Alkohol und Ecstasy, Kokain und Heroin: Er lässt nichts aus. Keine Droge ist ihm genug. Immer lebt er auf der Überholspur, hat unstillbare Sehnsucht nach dem großen Kick, dem Außergewöhnlichen, der Entgrenzung, dem totalen Erlebnis. Doch immer wieder findet er nur Absturz und Enttäuschung.

"Panikherz"-Szene mit Carina Zichner (li.), Nico Holonics (vorn) und Laurence Rupp (hinten). (Foto: © Julian Röder)

„Panikherz“-Szene mit Carina Zichner (li.), Nico Holonics (vorn) und Laurence Rupp (hinten). (Foto: © Julian Röder)

Irgendwann ist der Schriftsteller und Szene-Reporter, Gag-Schreiber und Selbstdarsteller vollkommen am Ende. Er kann die Hotelrechnung nicht mehr bezahlen und ist ein hoffnungsloser Fall für die Psychiatrie. Da taucht aus dem Nebel der Fantasie Udo Lindenberg auf: „Keine Panik auf der Titanic“, raunt Udo ihm ins Ohr, hinter dem Horizont geht´s weiter, ein neuer Tag“!

„Panikherz“ heißt der autobiographische Roman von Benjamin von Stuckrad-Barre, in dem er Rausch und Ruhm eines notorischen Selbstzerstörers ebenso dringlich wie selbstironisch beschreibt. Oliver Reese hat die von Narzissmus, Drogenexzess und Sinn-Suche handelnde Pop-Literatur für die Bühne bearbeitet und aus dem 500-seitigen Roman-Ungetüm eine Theater-Collage von gerade einmal 40 Seiten herausdestilliert.

Neuer Intendant wagt sich aus der Deckung

Bisher hatte der neue Intendant am Berliner Ensemble Gast-Regisseuren wie Frank Castorf und Michael Thalheimer den Vortritt gelassen und einige ältere Inszenierungen vom Schauspiel Frankfurt (Main) nach Berlin umgetopft. Mit „Panikherz“ wagt sich Oliver Reese jetzt erstmals selbst aus der Deckung: Es ist ein Triumph. Das liegt weniger an Stuckrad-Barres oft witzigen, aber auch mindestens genauso oft nervigen und überdies obsessiv-egozentrischen Text-Bausteinen, als vielmehr an der grandiosen Schauspiel- und hinreißenden Gesangs-Kunst seiner Darsteller.

Weil Stuckrad-Barre viele sich widersprechende Facetten in sich vereint, steht er gleich viermal auf der Bühne: Nico Holonics, Bettina Hoppe, Laurence Rupp und Carina Zichner, sie wuseln sich durch ein wild-verrücktes Leben, liefern sich rhetorische Scharmützel, spielen sich die biografischen Bälle zu, fallen sich ins Wort, zerstören genüßlich das Selbstbild des kleinen Jungen aus der niedersächsischen Provinz, der sich als Musik-Kritiker erste Meriten verdient, irgendwann das ganz große Rad dreht und zum It-Boy der Kultur-Schickeria wird.

Nico Holonics und Bettina Hoppe. (Foto: © Julian Röder)

Nico Holonics und Bettina Hoppe. (Foto: © Julian Röder)

Songs von Nirvana, Oasis, Rammstein und Udo L.

Zum Soundtrack über Aufstieg und Fall eines selbsternannten Superstars spielt eine fünfköpfige Live-Band den passenden, fetzigen Rock´n´Roll. Songs von Nirvana, Oasis und Rammstein wummern aus den Lautsprechern. Und, natürlich, immer wieder Lieder von Udo Lindenberg. Der Mann mit der Sonnenbrille und dem schnoddrigen Genöle ist Ratgeber und Rettungsanker. Ohne Udos Lebenshilfe würde der kaputte Benjamin wohl längst in irgendeinem Grab vermodern.

Die Band zersplittert die alten Songs und setzt sie wieder ganz neu zusammen. Die vier wunderbar wandelbaren Mimen singen sich dazu die Kehle wund und turnen durch Zeiten und Räume. Literatur und Leben, Wunsch und Wirklichkeit vermischen sich. Das Theater wird, ganz klassisch, zum Ort der (Selbst)Erkenntnis, Reinigung und Erlösung. Keine Panik: die Kunst heilt jede Wunde und kann jede zerfaserte Biografie wieder richtig zusammensetzen.

„Panikherz“. Berliner Ensemble, nächste Aufführungen am 20. und 28. Febr., 9. und 16. März, Karten unter 030/28408155.

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