„Cabaret“ in Essen: Das Ende der Spaßgesellschaft

Jan Pröhl (Conférencier) und die Kit-Kat-Boys and -Girls. Foto: Birgit Hupfeld

Jan Pröhl (Conférencier) und die Kit-Kat-Boys and -Girls. Foto: Birgit Hupfeld

Schon nach wenigen Minuten schaut man erstaunt ins Programmheft: Hier steht wirklich das Schauspiel-Ensemble des Grillo-Theaters auf der Bühne? Keine ausgebildeten Musical-Darsteller? In Essen hat Reinhardt Friese „Cabaret“ einstudiert – und damit einen veritablen Hit gelandet. Der temporeiche Abend ist ein Genuss für Auge und Ohr: beste Unterhaltung, schöne Stimmen, gekonnte Choreografien, klug inszeniert.

Berlin in den 1920er Jahren: Am Vorabend des Nationalsozialismus werden die Nächte durchgefeiert. Es ist eine Zeit, für die der Begriff „Dekadenz“ geprägt wurde: Mitten in der Wirtschaftskrise wird gegen den Niedergang einfach angefeiert. Fett tönt die Tuba im Kit-Kat-Club, schmierig klingt dessen beleibter Conférencier (Jan Pröhl), der mit kaum verhohlener Geilheit die Tanz-Nummern seiner „Kit Kat-Girls and Boys“ ansagt. Was dieser Jan Pröhl mit seinem maskenhaft geschminkten Gesicht, dem angeklatschten Seitenscheitel und in seinem schlecht sitzenden Frack da beim Sprechen mit seiner lüsternen Zunge macht – das ist widerlich und großartig zugleich. Zur Live-Musik der achtköpfigen Kit-Kat-Band lässt er seine Cabaret-Puppen tanzen – allesamt Studierende an der Folkwang Hochschule der Künste.

Der Star des Clubs ist Sally Bowles (festes Ensemble-Mitglied Janina Sachau, ein singendes und tanzendes Multitalent). Sie verliebt sich in den erfolglosen amerikanischen Schriftsteller Clifford (Thomas Meczele) und treibt alsbald sein Kind ab. Auch sonst fallen Schatten auf das leichte Leben: Cliffords Zimmer-Wirtin, das spröde Fräulein Schneider (Ingrid Domann) findet ihr Glück mit Obsthändler Schultz (Rezo Tschchikwischwili) und lässt es wieder los, als ihr klar wird, dass ein jüdischer Gatte das Vermietungsgeschäft gefährdet.

Eine Ananas sagt mehr als rote Rosen: Herr Schultz (Rezo Tschchikwischwili) und das Fräulein Schneider (Ingrid Domann). Foto: Birgit Hupfeld

Eine Ananas sagt mehr als rote Rosen: Herr Schultz (Rezo Tschchikwischwili) und das Fräulein Schneider (Ingrid Domann). Foto: Birgit Hupfeld

Regisseur Friese und Bühnenbildner Günter Hellweg verzichten wohltuend auf jegliche ausstatterische Opulenz. Eine Showtreppe aus Glasbausteinen und hunderte Glühlampen am Boden bilden die Bühne, über den Orchestergraben führt ein Steg. Die Spielfläche für das immerhin 15-köpfige Ensemble wird dadurch arg reduziert – trotzdem gelingt es den Darstellern virtuos, die große Show ebenso in Szene zu setzen wie kammerspielartige Szenen.

Wie filmische Überblendungen gehen die Szenen übergangslos ineinander über – Umbauten braucht es nicht, nur ein riesiger Zylinder fährt dann und wann herunter, verdeckt die Showtreppe und wird zur Pension des Fräulein Schneider. Diese fast leere Bühne, dazu die fast komplett in schwarz, weiß und grau gehaltenen Kostüme von Annette Mahlendorf und die Musiker unter Leitung von Hajo Wiesemann lassen das begeisterte Publikum von der ersten Sekunde an atmosphärisch eintauchen.

Janina Sachau als Sally Bowles. Foto: Birgit Hupfeld

Janina Sachau als Sally Bowles. Foto: Birgit Hupfeld

Stephan Brauer ist für die Choreografien verantwortlich. Mit sicherem Blick hat er charakteristische und durchaus anspruchsvolle Elemente aus den Tanz-Nummern aufgegriffen, die vor allem aus dem Musical-Film mit Liza Minelli bekannt wurden, ohne das Ensemble zu überfordern.

Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt, bevor kurz vor der Pause das wirkliche Leben in Gestalt von Nazis in die Blase dringt. Am Umgang mit dem Erstarken der Nazis scheiden sich Geister und Paare. „Berlin ist vorbei“, resümiert Clifford und reist zurück nach Amerika. „Wenn die Nazis kommen, was habe ich dann für eine Wahl?“, fragt Fräulein Schneider rhetorisch. „Das ist gar nichts, das ist ein Lausbubenstreich“, sagt der jüdische Obsthändler.

Sally will ihre Karriere jedenfalls nicht opfern und kehrt nach der Abtreibung auf die Bühne zurück. „Life is a cabaret“ singt sie inbrünstig und mit soulig-warmer Stimme, dreht sich dann erstaunt um – alles ist leer, alle sind weg. „Gute Nacht“, sagt der Conférencier, inzwischen ein Mephisto mit Hitler-Bärtchen. Trommelwirbel. Das Ende der Spaßgesellschaft.

Termine: 19., 26., 31. Dezember. Karten: 0201 / 81 22-200

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Über Katrin Pinetzki

Kaffeejournalistin, Kulturtante und umgekehrt. Arbeitet als Pressereferentin für Kultur in der Pressestelle der Stadt Dortmund.
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