„Skulptur-Projekte“ in Münster: Klaus Barbie an der Haltestelle, riesige Kirschen über dem Parkplatz

Von Bernd Berke

Münster. Zwei überdimensionale Kirschen schweben über einem Parkplatz; an der Bushaltestelle leuchten abends Fotos des NS-Verbrechers Klaus Barbie auf; hoch oben an der Lamberti-Kirche flackern drei Irrlichter in den historischen Wiedertäufer-Käfigen – drei von rund fünfzig Objekt-Situationen, die, als großes Freiluft-Ereignis namens „Skulptur-Projekte“, Gänge und Fahrten durch Münster jetzt zum – mal verstörenden, mal erhellenden – Abenteuer machen.

Intensiver als gewohnt, tritt hier Kunst mit städtischem Raum, Baugeschichte und Rest-Natur in spannende Dialoge. 64 Künstler, darunter zahlreiche hochrenommierte, sind beteiligt! Allein 19 von ihnen sind auch bei der morgen beginnenden documenta 8 in Kassel dabei, was auf hohe Qualität hindeutet.

Die Liste der 64 Künstler reicht von Carl Andre über Per Kirkeby und Mario Merz bis zu Ulrich Rückriem und Richard Tuttle. Die internationale Crème der Skulpturen- und Objektemacher kam nach Münster, weil ein Skulpturenprojekt anno 1977 einschlägige Reklame für die Stadt gemacht hatte. Schließlich konnte man mit Prof. Kasper König („von hier aus“) einen AusstelIungs-Manager von anerkanntem Format gewinnen, der das Projekt gemeinsam mit dem Direktor des Westfälischen Landesmuseums, Prof. Klaus Bußmann, leitet.

Zwei Tendenzen zeichnen sich in der Kunstaktion, deren jetziger Zustand quasi nur die Zwischenbilanz eines offenen Prozesses darstellt, ab: Zum einen versteckt man sich nicht mehr im Kunstbetrieb, sondern geht selbstbewußt in den „öffentlichen Raum“, zum zweiten begnügen sich die Künstler längst nicht mehr mit der leidigen „Kunst am Bau“, die eh nur für belanglose Schnörkel an betonierten Sünden stand, und auch nicht mit einer ästhetischen „Möblierung der Stadt“. Vielmehr lassen sie sich auf die Stadt ein, nehmen Maß an ihr und machen sie auf unterschiedlichste Weise zum Untersuchungsgegenstand.

Und tatsächlich: Im Widerspiel mit den Kunstobjekten werden bauliche und planerische Details sinnfällig, die man sonst übersehen würde. Paradefall ist Ulrich Rückriems Skulptur „Dolomit zugeschnitten“, die auf subtile Weise die Formsprache der Petrichkirche aufnimmt, ja eigentlich erst verdeutlicht. Der Reiz des Konkreten, die Herausforderung durch eine bestimmte Umgebung, veranlaßte manchen Künstler, sich intensiv mit der Geschichte des jeweiligen Standortes zu befassen. Der konkrete Stadtbezug, so Kasper König, sei ein Faktor, der den Zugang erleichtere. Das Münsteraner Projekt werde daher wohl keinen Volkszorn auslösen wie jüngst der Skulpturen-Boulevard auf dem Berliner Ku’damm.

An öffentlichen Mitteln für das Projekt, das – mit Schwerpunkt in der City – das ganze Stadtgebiet umfaßt, standen nur 900.000 DM zur Verfügung. Sponsoren sorgten für eine Aufstockung des Etats. Dennoch bekam jeder Künstler nur 3000 DM Honorar. Über eventuelle Ankäufe einzelner Skulpturen soll 1989 entschieden werden.

Im Fußmarsch ist zwar das Kunstpotential der Innenstadt, kaum aber das ganze Projekt zu bewältigen. Typisch münster’sche Lösung: Es wurde ein Extra-Fahrradverleih eingerichtet. Die Fahrradleidenschaft der Stadt ist auch Thema eines Objekts im Innenhof des Landesmuseums. Reiner Ruthenbeck verhängte einige Dutzend Fahrräder (nicht abgeholte Exemplare aus dem Fundbüro) mit einer Fahne aus Lodenstoff – laut Kasper König eine Anspielung auf Kleidersitten von Möchtegern-Landedelleuten des Münsterlands.

„Skulptur-Projekte“. Offiziell 14. Juni bis 4. Oktober. Katalog (erst in etwa zehn Tagen fertig) 35 DM; Kurzführer 10 DM, erhältlich im Landesmuseum, Domplatz 10. Kostenlose Führungen: 0251/591-32 25.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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