Seltene Fresken in der gräflichen Gruft – ein überraschender Fund im Arnsberger Kloster

Nicht leicht zu erkennen: Kreuzigungsszene als mittelalterliches Fresko im Arnsberger Kloster Wedinghausen. (Foto: Bernd Berke)

Nicht ganz leicht zu erkennen: Kreuzigungsszene als mittelalterliches Fresko im Arnsberger Kloster Wedinghausen. (Foto: Bernd Berke)

Mh, was gibt es denn hier zu sehen? Mal ganz ehrlich: Dieser archäologische Fund wirkt beim ersten Hinsehen für Laien ziemlich unscheinbar. Man muss schon von kundigen Fachleuten angeleitet werden. Wenn man die Hintergründe erfährt, erhellt sich die Sache und man ahnt die Bedeutung.

Tatsache ist: Im Kloster Wedinghausen zu Arnsberg haben Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) im Zuge von Sanierungsarbeiten Fresken aus der Zeit um 1320 bis 1340 freigelegt. In Westfalen wurde so etwas noch nie gefunden, ja, in ganz Europa gibt es kaum Vergleichbares.

Nicht ohne pflichtgemäßen Heimatstolz spricht Arnsbergs Bürgermeister Ralf Bittner von einer – nun ja – „Sensation“. Barbara Rüschoff-Parzinger, LWL-Kulturdezernentin und selbst ausgebildete Archäologin, kündigt scherzhaft an: Demnächst werde sie wieder einmal in Flandern sein und könne dann mit dieser westfälischen Neuentdeckung punkten. Offenbar haben die dortigen Kolleginnen und Kollegen gelegentlich schon Zweifel am Fundreichtum in Westfalen geäußert. Was es mit Flandern sonst noch auf sich hat, dazu kommen wir gleich noch.

Kreuzigungsszene im gotischen Stil

Jetzt erst mal näher hingeschaut: Das seinerzeit frisch („ al fresco“) und daher eilends auf den noch nassen Putz gemalte Bild zeigt eine Kreuzigungsszene (so genannter „Dreinagel-Typus“) im gotischen Stil, und zwar am Fußende einer Grabkammer, die sich wiederum in der Mitte des ehemaligen Kapitelsaals befindet. Und was ist nun zu sehen? In der Mitte hängt Jesus am Kreuz, links steht sein Lieblingsjünger Johannes, rechts trauert Maria, die Hände vor der Brust gefaltet. Den Raum zwischen den Figuren füllt kunstvoll ausgeführtes Rankenwerk.

Wollt ihr auch noch das typische Lokalteilfoto? Bitte sehr, hier ist es. Es beugen sich über die Fundstelle (von links): Ausgrabungsleiter Wolfram Essling-Wintzer, LWL-Kulturdezernentin Barbara Rüschoff-Parzinger, Prof. Michael Rind (LWL-Direktor für Archäologie), Arnsbergs Bürgermeister Ralf Bittner und Propst Hubertus Böttcher. (Foto: Bernd Berke)

Foto mit hohem Lächelfaktor gefällig? Bitte sehr, hier ist es. Es beugen sich über die Fundstelle (von links): Ausgrabungsleiter Wolfram Essling-Wintzer, LWL-Kulturdezernentin Barbara Rüschoff-Parzinger, Prof. Michael Rind (LWL-Direktor für Archäologie), Arnsbergs Bürgermeister Ralf Bittner und Propst Hubertus Böttcher. (Foto: Bernd Berke)

Das Bild gehört zur Grabkammer der gräflichen Stifterfamilie, der man also das ganze, 1173 gegründete Prämonstratenser-Kloster zu verdanken hatte. Die Kreuzigungsszene verwies natürlich auch auf die Auferstehung und somit aufs erhoffte Seelenheil der Grafen. Dass das Bild in einer Gruft den Blicken entzogen wurde, hat vermutlich keinem der damaligen Zeitgenossen etwas ausgemacht. Es war keine Epoche der Schauwerte. Konservatorisch betrachtet, war das Überdauern in der Dunkelheit jedenfalls ein Segen.

Das empfindliche Bild für die Zukunft bewahren

Ausgrabungsleiter Wolfram Essling-Wintzer war, als die Fresken im Oktober 2017 unverhofft zum Vorschein kamen, nach eigenem Bekunden „verzückt“ von der gut erhaltenen Leuchtkraft, die nun freilich durch besonders sorgsamen Umgang für die Zukunft bewahrt werden muss. Schließlich sind die Fresken ja nicht mehr durch die geschlossene Gruft geschützt. Die Untersuchungen sollten jetzt zügig vonstatten gehen, damit das kostbare Bild sehr bald wieder möglichst wenigen Umwelteinflüssen ausgesetzt ist. Die Zeitfrage ist vor allem auch eine Geldfrage. Deshalb engagiert sich hier die Deutsche Stiftung Denkmalschutz mit finanziellen Mitteln.

Schon hat man den gesamten Fund mit 3D-Fotografien festgehalten und rundum eingescannt, so dass künftig ein virtuelles Museum denkbar wäre, in dem man das abgedunkelte Original allenfalls durch einen schmalen Sehschlitz betrachten dürfte. Vorerst ist der Fund überhaupt nicht zur öffentlichen Besichtigung freigegeben.

Hubertus Böttcher, als Dechant und Propst sozusagen der heutige Hausherr im Kloster, schwärmt von der Aura der Fundstelle und favorisiert eine Lösung, die auch jüngere Leute anspricht, sie in eine andere Zeit eintauchen lässt. Seine nicht nur diesseitige Vision geht weiter: In absehbarer Zeit sollen junge, zölibatär lebende Männer aus Brasilien im restaurierten Klostergeschoss (eine Etage über der Gruft) einziehen und den Ort womöglich zum geistlich-geistigen Zentrum machen – ganz im Sinne ihrer „Katholischen Gemeinschaft Shalom“.

Mächtiger Pfeiler als Zeugnis der Barbarei

Doch zurück zum Bodendenkmal und zur Fundsituation: Bei einer gewaltsamen Grab-Plünderung anno 1804 (nach Aufhebung des Klosters) kamen drei Schädel abhanden, nur Knochenbruchstücke blieben übrig, die man jetzt auswerten kann. Leider findet sich in der Grabstätte noch ein weiteres Zeugnis brachialer Barbarei. Ebenfalls zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde nämlich das Fundament eines mächtigen Pfeilers achtlos mitten hinein gesetzt. Andernfalls wäre die 2,10 Meter lange und 80 Zentimeter breite Grablege heute noch ungleich besser und vollständiger erhalten. Zum Glück hat man auch viele abgeplatzte Wandstückchen gefunden, die sich mit neuesten Computerprogrammen als virtuelles Puzzle wieder zusammensetzen lassen. Dann wird man ungefähr wissen, was an den Fresken fehlt.

Teilansicht des Arnsberger Klosters Wedinghausen, das derzeit gründlich restauriert wird. (Foto: Bernd Berke)

Teilansicht des Arnsberger Klosters Wedinghausen, das derzeit gründlich restauriert wird. (Foto: Bernd Berke)

Knochenreste wurden gleichfalls in der gräflichen Gruft entdeckt. Man hofft, mit den heutigen Methoden (DNA-Analyse) schon bald nachweisen zu können, dass die hier beigesetzten Verstorbenen miteinander verwandt waren. Dann müsste es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um die Grafen Heinrich I. und Heinrich II. handeln, die dritte Person dürfte Ermengardis sein, die Gattin Heinrichs II. Mehr noch: Anhand von DNA-Proben könnte man auch Rückschlüsse auf Gesundheitszustand und Ernährungsgewohnheiten dieser höchlich privilegierten mittelalterlichen Menschen ziehen.

Teile eines westeuropäischen Netzwerks

Das alles mag immer noch nach bestenfalls regionaler Bedeutsamkeit klingen. Doch weit gefehlt. Zwar gibt es auch Beispiele in Lübeck und Bonn, doch zumal in Brügge und Umgebung befinden sich die meisten Gräber, die auf diese Art mit Fresken bemalt sind. Heinrich I. hatte, wie man aus schriftlicher Überlieferung weiß, durch seinen Vater Gottfried von Cuyk Kontakt zur flandrischen Region. Jener Gottfried von Cuyk war Burggraf von Utrecht. Da zeichnen sich also – nunmehr auch künstlerisch beglaubigt – Teile eines (west)europäischen Netzwerks ab.

Arnsberg, heute Sitz einer Bezirksregierung, der Teile des Ruhrgebiets unterstehen, war auch damals anscheinend keine reine Provinz. Mit leichter Zuspitzung kann man eventuell sogar behaupten, dass Heinrich I. und sein Sohn in der reichspolitischen, wenn nicht europäischen Liga agierten. Von weit reichender, allerdings unfriedlicher Wirkung zeugt überdies die Beteiligung an den Kreuzzügen. Aber das Kapitel blättern wir jetzt nicht auf.

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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1 Antwort zu Seltene Fresken in der gräflichen Gruft – ein überraschender Fund im Arnsberger Kloster

  1. Gerhard Otto sagt:

    Zitat Dechant Böttcher:

    „In absehbarer Zeit sollen junge, zölibatär lebende Männer aus Brasilien im restaurierten Klostergeschoss (eine Etage über der Gruft) einziehen und den Ort womöglich zum geistlich-geistigen Zentrum machen…“

    Mmmh, zölibatär lebende Männer sollen über einer Gruft leben und den Ort womöglich zum geistlich-geistigen Zentrum machen.

    Das nenne ich mal „Blick in die Zukunft“… – Danke, genau mein Humor 😉

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