Von Bernd Berke
Hagen. Museen zeigen oft das, was es s o nicht mehr gibt, aber vielleicht (wieder) geben sollte. Das Hagener Osthaus-Museum zeigt Pflanzen. Vorbotschaft drohender Zeiten, in denen wir die Natur nur noch in sorgsam behüteten Relikten, mithin nur als Vergangenes besichtigen können?
Nicht ganz. Der holländische Künstler Herman de Vries (58) sammelt seit Jahren Pflanzen auf Reisen und an seinem Wohnort im fränkischen Steigerwald, wo er noch eine erstaunliche Vielfalt vorfindet. Aus Marokko, dem Senegal und Indien hat er rund 2000 Beispiele (vornehmlich mit heilenden Wirkstoffen) mitgebracht und jetzt erstmals in solcher Fülle arrangiert: Die Ausstellung „Natural relations“ (Natürliche Beziehungen) hat in Hagen Premiere, geht dann weiter nach Holland und Dänemark.
De Vries erhebt keine Anklagen in Sachen Umwelt, er will uns ein sinnliches Naturerlebnis vermitteln, das man auch mit der Nase nachvollziehen soll. Im Museum verströmen nun botanische Boten fremder Länder betörend-exotische Würzdüfte, während das Steigerwald-Grün schon geruchsweise „deutsche“ Herbheit ahnen läßt.
Rauschmittel im „verschlossenen Paradies“
De Vries will keineswegs die wissenschaftliche Botanik außer Kraft setzen, wohl aber sie versöhnen mit verschüttetem, nicht-rationalem Wissen von Wesen und Wirkung der Pflanzen. Dies bedeutet zugleich den Versuch, die Grenzen zwisehen Wissenschaft, Kunst und Leben zu sprengen und schließt auch „geistbewegende“ (de Vries) Effekte ein, deren pflanzliche Urheber in einem ständig bewachten Gewächshaus gezeigt werden. „Das verschlossene Paradies“ (Werktitel) enthält – vom Tabak über Mohn, Stechapfel und „Traumwurzel“ bis zum Mescalin-Kaktus – Gewächse, die zur Erzeugung von Genuß- und Rauschmitteln taugen. Selbst eine vermeintlich harmlose Zierde wie die Buntnessel zählt übrigens dazu. Aufzucht in Hagens Stadtgärtnerei und Aufstellung im Museum mußten eigens vom Bundesgesundheitsamt genehmigt werden.
Der Künstler proklamiert nicht etwa den Gebrauch solcher Mittel. Im Gegenteil: Er glaubt, daß wir uns so weit von den „Ursprüngen“ entfernt haben, daß wir mit solchen Substanzen gar nicht mehr umgehen können. Gleichwohl hat de Vries einiges am eigenen Leibe erprobt und darüber Buch geführt: Es nennt alle Pflanzen(produkte), die er zu sich genommen hat – von Senf und Blumenkohl bis hin zu Drogen. Der Mensch – letztlich ein Produkt und Abkömmling der Pflanzenwelt?
Blüten, Blätter, Stauden, Samenkörner usw. hat de Vries auf langen Tuch-Bahnen ausgelegt, und zwar auf dem Fußboden, denn: Wachstum habe eben mit Boden zu tun; zudem hätten jene Pflanzen, die er auf Märkten erwarb, zu ebener Erde im Angebot gelegen.
Es gibt keine sprachlichen Hilfen, keine Bezeichnungen – und somit auch keine hinderlichen Wort-Barrieren. Die Funde sind lediglich numeriert. Informationen können später im Katalog (800 Seiten!) nachgeschlagen werden. In der Ausstellung selbst muß man die Sinne bemühen, schauen und schnuppern.
Die Pflanzenreihen sind nicht nach künstlich-ästhetischen Mustern sortiert. Mögliche „Aussage“: Natur, allein und für sich betrachtet, ist schön genug, ihr Formen- und Farben-Reichtum ist immens. Auch rückt die bloße Präsentation in einem Museum diese Exponate bereits in einen ästhetischen Zusammenhang. Doch nicht immer verzichtet de Vries auf nach- und ausdrückliche Kunst-Anstrengung: 108 Pfund Rosenblüten wandelten sich unter seiner Hand zum magischen Kreis namens „rosa damascena“.
Osthaus-Museum. Hagen, Hochstraße 73. Bis 24.9., di-sa 11-18 Uhr, do 11-22 Ubr, so 11- 16 Uhr, montags geschlossen. Eintritt 4 DM, Katalog 50 DM.