Schöne Stellen und irritierende Tempi – Gabriel Feltz und die Dortmunder Philharmoniker

Gabriel Fels steht seit einem Jahr als Chefdirigent am Pult der Dortmunder Philharmoniker. Foto: Thomas Jauk/Stage Pictures

Gabriel Feltz steht seit einem Jahr als Chefdirigent am Pult der Dortmunder Philharmoniker. Foto: Thomas Jauk/Stage Pictures

Gabriel Feltz ist nun seit einem Jahr Chefdirigent der Dortmunder Philharmoniker. Zu Beginn seiner Amtszeit, im Spätsommer 2013, hat er mit dem Orchester Beethovens „Pastorale“ und Richard Strauss’ „Alpensinfonie“ interpretiert. Und während die Musik des Wiener Klassikers noch eher harmlos daherkam, atmete das Werk des spätromantischen Orchestrierungsmeisters revolutionären Geist. Hier ging es nicht mehr um alpine Idylle oder Naturmystik, sondern um Leben und Tod, Himmel und Hölle. Anders gesagt: Es ging ums Ganze.

Dirigent und Philharmoniker musizierten mit offenem Visier. Auch um den Preis, dass manche Schwäche offenbar wurde, etwa seltsame Ungereimtheiten hinsichtlich Tempo und Dynamik, sowie bisweilen der Mangel an Transparenz. Schnell konstatierten kundige Beobachter im Laufe dieser ersten Saison, dass Feltz eher dem Credo der Langsamkeit diene. Dies konnte, sei es bei Wagners „Tannhäuser“ oder bei Bruckner, bis hin zur lästigen Zerfaserung ausufern.

Andererseits ist der Dirigent, mit jedem kleinsten Fingerzeig seines Bewegungsvokabulars, offenbar auf alle Schönheit einer Partitur geradezu versessen. Was dann eben seine Zeit braucht. Und nicht unterschlagen sei, dass sein Carmen-Dirigat vor Energie nur so strotzte, die Musik Charme wie Esprit ausstrahlte, so licht wie dramatisch an uns vorbei sauste. Das Orchester schien beinahe wie verwandelt.

Nach dieser durchaus gemischten Bilanz lohnt der Blick auf die neue Saison allemal. Weil Feltz und sein Orchester uns auch einen Vergleich erlauben. Denn  diesmal stehen, zum 1. Philharmonischen Konzert der Spielzeit, wiederum Beethoven (2. Leonoren-Ouvertüre) und Strauss (Ein Heldenleben) auf dem Programm. Besondere Beachtung verdient darüberhinaus Viktor Ullmanns Klavierkonzert aus dem Jahr 1939, hier gespielt von dem jungen Pianisten Moritz Ernst. Das Programm trägt im übrigen den Titel „helden_haft“, passend zu jenen wahren, Möchtegern- und verzweifelten Helden, die an diesem Abend im Konzerthaus Dortmund musikalisch verhandelt werden.

Szene aus dem 3. Akt der Oper "Fidelio" (Leonore), Théâtre Lyrique, Paris, 1860. Foto: Bibliothèque nationale de France

Szene aus dem 3. Akt der Oper „Fidelio“ (Leonore), Théâtre Lyrique, Paris, 1860. Foto: Bibliothèque nationale de France

Bei Beethoven ist der wahre Held eine Frau. Leonore, die unter dem falschen Namen Fidelio ihren Mann Florestan im Kerker vor dem Tode bewahrt. Dunkles Raunen steht in der Ouvertüre für die Verzweiflung im Verlies, Feltz zelebriert es, in schönen dynamischen Abstufungen. Doch bisweilen, im Fortgang, scheint die Musik wie eingefroren, wie im luftleeren Raum schwebend. Erst langsam steigern sich Bewegung und Dramatik, das Klangbild ist dabei nicht immer plastisch.  Die hektischen Phrasen aber, kurz vor den signalhaften Trompetentönen, zeugen von atemloser Spannung. Dann jedoch beschränken sich Orchester und Dirigent auf einen eher gezähmten Jubel über den Triumph der Freiheit.

Davon kann bei Viktor Ullmann nicht die Rede sein. Der österreichische Komponist wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Das Klavierkonzert entstand fünf Jahre zuvor in Prag, wurde aber ob der schrecklichen Umstände erst 1992 uraufgeführt. Die Musik ist zumindest teilweise ein Spiegel von Ullmanns rastlosem Lebensweg, der im Grauen endete. Verfolgung, Verzweiflung, auch bitterer Sarkasmus finden sich, andererseits lyrisch-romantische Passagen, die wie eine Reminiszenz an gute alte Zeiten wirken.

Der Pianist Moritz Ernst gilt als Experte für die Klaviermusik Viktor Ullmanns.Foto: Michael Baker

Der Pianist Moritz Ernst gilt als Experte für die Klaviermusik Viktor Ullmanns. Foto: Michael Baker

Und es ist erstaunlich, wie sehr das Orchester sowie der vorzügliche Pianist Moritz Ernst die Stimmungen in aller Klarheit nachzeichnen. Aufregend attackierend der Beginn, fein das lyrische Fortschreiten in regelmäßigem Puls, frech der skurrile, scherzohafte Teil à la Mahler, versehen mit einer Prise Jazz. Der Solist, der ganz unspektakulär zu Werke geht, entpuppt sich allerdings als unerbittlicher Rhythmiker. Bar jeden virtuosen Gehabes erschließt er uns besonders die bedrohliche Atmosphäre des Stücks. Die Dortmunder Philharmoniker wiederum sind Partner auf Augenhöhe.

Bleibt Richard Strauss’ „Heldenleben“. Feltz scheint mit seinem Dirigat an die Interpretation der „Alpensinfonie“ anzuknüpfen. Was Ironie, was Glanz – geht es doch in erster Linie um Kampf. Und dabei oft um Überzeichnung. Das Holzbläserplärren (Des Helden Widersacher) hat mehr beleidigenden denn humoristischen Charakter. Die große Schlacht ist ein wütendes Lärmen der Welt. Feltz’ athletisches Dirigieren hat etwas vom Agieren eines Dompteurs. Doch muss, um im zirzensischen Bild zu bleiben, der Tiger gleich durch drei brennende Reifen springen?

Zuviel, zuviel: Dieser Held ist ein Narziss, der es in allem übertreibt. Das schränkt, musikalisch gesehen, die Durchhörbarkeit spürbar ein. Die Strauss’sche Klangschönheit, aus der Leidenschaft heraus, kommt zu kurz. Einiges lässt immerhin aufhorchen: die Präzision der Horngruppe etwa oder der balsamisch dunkle Ton der Soloklarinette. Schön gestaltet auch das Violinsolo (Des Helden Gefährtin). Doch der Dialog mit dem Orchester kehrt sich ob breiter Tempi zu einem doppelten Monolog um.

Ein Jahr also ist Gabriel Feltz nun Leiter der Dortmunder Philharmoniker. Er hat seine eigenen Vorstellungen. Worauf das, was die Entwicklung des Orchesters angeht, hinauslaufen soll, ist bisher kaum zu erkennen. Das Potenzial des Klangkörpers jedenfalls ist enorm. Doch noch wechseln überzeugende Abende mit enttäuschenden.

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