Die Stille vor der Zukunft – Zehn NRW-Künstler beleben die riesige Gladbecker Maschinenhalle Zweckel

Von Bernd Berke

Gladbeck. Filzpantoffeln über die Straßenschuhe streifen und ehrfürchtig über kostbares Parkett wandeln – so kennt man’s von Besichtigungen alter Schlösser. Warum aber sollte man sich in einem verwitterten Industriebau des Ruhrgebiets so verhalten?

Vielleicht, weil ein Künstler es vorschlägt. Werner Haypeter aus Bonn hat 200 Quadratmeter des rissigen Kachelbodens in der (1908 erbauten) früheren Gladbecker Maschinenhalle Zweckel mit einer wächsernen, transparenten Schicht überzogen. Damit diese nicht zerkratzt, soll man in Pantoffeln hinüber gleiten, bis man merkt: Das sonst so unscheinbare Relikt der Zechen-Ära schimmert samtartig durch und strahlt nun etwas Würdevolles aus, es wird zum quasi-archäologischen Zeugnis einer verfallenden Kultur.

Zehn Künstler aus NRW haben eigens für die riesige leere Halle neue Arbeiten geschaffen. „Here we go“ heißt die höchst inspirierte Unternehmung, also etwa „Auf geht’s!“, aber auch: „Hierhin gehen wir“. Flankiert von der renommierten Ausstellungs-Kuratorin Katja Blomberg, haben die Künstler dem Raum subtile Reflexionen über Region und Welt, Absterben und Neuanfänge einbeschrieben.

Die Ausstellung ist gleichsam ein meditatives Gegenstück zur derzeitigen Dortmunder Medienkunst-Schau „Vision Ruhr“ (Zeche Zollern II/IV), die ja auch ehemalige Industriegebäude mit Vexierbildern der Vergangenheit und Zukunft belebt. In Dortmund packen sie’s eher spielerisch und doch seriös an, in Gladbeck geht es klösterlich still und doch aufregend zu. Viele Wege führen zum Ziel.

Gladbecker Beispiele: Wolfgang Nestlers Leuchtkästen reagieren empfindlich auf einen am Dach installierten Windmesser, das Licht zeigt Regungen der Luft an. Eine Technik, die sich der Natur anschmiegt. Auch Mathias Lanfer gibt der Technik eine neue, sozusagen sanftere Richtung, indem er Drahtgebilde aus der Autoproduktion zu pflanzlich wirkenden Gebilden umwandelt.

Die regionalen Zeitungen (u. a. zahllose Exemplare der Westfälischen Rundschau) türmt Thomas Klegin aus Schwerte zu über zwei Meter hohen Wänden eines Labyrinths auf. Im Zentrum stehen ein karger Tisch und zwei Stühle. Hier drinnen ist man ganz und gar umgeben von gedruckten Informationen. Imposant wirkt das – freilich auch lastend. Das Papier verschafft sich einen machtvollen Auftritt, als wolle es dem Internet noch einmal zeigen, wer der wirkliche Herr der Zeilen ist.

Mutierte Köpfe und ein weißer Andachtsraum

Die Maschinenhalle Zweckel, einst Energiezentrale der Zeche, darf als „Kathedrale“ des Industriezeitalters gelten. Einige Künstler greifen die weihevolle Stimmung auf. Paul Schwer hat Glasplatten mit einer Mixtur aus Buttermilch und Pigmenten bemalt, sie wirken wie filigrane Kirchenfenster.

Innig und andächtig auch dies: Die gebürtige Essenerin Doris Halfmann, Tochter einer Bergarbeiterfamilie, lässt von der Decke unaufhörlich Wasser in ein kohlrabenschwarzes Becken tropfen. Irgendwann wird das Bassin so voll sein, dass die darin stehenden Kerzen verlöschen. Eine kontemplative Installation, die unversehens Gedanken an Vergänglichkeit und Tod weckt.

Angstvoll auch dieser Ausblick in die Zukunft: Thomas Bernstein (Düsseldorf) formt grotesk-gruselige Silikon-Köpfe, die er den Maschinen-Resten in der Halle aufpflanzt. Die Häupter sehen aus wie die von genetisch mutierten (Un-)Wesen. Was kommt da auf uns zu?

Leise und feierlich hingegen der Schluss: Andreas Bee stellt einen vollkommen weißen Iglu aus Chinapapier auf, den man betreten kann. Im Inneren erhebt sich eine gleichfalls schneeweiße Schale. Es ist ein Raum der Besinnung, offenbar unberührt vom stetigen Wandel der Zeiten.

„Here we go“. Maschinenhalle Zweckel, Gladbeck (Frentroper Straße). Eröffnung So., 28. Mai, 12 Uhr. Bis 20. August. Tägl. außer Mo 12-19 Uhr. Eintritt 5 DM. Katalog (inklusive Eintritt) 30 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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