Die Kunst strebt nach Unendlichkeit – Rolf Nolden und Norbert Kricke im Ahlener Museum

Von Bernd Berke

Ahlen. Viele Künstler hüllen sich in melancholisches Schweigen, wenn sie etwas über ihre Arbeit sagen sollen. Weil die Kunst für sich selbst sprechen soll. Vielleicht meinen sie auch, daß wir sie sowieso nicht verstehen. Es gibt aber auch solche, deren Rede in eigener Sache überfließt. Zu ihnen zählt Rolf Nolden, der jetzt vom Kunstmuseum Ahlen präsentiert wird.

Man muß sich die Situation vorstellen: Nolden hat die Ausstellung eigenhändig aufgebaut, rund 14 Tage lang. In dieser Phase war er nahezu allein mit den leeren Räumlichkeiten. Bis alles so war, wie er es wollte, hat er immer und immer wieder Feinabstimmungen von Form, Farbe und Material vorgenommen, hat Fluchtlinien, Perspektiven, Horizonte und Blickachsen neu ausgerichtet. Denn dasselbe Kunstwerk wirkt in jedem Raume anders.

Auf diese stillen Exerzitien folgt die Eröffnungs-Pressekonferenz – und nun darf Nolden endlich mitteile, woran ihm gelegen ist. Da sprudelt es aus ihm heraus. Da zitiert er Denker wie Descartes, Kant, Albert Einstein oder Stephen Hawking und diverse Kunstrichtungen als Kronzeugen. Auch erzählt er von seinem Zimmernachbarn während c des Studiums, jenem angehenden Chemiker, der sich mit vielgestaltigen Kristallbildungen befaßte.

Diagonal in die vierte Dimension

All das führt Nolden stets zu seinem Kerngedanken zurück: Kunst könne uns geistig in die vierte Dimension, könne uns letztlich in die Unendlichkeit führen. Der Titel der Ausstellung deutet an, daß auch keine Zeitgrenzen gelten: „Vergegenkunft“ – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft also, in einem Wort geballt.

Und wie gelangt man zur womöglich befreienden Endlosigkeit? Einer gängigen These zufolge ist die Diagonale ein Königsweg. Und so gehört denn auch die ausgreifende, den Raum organisierende und über ihn hinaus weisende Schrägung zu den bevorzugten Mitteln des Rolf Nolden. Auf dieser Basis erhebt sich – in Tafelbild und Skulptur – eine Vielfalt von Ausdrucksformen. Denn schier endlos ist die Anzahl der Kombinationen, wenn Linien einander durchkreuzen, ins Leere laufen, in Flugbewegung zu geraten scheinen oder in erhabener Ruhe ihren Zielpunkt finden. Erfahrung, Formbewußtsein und Überlegungen zu Maß und Zahl sind unerläßlich, damit ein solcher Ansatz einerseits variabel bleibt und andererseits nicht ins Chaos der Beliebigkeit trudelt.

Noch weiter fächert sich Noldens Skala auf, wenn man bedenkt, mit welchen Materialien er arbeitet. Er baut beispielsweise einen seitwärts pfeilfömig zugespitzten Turm aus dünnen Glasscheiben, eigentlich fragil wie ein Kartenhaus und doch von monumentaler Standfestigkeit. Dann kombiniert er in Quadern und Säulen das grünlich schimmernde Glas mit Ummantelungen aus Stahl – Dialog zwischen Durchlässigkeit und Dichte. Oder er legt eine Kunst-„Pipeline“ mit Röhrenstücken in ausgeklügelter Abfolge der Proportionen. Auch dies kann man sich verlängert vorstellen – eben bis ins Unendliche.

Flankiert wird die Nolden-Schau durch eine Gruppe zeichnerischer Arbeiten von Norbert Kricke (1922-1984). Ganz grob gesagt: Was Nolden die Diagonale ist, war Kricke die gebogene Linie, die er sich als unendliche Menge von bewegten Punkten dachte. Oft wirken die Krümmungen wie Abbilder mikroskopischer oder atomarer Verläufe. Auch hier also der Drang, sich einer verborgenen Dimension zu nähern.

Kricke, der zeitlebens mindestens 40 000 Zeichnungen schuf, hat zu grandioser Reduktion gefunden. Manche Blätter zeigen nur noch eine einzige Linie, die freilich nicht achtlos gestrichelt worden ist, sondern nur so und nicht anders ihren Weg nehmen darf.

Rolf Nolden/Norbert Kricke. Kunstmuseum Ahlen, Weststraße 98. 02382 / 91 83 0. Bis 26. Oktober, Di/Do 15-18 Uhr, Mi/Fr 15-19 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr. Eintritt 5 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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