Mit Lust in die neue Spielzeit: Daniel Hope eröffnet den Konzertreigen der Essener Philharmonie

Daniel Hope und Ryszard Groblewski beim Eröffnungskonzert der Philharmonie Essen. (Foto: Sven Lorenz)

Was für eine sympathische Idee, die Spielzeit der Essener Philharmonie mit Mozart und mit einer Uraufführung zu beginnen.

Da haben wir musikalisch den „inspirierenden Dialog“, den sich die neue Intendantin Marie Babette Nierenz für die Philharmonie als Teil der Stadtgesellschaft wünscht. Da haben wir die künstlerische Exzellenz, die einen Konzertsaal dieser Größe und diesen Renommees füllt. Und wir richten den Blick auf ein musikalisches Genie, das mit früher höher geschätztem Pathos, aber nicht zu Unrecht als „apollinisch“ bezeichnet wurde: Wenn es denn einen Gott gibt, dann hat er in Musik wie der „Jupiter“-Sinfonie seinen tönenden Abglanz auf Erden gefunden.

Mit dieser C-Dur-Sinfonie, die den Höhepunkt der musikalischen Entwicklung des 18. Jahrhunderts markiert und gleichzeitig visionär in die Zukunft weist, präsentieren sich Daniel Hope und das Zürcher Kammerorchester vor fast voll besetztem Saal. Der in Südafrika geborene Geiger mit irischen und deutschen Wurzeln ist seit mehr als zehn Jahren häufiger Gast in Essen. Das Konzert war der erste von drei Teilen einer Reihe, welche die Philharmonie Hope zum 50. Geburtstag widmet. Die beiden anderen Konzerte – eines davon seine „Irish roots“ musikalisch freilegend – folgen am 20. und 21. April 2024.

Daniel Hope. (Foto: Daniel Waldhecker)

Das Zürcher Kammerorchester hat sich die Frische im Spiel bewahrt, die sein Gründer und langjähriger Leiter Edmond de Stoutz gepflegt hat – auch wenn diese Generation unter seinen Musikern inzwischen abgetreten sein dürfte. Hope leitet die Sinfonie als „Erster unter Gleichen“ an der Violine und lässt den frisch-geschmeidigen, auf Transparenz und sauber polierte Tongebung achtenden Klang des Orchesters frei sich entfalten. Nicht ohne Dramatik das heftige Pochen, in dem man den Komtur aus „Don Giovanni“ an die Pforten klopfen hört; mit sanfter Eleganz und wunderbar warmem Flair die kontrapunktischen Spiele der Bläser mit ihrer „Zauberflöten“-Poesie. Flott das Tempo, deutlich die Artikulation – nur die Balance zwischen Streichern und Bläsern fällt dann fragil aus, wenn die Violinen einmal kräftig Contra geben müssten. Da sind dann doch die Limits der Besetzung zu spüren.

Elegante Transparenz

Ganz aus dem Geist eleganter, beseelter Transparenz heraus entwickelt sich auch Mozarts Sinfonia concertante (KV 364). Daniel Hope und der Bratscher Ryszard Groblewski spielen sich die Notenlinien zu, turnen auf den Phrasen mit stupender Leichtigkeit, sorgen für Beleuchtungswechsel und bebend sanfte Rhythmik. Manchmal wirkt die Artikulation ein wenig weich und kraftlos, dann werden auch die Tutti des Orchesters mulmig. Aber das straffe Tempo, vor allem im prägnanten „Presto“-Finalsatz, richtet es wieder: Wenn’s hurtig wird, zeigen die Musiker, wie trennscharf und präzise sie zu gestalten wissen. Mozart, unsere Freude!

Ob in Salzburg, Paris, Mannheim, Italien oder Wien: Wolfgang Amadé hat stets Neues begierig aufgesogen, als genialer Imitator adaptiert und in seine eigene Sprache verwandelt. So passt es programmatisch bestens, zwischen Mozarts Paradestücken eine Uraufführung zu platzieren: Der 1970 in Stanford, Connecticut geborene und in England aufgewachsene David Bruce hat bereits 2014 Gil Shaham ein Violinkonzert („Fragile Lights“) gewidmet und nun für Daniel Hope sein zweites Werk in diesem Genre vorgelegt: „Lully Loops“ ist ein gewitzt-spielerisches Capriccio, das Fragmente des italienisch-französischen Komponisten und Violinisten in neue musikalische Zusammenhänge stellt – eben auch eine Anverwandlung in eigene Sprache.

Knistern und Blühen

Die vier Teile werden jeweils von einem knisternd aufgenommenen, kaum verständlichen Text – soll der Ton lediglich nostalgisches Gefühl wecken? – eingeleitet. Die Themen Lullys treten deutlich hervor und wiederholen sich wie „loops“. Im ersten Teil setzen sich unterschiedlich artikulierte harmonisch konsonante und spannungsreiche Liegetöne mit dem Thema auseinander, im zweiten kommentieren Pizzicati ein eher tänzerisches Thema. Im dritten blühen aus einer Art Bordun die Töne heraus, die sich zur Melodie verdichten. Das vierte lässt den klaren Rhythmus Lullys hören und bricht mit einem Absinken der Stimmung ab, so, als werde ein Tonband verlangsamt. Ein harmonisch dichtes Gewebe, das spielerisch sicherlich Freude bereitet und den Zuhörer nicht ohne Humor mit Vergnügen am Entdecken und an der Verfremdung, aber auch einem Hauch augenzwinkernder Nostalgie abholt.

Bunte Vielfalt im Herbst

Ein Saisonauftakt voller Musiklust und ohne bemühte Schwere, dem die Philharmonie in den nächsten Wochen eine bunte Vielfalt von Konzerten folgen lässt. Mit dem Dirigenten Sir Antonio Pappano und der Geigerin Patricia Kopatchinskaja stellen sich demnächst die beiden „Porträtkünstler“ dieser Saison vor. Beide kommen am 22. Oktober mit dem London Symphony Orchestra, als dessen neuer Chefdirigent Pappano fungiert: Kopatchinskaja spielt das Violinkonzert „Tausend und eine Nacht im Harem“ von Fazil Say; Pappano widmet sich Beethovens Siebter Sinfonie. Am 8. November ist Pappano dann mit seinem bisherigen Orchester, der römischen Accademia di S. Cecilia und Igor Levit zu Gast, diesmal mit dem c-Moll-Klavierkonzert Beethovens und zwei Tondichtungen, „En Saga“ von Jean Sibelius und Richard Strauss‘ „Till Eulenspiegel“.

Schon am 22. September eröffnet die moldawische Geigerin die Reihe ihrer sechs Saisonkonzerte mit einem sehr persönlichen Programm im RWE Pavillon. „Zu Hause bei Patricia Kopatchinskaja“ vereint Werke von George Enescu, Béla Bartók, Darius Milhaud, Paul Schoenfield, Igor Strawinsky und ein eigenes Stück „für Polina und andere Traumwesen“: Gemeint ist die Pianistin Polina Leschenko, die mit dem Klarinettisten Reto Bieri den instrumentalen Part des Abends gestaltet. Am 9. und 10. November spielt Kopatchinskaja mit den Essener Philharmonikern als Uraufführung ein Violinkonzert von Aurelio Cattaneo.

Ligeti und Bruckner

Mit fünf Konzerten in den kommenden zwei Monaten fehlt auch ein Schwerpunkt zum 100. Geburtstag von György Ligeti nicht. Die Spanne reicht von einem Abend mit Pierre-Laurent Aimard und Ligetis „Musica ricercata“ am 26. September, dem „Poème Symphonique“ für 100 Metronome am 1. November, Ligetis „Lux Aeterna“ und dem Requiem, verbunden mit einem neuen Orchesterwerk von Clara Iannotta ebenfalls am 1. November, bis zu Ligetis Erstem Streichquartett in einem Konzert des Mannheimer Streichquartetts am 19. November in der Alten Synagoge.

Im nächsten Jahr erklingt dann in einem Schwerpunkt zum 200. Geburtstag Anton Bruckners vor allem geistliche Musik des österreichischen Meisters. Damit nicht genug des Chorklangs: Mit Mozarts „Requiem“ mit Philippe Herreweghe, Felix Mendelssohn Bartholdys „Elias“ mit Raphaël Pichon und Joseph Haydns „Die Jahreszeiten“ mit Jordi Savall erwarten das Essener Publikum große Vokalwerke in hochkarätigen Besetzungen.

Info: www.theater-essen.de

(Das Konzert mit Daniel Hope wurde vom WDR aufgezeichnet und wird am Sonntag, 8. Oktober, im Fernsehen ausgestrahlt).

 

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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