DDR-Dramatiker geben trockne Lehrstunden – Halbzeit beim Wettbewerb „stücke `90″ in Mülheim

Von Bernd Berke

Mülheim. Die DDR-Ereignisse der letzten Monate sind auch am Mülheimer Dramatiker-Wettbewerb „stücke ’90“ nicht spurlos vorübergegangen – im Gegenteil. Die Auswahlkommission sah sich bemüßigt, fast nur Dramen mit DDR-Thematik vorzuschlagen.

Nachdem mit vier Aufführungen die Halbzeit des Wettbewerbs erreicht ist, drängt sich der Verdacht auf, daß dabei politischer Nachholbedarf vor Theaterqualität rangiert hat. Ein „Stück des Jahres“ war jedenfalls noch nicht dabei.

Den Auftakt besorgte das Wiener Akademietheater mit George Taboris „Weisman und Rotgesicht“. Das bislang einzige Stück, das sich nicht um DDR-Themen rankt, wurde als „jüdischer Western“ etikettiert. Ein vermeintlicher Indianer (der sich hernach als Halbjude und Filmkomparse erweist), ein Jude, der die Aschenurne seiner verstorbenen Frau mit sich trägt, und dessen spastische Tochter begegnen einander in einer – mit lebendem Geier auf der Bühne markierten – Wüstengegend der USA. Unter anderem treten sie, beinahe wie Preisboxer, in einen makaber-absurden Leidens-Wettbewerb: Wer hat mehr erlitten. Juden oder Indianer?

Taboris Scherze mit dem Entsetzen

Es ist wieder jene gleichermaßen zauberkräftige wie halsbrecherische Mischung, die wir von Tabori kennen und die kein deutscher Dramatiker so anwenden dürfte: Schrecken wird Lachen, Verzweiflung gerinnt zum Kalauer, Wahn und Witz addieren sich zu Wahnwitz. Allerdings gewinnen m diesem Stück unbedarfte Scherze einiges Übergewicht – oder sind es nur geschickte Verführungen, an den falschen Stellen zu lachen, was ja zuerst die voreiligen Lacher entlarvt? Ein Ereignis wurde dieser Theaterabend durch die Darsteller: Michael Degen, Leslie Malton und Hans Christian Rudolph.

An den folgenden Abenden sehnte man sich dann doch nach Taboris Entsetzens-Scherzen zurück, denn mit Georg Seidels „Carmen Kittel“ hob deutsche Tiefgründelei an. Das bereits 1987 in Schwerin uraufgeführte, später umgearbeitete Werk mag zur Entstehungszeit ein Schrei in der Not gewesen sein. Nun wirkt es, trotz neuer „Montage“ durch Dimiter Gotscheffs Düsseldorfer Inszenierung, bereits reichlich gestrig. Sprachlich ist etwas Metallisch-Schepperndes, ist dumpfe Atemnot in diesem Stück.

Carmen Kittel kann sich nicht „emporwuchten“

Vor- und Nachname der Titelfigur stehen natürlich für den Widerspruch von Lebenslust (Carmen) und ödem Frauenalltag (Kittel). Carmen Kittel ist im Heim aufgewachsen, front nun in einer Kartoffelschäl-Brigade, erlebt einige Qualen des irreal existierenden Sozialismus und kann sich nicht „zu einem besseren Leben emporwuchten“. Das alles hört sich schwer nach Theater-Bastelarbeit an und ist es über weite Strecken auch. So muß etwa die Kartoffel gleich als Symbol deutscher Eßgewohnheiten und dito Revolutionsunfähigkeit herhalten. Einiges mag als Lyrik., nicht aber als dramatische Vorlage durchgehen. Immerhin lassen zwischendurch einige aphoristische Kernsätze aufhorchen, etwa jener, daß man in der DDR das Paradies auf Erden bauen wollte, dann aber doch nur Braunkohle abgebaut hat.

Gorbatschow als „neuer Christus“

Theater hart am Rande historischen Kasperlspiels erlebte man am nächsten Abend, als die Volksbühne Berlin (DDR) Jörg-Michael Koerbls „Gorbatschow/Fragment“ aufführte, das aus DDR-Sicht die sowjetische Geschichte von Lenin bis „Gorbi“ nachzeichnen will. Das Stück vermittelt keinerlei wirkliche Erkenntnis, es stellt historische Figuren nur als Pappkameraden auf die Bühne.

Koerbl setzt Spezial-Wissen voraus (etwa über die Beziehungen zwischen Lenin, Trotzki und Stalin), vermittelt aber seinerseits kein neues. Daß er Gorbatschow als „neuen Christus“ darstellt, ist nur peinlich. Sprachlich ergeht sich der Autor in Satzperioden, die eventuelles Interesse schnell erlahmen lassen. Zudem hat er sein Stück „kongenial“, nämlich mit recht dürftigen Mitteln in Szene gesetzt.

Christoph Heins „Ritter der Tafelrunde“, in Mülheim gezeigt vom Schauspiel Halle, versöhnte wieder etwas mit der DDR-Dramatik. Hein ist nicht der Versuchung erlegen, die ritterliche Artus-Runde als schmale Parodie aufs gewesene Politbüro vorzuführen; sein Stück hat jene Art von Aktualität, die über Tag und Stunde hinausreicht. Freilich kreist es ohne große theatralische Höhe- oder Tiefpunkte um nur wenige Denkfiguren (Die Gralssuche als Suche nach Utopie usw.). Eigentlich ist schon nach der Hälfte alles gesagt und wird dann nur noch variiert.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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