Schlagwort-Archive: Lyrik

Zwischen Agitation und Innerlichkeit – Vor 100 Jahren wurde der Dichter Erich Fried geboren

Erich Fried 1988 bei einer Lesung – als Gast des Literaturbüros Ruhr im Mülheimer Theater an der Ruhr. (Foto: Jörg Briese)

Viele Jahre hatte der vor den Nazis aus Wien nach London geflohene Erich Fried als kritischer Journalist und politischer Dichter Texte für ein eher kleines Publikum geschrieben. Als er 1979 einen Band mit Liebesgedichten veröffentlichte, wurde er einem größeren Publikum bekannt. Dem im November 1988 verstorbenen Dichter blieben nur noch wenige Jahre des späten Ruhms. Am 6. Mai jährt sich sein Geburtstag zum 100. Male.

Sein vielleicht bekanntestes Liebesgedicht heißt „Was es ist“, es geht so:

„Es ist Unsinn / sagt die Vernunft / Es ist was es ist / sagt die Liebe // Es ist Unglück / sagt … Weiterlesen

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„Ich schreibe auch Gedichte“ – die ziemlich späte „Entdeckung“ eines Lyrikers

Gastautor Heinrich Peuckmann über einen Lyriker aus Kamen, der seine Gedichte erst sehr spät publiziert hat: 

Früherer Polizist mit poetischer Begabung: Bernhard Büscher. (Foto: Oliver Lückmann)

Früherer Polizist mit poetischer Begabung: Bernhard Büscher. (Foto: Oliver Lückmann)

Es ist noch kein Jahr her, da lernte ich durch einen Zufall in einem Kamener Café die Schriftstellerin Nora Gold kennen, die Frauenromane schreibt und damit bei Amazon tolle Verkaufsränge erreicht. Es war ein munteres, frisches Gespräch, das plötzlich noch eine unerwartete Wende bekam, als mein Freund Bernhard Büscher vorbeikam. Ob wirklich nur ich es war, der ihn anlockte, oder vielmehr die charmante Nora, weiß ich nicht, jedenfalls sagte Bernhard in dem Gespräch plötzlich einen folgenschweren Satz: „Ich schreibe auch Gedichte.“

Knapp und präzise

Ich kenne Bernhard seit fast 40 Jahren, er war bis … Weiterlesen

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Der Mensch ist nur ein flüchtiger Schatten – Lars Gustafssons letzte Gedichte: „Etüden für eine alte Schreibmaschine“

Es ist, als solle einen schon der Titel unserer Zeit entrücken: „Etüden für eine alte Schreibmaschine“ heißt der (erst) jetzt bei uns erschienene Lyrikband von Lars Gustafsson. In Schweden ist das schmale, doch gehaltvolle Buch bereits 2016 herausgekommen, also im Todesjahr Gustafssons, der am 3. April 2016 gestorben ist. Diese Gedichte sind kein großes Vermächtnis, sondern wirken wie ein letzter, elegischer, wissend lächelnder Abschiedsgruß, der eben schon auf andere Sphären verweist.

Das erste Gedicht „Der Mann, der Hund, die Schatten“ lässt vage, schattenhafte Erscheinungen vorüberhuschen. Auch die weiteren Seiten enthalten vielfach Zeilenfolgen, die sich beinahe im Nichts verlieren und entschwinden, vor allem in nächtlichen und winterlichen Landschafts-Kulissen.

Etliche Gedichte sind so federleicht wortsparsam wie Haikus. Bloß nichts Überflüssiges hinsetzen! … Weiterlesen

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Ein Versuch über Nicolas Borns Gedicht „ES IST SONNTAG“ – Wenn plötzlich alles in einem anderen Licht erscheint

Nicolas Born mit Tochter Katharina. (Foto: Dr. Irmgard Born)

Nicolas Born mit Tochter Katharina (Foto: Irmgard Born)

 

ES IST SONNTAG

die Mädchen kräuseln sich und Wolken

ziehen durch die Wohnungen –

wir sitzen auf hohen Balkonen.

Heute lohnt es sich

nicht einzuschlafen

das Licht geht langsam über in etwas

Bläuliches

das sich still auf die Köpfe legt

hier und da fällt einer

zusehends ab

die anderen nehmen sich

zusammen.

Diese Dunkelheit mitten im Grünen

dieses Tun und Stillsitzen

dieses alles ist

der Beweis für etwas anderes

(Aus: Nicolas Born: Gedichte. Hg. von Katharina Born © Wallstein Verlag, Göttingen 2004, S. 133)

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Haben Sie Borns Gedicht mehrmals lesen können? Schön, dann lohnt es sich wirklich, dass wir darüber reden. Übrigens, haben Sie auch etwas Zeit mitgebracht? Tatsächlich? Danke. … Weiterlesen

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Erich Fried: Schriftsteller, Philanthrop, Vor-Denker und Zu-Viel-Schreiber – ein Versuch, Widersprüche zu verstehen

Lachte gerne: Erich Fried. Foto-Copyright: Jörg Briese

Lachte gerne: Erich Fried.(Foto: © Jörg Briese)

Vor dreißig Jahren, am 22. November 1988, starb der große Schriftsteller Erich Fried in Baden-Baden. Im Sommer zuvor war er auch Gast einer Lesereise quer durchs Ruhrgebiet und schlug privat sein Quartier bei Gerd Herholz auf, dem Autor dieses Beitrags:

Kult und Legendenbildung um Erich Fried dauern ebenso an wie die rigorose Abwertung seines Werks. Höchste Zeit, sich Texte und Leben Frieds wieder einmal genauer anzuschauen.

Wer war Erich Fried?

1921 wird Fried in Wien als einziges Kind der Graphikerin Nellie Fried und des Spediteurs Hugo Fried geboren. Als kleiner Junge spielt er als Mitglied einer Kinderschauspielgruppe auf Bühnen Wiens und der Umgebung. Fried besucht ein Gymnasium im neunten Bezirk, bis dieses im … Weiterlesen

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Wie sich die chinesische Lyrik nach und nach von Fesseln befreite und endlich den Alltag entdeckte

Unser Gastautor Heinrich Peuckmann über chinesische Gegenwartslyrik und eine Begegnung mit einigen ihrer Urheber:

Wenn in Chinas Schulen Lyrik besprochen wird, sind es meist traditionelle Gedichte aus der Tang- (618-907 n. Chr.) und der Song-Dynastie (960-1279 n. Chr.). Dabei hätte die chinesische Gegenwartslyrik durchaus Beachtung verdient, hat sie doch in den letzten Jahren einen deutlichen Aufschwung genommen.

Der stilbildende Lyriker Ai Qing im Jahr 1929. (Foto: unbekannt / gemeinfrei - Link mit Lizenzangaben:)

Der stilbildende Lyriker Ai Qing im Jahr 1929. (Foto: unbekannt / gemeinfrei / Wikimedia Commons – Link mit Lizenzangaben: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ai_Qing_1929.jpg)

So viel Lyrikbände und Anthologien wie selten zuvor sind im vergangenen Jahrzehnt veröffentlicht worden. Wer hier allerdings spektakuläre Zahlen angesichts eines 1,35-Milliarden-Volkes erwartet, sieht sich schnell enttäuscht.

Etwa 80 Prozent der Chinesen sind Bauern, die meisten wohnen weit weg von den boomenden … Weiterlesen

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„Wir leben in geheimnislosen Städten“ – Durs Grünbeins neuer Gedichtband „Zündkerzen“

Wollen wir einem Dichter das Sprachvertrauen schenken, der solche Reime verfertigt: „…in ihren Booten / Vor den Lofoten.“ Einem, der zudem wohnen auf Ikonen reimt, Basar auf Gefahr, Verkehr auf Maschinengewehr?

Nein, wir befinden uns dabei nicht in der satirischen Überlieferung oder in der Nonsens-Tradition. Besagte Reimpaare irritieren auf den ersten Blick umso mehr, als sie von einem der höchstdekorierten Lyriker deutscher Sprache stammen: von Durs Grünbein, dem Träger des Nietzsche-, des Hölderlin- und des Büchner-Preises sowie etlicher anderer Auszeichnungen. Von ihm erwartet man folglich nichts Geringeres als das Außerordentliche.

Besonderes Formbewusstsein

Und tatsächlich finden sich hier viele, viele Texte, die gerade von besonderem Formbewusstsein, metrischer Meisterschaft und Rhythmusgefühl zeugen, wie sie heute längst nicht mehr selbstverständlich sind. Hierzu nur … Weiterlesen

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„Ungestört sein“ – ein kurzes Gedicht

Im Schlafzimmer

will fast

jede

und

jeder

ungestört sein.

Aber Religion

soll keine

Privatsache

sein

mancherorts.

Ungestört

will jeder

Atheist sein

im Schlafzimmer

im Ohr

in seinem Gehirn.

Amen

________________________________________________… Weiterlesen

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Schönes Gefühl: Sämtliche Gedichte unseres Herrn von Goethe in zeitlicher Abfolge

Manchmal überkommt es mich, dann will mein Bildungsbürgerdasein ans Licht, und so habe ich mir in der Buchhandlung meines Vertrauens das Insel-Taschenbuch mit sämtlichen Gedichten des Herrn Goethe „in zeitlicher Folge“ zugelegt. Das ist natürlich ein interessantes Sammelsurium von wechselnder Qualität, aber immer Goethe.

Goethe

Was ist es doch für  ein schönes Gefühl, einen Dünndruckband mit dem feinen Papier in den Händen zu halten, vorsichtig zu blättern und bei bekannten und unbekannten Textstellen hängen zu bleiben, gar nicht zu vergleichen mit dem Wisch-Computer in der Hand. Neulich habe ich im Fernsehen gesehen, wie ein Kita-Bursche versuchte, mit der typischen Smartphone-Bewegung im gedruckten Bilderbuch die Zeichnung von Rotkäppchen zu vergrößern.

Also Goethe. In zeitlicher Folge heißt natürlich, dass nicht nur Meisterwerke, sondern … Weiterlesen

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Goethe und Novalis – rückwärts übersetzt und dadurch verhunzt

Es gab einmal ein wunderliches Experiment: Da wurden Goethes berühmtestes Gedicht von der Ruhe über allen Wipfeln und andere seiner Poeme zunächst ins Japanische übersetzt, und dann bat man einen japanischen Übersetzer, die Gedichte zurück ins Deutsche zu übersetzen. Heraus kam eine ziemlich unverständliche, holperige Fassung jener Werke, die wir wegen ihrer Sprachkraft so lieben.

Der Dichter Novalis

Eher unfreiwillig komisch wirkt da ein Vorgang, den in der vergangenen Woche die Frankfurter Allgemeine Zeitung aufgespießt hat: Die „Deutsche Zeitschrift für Philosophie“ widmete ihr neues Heft (60. Jahrgang, 2012) dem 1998 verstorbenen griechischen Denker Panajotis Kondylis, und der hatte sich unter anderem mit dem deutschen Dichter Novalis beschäftigt. In einem nun nachgedruckten Aufsatz zitierte Kondylis einen Textausschnitt von Novalis, aber anstatt … Weiterlesen

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Gereimtes oder Ungereimtes

Ich möchte hier einen Versuch wiederholen. Beim für immer entschlafenen Kulturblog Westropolis (2007-2010) hat es der entsprechende Thread über die Jahre hinweg auf rund 1500 Wortmeldungen gebracht. Man verzeihe mir den preiswerten kleinen Stolz, damit einen Rekord angestoßen zu haben, der dort nicht mehr gebrochen werden kann, weil jene Plattform der WAZ-Mediengruppe Anfang 2011 unwiederbringlich gelöscht worden ist.

Die Idee, wenn man sie überhaupt so nennen soll, ist denkbar simpel und keineswegs originell:

Statt eines Kommentars hinterlässt man/frau hier just einen selbst verfassten Zweizeiler, Vierzeiler, ein Sonett oder sonst etwas Gereimtes / Ungereimtes mit lyrischer Anmutung bis Zumutung.

Einstiegsschwelle niedrig, Skala der Ansprüche nach oben offen.

Als die A40/Bundesstraße 1 im Sommer 2010 fürs kulturhauptstädtische „Stilleben“ gesperrt wurde, gab es … Weiterlesen

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Rühmkorfs „Paradiesvogelschiß“: Auf jedem Blatt ein goldener Spruch

Es gibt wohl keinen lebenden deutschen Lyriker, der an den gebürtigen Dortmunder Peter Rühmkorf (78) heranreicht. Der Mann gehört in die ganz großen Traditionslinien deutscher Dichtung; vielleicht gar auf die Höhen eines Heinrich Heine, auf den er sich immer wieder bezogen hat.

Jetzt ist der Gedichtband „Paradiesvogelschiß” erschienen. Rühmkorfs Gesundheitszustand, so hört man, sei sehr bedenklich. Er hat geglaubt, das Werk schon nicht mehr vollenden zu können. Der passionierte Hamburger, seit Jahrzehnten in der Hansestadt verwurzelt, hat sich mit seiner Frau in ein Reetdachhaus im Lauenburgischen zurückgezogen. Auch das ist ein Zeichen des Abschieds.

Die wunderbar klappernden Verse des einleitenden Gedichts „Paradiesvogelschiß” erinnern von fern her an Fontanes „Ribbeck von Ribbeck”. Sie besagen, dass manches, was man im Leben als … Weiterlesen

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Klassische Lyrik im Rap-Sound

Es klingt wie ein simples Patentrezept: Wenn Kinder keine Gedichte mehr auf herkömmliche Art lernen wollen, dann sollen sie die Verse eben rappen. Mit dem rhythmischen Sprechgesang kehrt vielleicht die Freude an der Lyrik zurück.

Die Hoffnung mancher Eltern und Pädagogen hat einen Namen: „Junge Dichter und Denker” oder kurz „JDD” nennt sich die sechsköpfige Kindergruppe aus Buchholz (Nordheide/Niedersachsen). Die Mädchen und Jungen zwischen 11 und 15 Jahren haben kürzlich eine CD mit berühmten „klassischen” Gedichten herausgebracht – frisch und frech im Wechselgesang vorgetragen, mit vorwärts drängendem Beat unterlegt. Da klingen die Verse von alten „Haudegen” der Literaturgeschichte zuweilen so, als hätten diese gerade erst zur Feder gegriffen und mal eben ganz spontan unsterbliche Verse hingefetzt.

Laut neudeutscher Formulierung auf … Weiterlesen

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Gemischte Gefühle beim Abschied von sämtlichen Dingen: „Später Spagat“ – die letzten Gedichte von Robert Gernhardt

Von Bernd Berke

Robert Gernhardt ist kein purer Spaßvogel gewesen. Der kürzlich an Krebs verstorbene Dichter hat zuletzt immer öfter auch tieftraurige Töne anstimmen müssen. Wenn einer reihenweise Chemotherapien erduldet, steht jeglicher Humor auf existenzieller Probe.

Mit den erschütternden „K-Gedichten“ hatte Gernhardt bereits 2003 einige Bezirke der drei großen „K“-Fragen durchschritten: Krankheit, Krieg und Komik. Jetzt liegt seine letzte Lyrik unter dem Titel „Später Spagat“ vor. Manche Zeile scheint schon von verzweifelter Entkräftung zu zeugen, doch viele Verse sind zum Heulen gut.

Gewiss: Der Hang zur Komik und die Freude an Wein und Weib regen sich noch, doch es wächst und wächst die unmittelbare Angst vor dem Sterben. Aus diesem Spagat zwischen „Standbein‘ und „Spielbein“ (so heißen die beiden Hauptteile … Weiterlesen

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