Schmerzlicher Verlust: Der Bonner Operndirektor Andreas Meyer ist überraschend gestorben

Andreas K. W. Meyer, Aufnahme aus dem Jahr 2012. Foto: Christian Hahn

Die Nachricht ist schockierend: Einer der profiliertesten Dramaturgen in der europäischen Opernlandschaft ist tot. „Mit großer Bestürzung“ teilte das Theater Bonn am Ostermontag den Tod seines Operndirektors Andreas K. W. Meyer mit. Meyer verstarb mit 64 Jahren infolge von Herzversagen am Karsamstag, 8. April 2023.

Andreas K. W. Meyer war keiner von denen, die sich an den Top-Positionen der Aufführungsstatistik entlanghangeln und ihre Spielpläne basteln, garniert mal mit einer Rarität, mal mit einer Uraufführung. Er schaute genau hin und durchforstete die Geschichte der Oper nicht unter der fragwürdigen Annahme, der historische Rezeptionsprozess habe in einer quasi natürlichen Auslese das Beste überleben und das weniger Gute in den Archiven verschwinden lassen.

Er war sich der Bedingungen bewusst, unter denen gerade im ideologisch aufgeladenen 20. Jahrhundert, aber auch schon zuvor Werke von den Bühnen verbannt wurden, deren Aktualität sich unter veränderten Konstellationen und in einem gewandelten geistigen Klima heute überraschend offenbart. Meyer hat bei einem untrüglichen Gespür für Qualität nicht einfach „Raritäten“ ausgraben lassen, sondern die Neuentdeckungen stets in einem größeren historischen, gesellschaftlichen und philosophischen Kontext betrachtet. Genauso, wie er scheinbar Bekanntes unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen aufregend neu zu lesen verstand, so etwa die Werke Richard Wagners.

Beispielhaft: Die Reihe „Fokus ’33“

Höhepunkt seiner Arbeit in den letzten Jahren war in Bonn die ehrgeizige und einzigartige Reihe „Fokus ’33“, eine „Forschungsreise zu den Ursachen von Verschwinden und Verbleiben“. In diesem beispielhaft auf mehrere Spielzeiten angelegten Inszenierungsreihe zeigte sich die Aktualität eines modernen, aber weitgehend vergessenen Werks wie Rolf Liebermanns „Leonore 40/45“. Die Ausgrabung von Giacomo Meyerbeers „Ein Feldlager in Schlesien“ brachte eine spannende Facette des Pariser Meisters der „grand opéra“ und preußischen Generalmusikdirektors auf eine opulent ausgestattete Bühne.

Eine Szene aus Rolf Liebermanns „Leonore 40/45“ an der Oper Bonn in der Inszenierung von Jürgen R. Weber und der Ausstattung von Hank Irwin Kittel. Foto: Thilo Beu

„Asrael“ des jüdischen italienischen Komponisten Alberto Franchetti konfrontierte mit einem symbolistischen, religiös aufgeladenen Stück Operntheater mit faszinierender Musik. Meyers Programmhefte zu solchen aus dem Bewusstsein entschwundenen Werken waren voluminöse Kompendien mit nicht selten grundlegenden Beiträgen. Besonders am Herzen lag Meyer die Wiederaufführung von Clemens von Franckensteins „Li-Tai-Pe“. Zuletzt arbeitete er mit Hochdruck an der ersten ungestrichenen Wiederaufführung von Franz Schrekers „Der singende Teufel“, deren Premiere am 21. Mai ansteht.

Seit 2013/14 an der Oper Bonn

Als Dramaturg prägte Andreas Meyer seit der Spielzeit 2013/14 das Gesicht und die Geschicke des Bonner Opernhauses entscheidend mit. Zu Beginn seiner Bonner Zeit brachte das Haus Opern wie „Der Traum ein Leben“ von Walter Braunfels, Emil Nikolaus von Rezniceks „Holofernes“ oder Hermann Wolfgang von Waltershausens „Oberst Chabert“ zur Aufführung. Doch das Interesse des 1958 in Bielefeld geborenen Musikdramaturgen und –publizisten an solchen Entdeckungen setzte nicht erst in Bonn ein, wurde dort aber von Intendant Bernhard Helmich nachhaltig gefördert.

Die Oper Bonn, letzte Wirkungsstätte von Andreas Meyer, hier mit Werbung für „Li-Tai-Pe“ und Giuseppe Verdis „Ernani“. Foto vom Mai 2022: Werner Häußner

Nach einem privaten Kompositionsstudium bei Rudolf Mors studierte Andreas K. W. Meyer ab 1981 Musikwissenschaft sowie Kunstgeschichte und Germanistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. 1987 begann er eine Tätigkeit als freier Kritiker, unter anderem für die Frankfurter Rundschau und verschiedene Rundfunkanstalten, vornehmlich für den WDR und den BR.

Stationen in Kiel und Berlin

Von 1993 bis 2003 arbeitete er als Musikdramaturg an der Oper Kiel, zunächst unter Generalintendant Peter Dannenberg, ab 1995 als leitender Musikdramaturg sowie ab 2002 als Chefdramaturg Musik und stellvertretender Opernintendant unter Kirsten Harms. 2004 wechselte er zusammen mit ihr an die Deutsche Oper Berlin, deren Chefdramaturg er bis 2012 war. Die Wiederentdeckung von Franco Alfanos „Cyrano de Bergerac“ hatte ein europäisches Echo.

Auch ein Zyklus mit weniger bekannten Werken von Franz Schreker und die Neubefragung von Gian Francesco Malipieros „I Capricci di Callot“ oder Richard Strauss’ „Die Liebe der Danae“ verhalfen der Oper Kiel zu erheblichem überregionalem Interesse. An der Deutschen Oper Berlin kamen Alberto Franchettis „Germania“ und Alexander von Zemlinskys „Der Traumgörge“ hinzu. Die „Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna“ von Walter Braunfels in der Regie von Christoph Schlingensief wurden bei der Kritikerumfrage der Zeitschrift Opernwelt im Jahre 2008 zur „Wiederentdeckung des Jahres“ gekürt.

Andreas K. W. Meyer wird schmerzlich fehlen. Seine ruhige, beharrliche Ernsthaftigkeit, sein Humor und sein enormes Wissen sind nicht zu ersetzen. All jene, die ihn gekannt und gemocht haben, werden ihn als Freund oder Ratgeber vermissen. Was bleibt, ist Trauer, aber auch zuneigende Erinnerung und Dankbarkeit für ein großes Lebenswerk.

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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