Monatsarchive: Januar 2015

Kunst als ewiger Kreislauf: Bilder von Friedensreich Hundertwasser in Hagen

Man ist beileibe kein Prophet, wenn man dieser Ausstellung ganz profan einen zählbaren Erfolg vorhersagt. Hundertwasser „zieht“ immer. Sicherlich auch in Hagen.

Tayfun Belgin, Leiter des Hagener Osthaus Museums, wo jetzt rund 130 Arbeiten aller Schaffensphasen des Friedensreich Hundertwasser (1928-2000) zu sehen sind, hofft auf rund 60000 Besucher – plus X. Dann wäre man mit der kostspieligen Schau auch finanziell „im grünen Bereich“.

Friedensreich Hundertwasser: Blackmister Sky (1975), Mixed media (© 2015 NAMIDA AG Glarus, Schweiz)

Friedensreich Hundertwasser: Blackmister Sky (1975), Mixed media (© 2015 NAMIDA AG Glarus, Schweiz)

Hagen genießt übrigens nicht zuletzt deshalb den Vorzug, die Ausstellung im Verein mit der Hundertwasser Stiftung und „Die Galerie“ (Frankfurt) auszurichten, weil im Osthaus Museum schon 1964 ein wichtige Hundertwasser-Wanderschau zu sehen war, die seinerzeit auch in Hannover, Amsterdam, Bern, Stockholm und Wien gastierte … Weiterlesen

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Das Menschliche mit der Kamera suchen – Werkschau Herlinde Koelbls in Oberhausen

01 Schein und Sein, Andrea und Anita, München 2007 © Herlinde Koelbl

Schein und Sein, Andrea und Anita, München 2007. (Foto: Ludwiggalerie Schloß Oberhausen/Herlinde Koelbl)

Von Angela Merkel wird berichtet, dass sie die Fototermine mit Herlinde Koelbl in den ersten Jahren nicht so sehr schätzte. Nach einiger Zeit jedoch änderte sich das; dann habe sie ihre Sekretärin ab und an schon mal gefragt „War die Koelbl dieses Jahr eigentlich schon hier?“ Herlinde Koelbl erzählt es mit der ihr eigenen Fröhlichkeit, als sie sagen soll, wie sie denn so zurechtkomme mit den Mächtigen der Republik.

Gut kommt sie mit den Mächtigen zurecht, mit der Kanzlerin ebenso wie seinerzeit mit Joschka Fischer, Gerhard Schröder und etlichen anderen. Für ihre über Jahrzehnte laufende Arbeit „Spuren der Macht“ hat sie sie alle portraitiert, Jahr für Jahr, … Weiterlesen

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Von Geistern und Geliebten: Ballett „Giselle“ noch einmal im Essener Aalto-Theater

Foto: Bettina Stöss/Aalto-Ballett

Foto: Bettina Stöss/Aalto-Ballett

Für Giselle soll es rosa Kirschblüten regnen und zwar immer.

Auch als der geliebte Albrecht plötzlich nicht mehr der ist, der er zu sein vorgab, will das Mädchen das nicht wahrhaben und wirft sich einen Schwung Blüten über den Kopf: „Ich will nicht, dass die Liebe aufhört“, scheint Giselle damit zu sagen, „denn sonst folgt nur noch der Tod.“ Das Unausweichliche geschieht trotzdem: Rot wie Blut sind jetzt die Rosen, die wie aus einer Wunde aus Giselle Körper quellen. Sie selbst wird ins Reich der Geister verbannt.

Rund 160 Jahre alt ist Giselle, eines der berühmtesten romantischen Ballette: In der Koproduktion von Aalto-Theater und MIR Gelsenkirchen unter der Leitung David Dawson und musikalischer Bearbeitung von David Coleman … Weiterlesen

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Wo bleiben bloß die Emotionen? – Goosens „So viel Zeit“ als Theaterstück in Oberhausen

Theater OBKarriere gemacht, Ehepartner gefunden (und verloren), Kinder gezeugt und „v“erzogen, Eigenheim gebaut, Baum gepflanzt – alles erreicht, was vor langer Zeit als Lebensziel angepeilt war. Jetzt kommt die Ernüchterung, die Wehmut und die Erinnerung an einst so unbekümmerte Zeiten treiben mit Macht. Geht es nicht allen Fortysomethings so?

In Frank Goosens 2007 erschienenem Buch „So viel Zeit“ sind es die Freunde einer Doppelkopfrunde, die nichts dringender ersehnen als „Kontakt aufzunehmen zu ihrem früheren Ich“. Es ist einfach „So viel Zeit – die schon verstrichen ist“ und erst recht „So viel Zeit – die noch gefüllt werden muss“.

Ein demonstrativer Akt wird gesucht, um dem Gefühl entgegenzuwirken, alt und verbraucht zu sein. So lässt man kurz entschlossen die Band aus glorreichen … Weiterlesen

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Melancholie eines umstrittenen Komponisten: Pfitzners „Von deutscher Seele“ in Bochum

Pfitzner auf einem Foto von Wanda von Debschitz-Kunowski, entstanden um 1910.

Pfitzner auf einem Foto von Wanda von Debschitz-Kunowski, entstanden um 1910.

Immer wieder stellt sich bei Aufführungen von Werken Hans Pfitzners die Frage: Soll man die Werke des verschrobenen Nationalisten mit unverkennbarer Nazi-Nähe überhaupt noch aufführen? Sicher, bei seinem Hauptwerk „Palestrina“ verstummen die Kritiken meistens. Um bei anderer Gelegenheit umso nachdrücklicher zu Worte zu drängen.

Vor allem politisch hochkorrekte Säuberer deutscher Gegenwart von braunen Restmüllbeständen holen dann das verbale Desinfektionsgerät heraus: Da werden schon einmal Pfitznerstraßen umbenannt – wie in Münster oder Hamburg – und ein namhafter, jeglichen braunen Unfugs unverdächtiger Dirigent wie Ingo Metzmacher wird in Interviews hochnotpeinlich befragt, weil er es wagte, zum Tag der Deutschen Einheit 2007 Hans Pfitzners romantische Kantate „Von deutscher Seele“ aufzuführen.

Eben jenem … Weiterlesen

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„Häuptling Abendwind und die Kassierer“: Punk trifft Nestroy im Theater

Koch und Sänger: Wolfgang "Wölfi" Wendland. Foto: Schauspiel Dortmund/Birgit Hupfeld

Koch und Sänger: Wolfgang „Wölfi“ Wendland. Foto: Schauspiel Dortmund/Birgit Hupfeld

Die „Kassierer“ aus Bochum-Wattenscheid machen Fun-Punk – eine legendäre Band seit inzwischen 30 Jahren. Auf ihren Konzerten grölen sie vom Bier, das alle ist oder von „Sex mit dem Sozialarbeiter“.

Klassiker unter ihren Songs heißen „Stinkmösenpolka“ oder „Ich töte meinen Nachbarn und verprügel‘ seine Leiche“, dargeboten von Sänger „Wölfi“ Wendland gerne auch mal unten ohne, mit freiem Blick aufs baumelnde Gemächt. Weil das als Satire durchgeht, haben die vier größtenteils akademisch gebildeten Musiker bislang keine Probleme mit der Bundesprüfstelle.

Johann Nestroy ist ein österreichischer Dramatiker, der vor 150 Jahren starb. Sein Stück „Häuptling Abendwind“ gehört nicht gerade zu den Spielplan-Klassikern; es handelt von zwei Kannibalen, die sich gegenseitig … Weiterlesen

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Draußen vor der Stadt: Landwehren, Ballspiele und Müllabfuhr im 16. Jahrhundert

Landwehren sind lang gestreckte Erdwälle, die im Mittelalter angelegt wurden, um das Territorium gegen Eindringlinge zu schützen oder um Räuberbanden die schnelle Flucht vor allem mit Fuhrwerken zu vereiteln. Darüber erschien hier vor drei Jahren bereits ein Artikel als „historisches Stichwort“. Jetzt gibt es zu diesem Thema ein sehr informatives neues Buch, dem sich interessante Einzelheiten entnehmen lassen. Das Werk entstand nach einer Fachtagung der Altertumskommission für Westfalen.

Heute wirkt Münster sauber und fröhlich. (Foto: Hans H. Pöpsel)

Heute wirkt Münster sauber und fröhlich. (Foto: Hans H. Pöpsel)

In den Aufsätzen der Wissenschaftler kann man viel erfahren über den Aufbau und die Funktion der Wehren, auch die manchmal dazu gehörenden Türme werden vorgestellt, und man kann an alten Karten und Fotos erkennen, wo solche Landwehren noch heute in der Natur … Weiterlesen

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Erzwungener Liebestod – Frederick Delius‘ „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ in Bielefeld

Ein roter Schirm, ein blau gefleckter Horizont: Bilder der Hoffnung in Sabine Hartmannshenns Inszenierung von "Romeo und Julia auf dem Dorfe" in Bielefeld. Die Bühne schuf Kaspar Zwimpfer. Foto: Bettina Stöß

Ein roter Schirm, ein blau gefleckter Horizont: Bilder der Hoffnung in Sabine Hartmannshenns Inszenierung von „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ in Bielefeld. Die Bühne schuf Kaspar Zwimpfer. Foto: Bettina Stöß

Von Jean-Jacques Rousseau stammt die Erkenntnis, Freiheit bestehe nicht darin, dass der Mensch tun könne, was er wolle. Sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will. In Frederick Delius‘ Oper „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ sollen die beiden liebenden jungen Leute ständig tun, was sie nicht wollen: Die Väter verbieten ihnen den Umgang miteinander. Der „schwarze Geiger“ will ihnen ein Leben als verantwortungslose Vagabunden schmackhaft machen. Das „Volk“ versucht, sie in die Konventionen seiner rüden Belustigungen einzupassen.

Sali und Vreni, die Shakespeare-Figuren in einem engen, provinziellen … Weiterlesen

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„Wie die Karnickel“: Eine Papst-Äußerung mit weitreichenden Folgen

Herrje! Jessas! Dschieses! Da ist aber der Rauch des Satans in die druckdichte Kabine des päpstlichen Flugzeugs eingedrungen! Hat doch das Oberhaupt der Katholiken verkündet, dieselben müssten sich nicht „wie die Karnickel“ vermehren…

Bergoglio, das war missgetan! Denn ungeachtet möglicher weitreichender moraltheologischer Schlussfolgerungen aus dem tierischen Vergleich meldete sich prompt der Zentralverband Deutscher Rasse-Kaninchenzüchter zu Wort: Die Fortpflanzung deutscher Rasse- und Zuchtkaninchen erfolge in geordneten Bahnen. Sexuelle Ausschweifungen träfen nur auf freilebende Tiere zu!

Um Himmels willen! Das Karnickel - ein Problemtier? (Foto: pixabay/SpiritBunny)

Um Himmels willen! Das Karnickel – ein Problemtier? (Foto: pixabay/SpiritBunny)

Wir folgern aus dieser Expertise: Die langohrigen Mümmelmänner – ach so, es gibt auch kurzohrige? – mögen sich vielleicht in der argentinischen Pampa unkontrolliertem Geschlechtsverkehr mit anschließend überhöhten Geburtenraten hingeben; in Deutschland geht das unter dem … Weiterlesen

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Yasmina Reza, Piccoli, Binoche, Ute Lemper – Frankreich ist Thema der Ruhrfestspiele

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Michel Piccoli, Jane Birkin und Hervé Pierre (von links) tragen Texte von Serge Gainsbourg vor. (Foto: Ruhrfestspiele/Gilles Vidal)

In diesem Jahr soll es unser westlicher Nachbar sein. „Tête-à-tête – ein dramatisches Rendezvous mit Frankreich“ ist das Programm der Ruhrfestspiele 2015 überschrieben, und natürlich erfolgte die thematische Schwerpunktlegung lange, bevor das Land (und seine Kultur) es zu trauriger Aktualität brachten.

Fast wundert man sich, daß Festival-Chef Frank Hoffmann Frankreichs Kultur erst jetzt so entschlossen ins Rampenlicht des Recklinghäuser Festspielhauses rückt, ist er doch als Luxemburger – mit ganz leichter Andeutung eines französischen Akzents, ähnlich seinem Landsmann Jean-Claude Juncker – der französischen (Bühnen-)Kultur schon traditionell recht nahe.

Nein, man muß man nicht befürchten, daß nun ein Gründeln nach französischer Seele oder Ähnlichem … Weiterlesen

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„Ungestört sein“ – ein kurzes Gedicht

Im Schlafzimmer

will fast

jede

und

jeder

ungestört sein.

Aber Religion

soll keine

Privatsache

sein

mancherorts.

Ungestört

will jeder

Atheist sein

im Schlafzimmer

im Ohr

in seinem Gehirn.

Amen

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Schockierendes Geständnis: Warum ich mich beim „Dschungelcamp“ prächtig amüsiere

Ich traue mich eigentlich auch jetzt noch nicht so recht: Sind ernsthaft zu nennende Blogs, die sich in würdigender Weise dem gezausten Themenfeld der Kultur widmen, auch wirklich das angemessene Podium?

Setze ich mich nicht freiwillig der Gefahr aus, mich als tumber Konsument und aufs Glotzen fixierter Allesfresser zu outen? Könnte ich möglicherweise das Schallen der auslachenden Heiterkeit bis nach Hagen hören? Ich mach’s dennoch: Der alte Mann gesteht, er guckt mit einem Heidenvergnügen alle Jahre wieder „Dschungelcamp“, amüsiert sich königlich, wie angeranzte Promis (oder solche, die noch nie welche waren und andere, die betteln, alsbald solche werden zu dürfen), alle Selbstachtung missachtend, allerlei Reste von krabbelnden Bewohnern des raren Regenwaldes von Down Under herunterwürgen. Ertappt.

Alltagskultur im weitesten Sinne… Weiterlesen

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Am Bande, nicht am Gängelband: „Schreibheft“-Herausgeber Norbert Wehr erhält Verdienstkreuz und erinnert an Voltaire

SH_83_Cover_300_dpi_b2ffc1e545Jemand mag einen Orden bekommen und doch kann er ein verdienstvoller Mensch sein, heißt es. Ganz sicher trifft dies auf Schreibheft-Herausgeber Norbert Wehr zu, der gestern im Essener Rathaus das „Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“ erhielt.

Es ist eine Auszeichnung für fast 40 Jahre Entdeckungsreisen in die Literatur der Zeiten und Länder, für Literaturveranstaltungen in Serie, die seit Jahrzehnten das kulturelle Klima der Stadt Essen bereichern. „Literatur im Folkwang“ hießen die zuletzt, bis Folkwang-Chef Bezzola die renommierte Reihe vor die Tür setzte und lieber Kunst ankaufen wollte. Die Reihe aber, das war gestern zu hören, ist wohl gerettet, sie wird unter veränderter Trägerschaft an anderen Orten und unter neuem Namen fortgeführt.

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Zwei Jahre nach dem Ende der Rundschau – beängstigende Zeiten für den Journalismus

Jetzt ist es auf den Tag genau zwei Jahre her: Am 15. Januar 2013 wurde die Entscheidung der WAZ-Gruppe (heute Funke-Gruppe) verkündet, die Redaktion der Westfälischen Rundschau komplett zu entlassen.

Damit war die Geschichte der Zeitung faktisch beendet, obwohl sie phantomhaft mit Fremdinhalten weiter erscheint. Bis heute ist dies ein singulärer Vorgang in der bundesdeutschen Pressegeschichte. An manchen Ecken und Enden der Republik haben Verleger, Investoren und Profiteure seither Redaktionen und/oder Etats verkleinert. Aber so unvergesslich rabiat wie vor zwei Jahren in Dortmund ist man noch nirgendwo vorgegangen; wenn wir mal nur von Personalpolitik sprechen.

Leerer Newsdesk der Westfälischen Rundschau in Dortmund im November 2008. (Foto: Bernd Berke)

Leerer Newsdesk der Westfälischen Rundschau in Dortmund im November 2008. (Foto: Bernd Berke)

Seit jenen Tagen hat sich allerdings das Umfeld in beängstigender Weise verändert.… Weiterlesen

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Peter Høegs „Der Plan von der Abschaffung des Dunkels“ im Bochumer Schauspiel

Logo des Bochumer Schauspielhauses

Logo des Bochumer Schauspielhauses

Was ist Zeit? Zeit ist zum Beispiel Rhythmus: Ein penetrantes Hämmern, ein ewiger Herzschlag. Wiederholung. Das kann beruhigen – oder in den Wahnsinn treiben. Eher letzteres ist der Fall in Peter Høegs Roman „Der Plan von der Abschaffung des Dunkels“ – eine vor 20 Jahren erschienene Außenseiter-Geschichte des dänischen Autors, der zuvor mit „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ einen internationalen Bestseller geschrieben hatte.

Im „Theater Unten“ des Schauspielhauses Bochum feierte nun eine Bühnenversion der Romanvorlage Premiere (Bearbeitung: Christiane Pohle, Miriam Ehlers). Martina van Boxen richtete das Stück für vier Schauspieler und einen Musiker ein.

Nach einer unglücklich zusammengekürzten Hörspielfassung lautete die spannende Frage: Gelingt es, den Stoff zu visualisieren? Denn die Geschichte um drei Jugendliche, die … Weiterlesen

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Aus der Zeit gefallen: Barbey d’Aurevillys „Der Chevalier des Touches“ erstmals auf Deutsch

Jules Barbey d’Aurevillys Roman „Der Chevalier des Touches“ führt den Leser in ein wenig bekanntes Kapitel der französischen Geschichte: die Partisanenkämpfe katholisch-royalistischer Chouans gegen die siegreichen Revolutionstruppen auf der in den Ärmelkanal ragenden Halbinsel Cotentin in den 1790er Jahren.

Als sei das Thema nicht abgelegen genug, wählt der konservativ-dandyhafte Autor Protagonisten, die schon zum Zeitpunkt der Rahmenhandlung der erzählten Geschichte, während der Restauration, und erst recht bei der Erstveröffentlichung, 1863, als Vertreter einer unwiederbringlich zurückliegenden Epoche Befremdung ausgelöst haben mussten.

Der Chevalier des Touches Cover großIn einem Kaminzimmer der normannischen Kleinstadt Valognes versammeln sich vier greisenhafte Jungfern aus der alten Aristokratie, ein Baron und ein nach der Mode des Ancien Régime gekleideter Abbé, dem kurz zuvor beim Überqueren eines Platzes der seit langem totgeglaubte Chevalier … Weiterlesen

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Kurzkrimi-Sammlung mit erotischen Zugaben: Höllischer Sex am westfälischen Hellweg

Sexy.Hölle.HellwegSchön ist es derzeit wirklich nicht. Es regnet, es stürmt, es ist zwar warm, dafür aber nicht hell. Ideale Zeit also, um sich von spannendem Lesestoff inspirieren zu lassen.

Am besten direkt solcher, der den Leser ins Dunkle mitnimmt. Düsterer als der Blick nach draußen kann es ja ohnehin kaum werden. Noch besser, wenn die Inspiration sich in erotische Gefilde ausdehnt. So dachten es sich vielleicht auch die Herausgeber der aktuellen Anthologie zum siebten „Mord-am-Hellweg-Krimi-Festival“. Natürlich – denn was reimt sich auch besser auf daheim als Sex and Crime?

Dass der berühmte alte Handelsweg, der westfälische Hellweg, mit mörderischen Geschichten gepflastert ist, weiß man mittlerweile. Nun zeigt sich, dass er auch verrucht sein kann, manchmal regelrecht verderbt, auf jeden Fall … Weiterlesen

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Bedrohlich flackernder Faschismus: Dortmunder „Tatort“ zur Neonazi-Szene

Das dürfte jetzt feststehen: Dortmund ist – glaubt man den Fernsehbildern – derzeit die abgefuckteste und desolateste „Tatort“-Stadt. Doch zugleich entstehen hier mit die stärksten und dringlichsten Krimis der Reihe.

Der heutige Fall (Untertitel: „Hydra“) rankte sich um den Mord an einem stadtbekannten Rechtsradikalen, somit auch um die örtliche Neonazi-Szene und deren fatale Querverbindungen ins Polizeipräsidium und zu anderen staatlichen Stellen.

Kommissar Faber (Jörg Hartmann, li.) befragt im früheren Stahlwerk einen Obdachlosen (Michael Witte). (Foto: WDR/Thomas Kost)

Kommissar Faber (Jörg Hartmann, li.) befragt im früheren Stahlwerk einen Obdachlosen (Michael Witte). (Foto: WDR/Thomas Kost)

Im Kern ging es nicht zuletzt um die latente oder gar manifeste Nähe des Faschismus zur so genannten „Normalität“ und Alltäglichkeit. Springerstiefel und Baseballschläger sind nur ein kleiner Ausschnitt der Wirklichkeit. Man muss viel genauer hinsehen. Eben dies versuchte dieser „Tatort“ auf beklemmende … Weiterlesen

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Hintersinn und Abgründe des Lebens – gesammelte Kurzerzählungen von Franz Hohler

Gesucht: eine Stadt mit X. Die Lösung Xanten wäre wohl zu leicht. Da dem Autor aber kein weiterer Name für sein Städte-Alphabet einfallen will, erzählt er einfach eine ganz andere Geschichte, die jedoch in einem Zusammenhang mit dem genannten Anfangsbuchstaben steht. Willkommen bei Franz Hohler, dessen Erzählungen in kein Schema passen.

Skurril, schräg, hintersinnig, abgründig: Die Geschichten des Schweizer Schriftstellers leben von der ungewöhnlichen Perspektive auf den Alltag, das Zeitgeschehen, den Zeitgeist oder das Miteinander. Dabei greift der Schriftsteller gern die kleinen Begebenheiten am Rande heraus, um auf das Große und Ganze zu kommen. Oft überlässt Hohler es auch dem Leser selbst, sich ein Urteil über Geschehnisse und Entwicklungen zu bilden, wenn er beispielsweise beschreibt, dass die Suche nach einem … Weiterlesen

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Rio Reiser wäre jetzt 65 – er fehlt mehr denn je

Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=_UlTvJ2POXM

Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=_UlTvJ2POXM

Zum Platz der Kulturen hinter der Backsteinfassade des Kulturzentrums Lindenbrauerei in Unna führt ein Weg. Er heißt “Rio Reiser-Weg”, benannt nach dem legendären Frontmann der ebenso legendären Gruppe “Ton, Steine, Scherben”.

Rio Reiser wäre heute 65 Jahre alt geworden. Und ich fragte mich gerade, ob er im Rentenalter schweigsamer geblieben wäre und den Versuch unterlassen hätte, der fortschreitend wirrer werdende Welt auf seine Art den Zerrspiegel vorzuhalten. Ich denke nein.

Rio Reiser, der am 20. August 1996 mit nur 46 Jahren starb, hieß bürgerlich Ralph Möbius. Er hatte einen Bruder mit Namen Gert und einen, der heißt Peter Möbius und blieb einst durch das Langzeitengagement des “Hoffmanns Comic Teater” in Unna hängen. Damals, in den 1980er Jahren, … Weiterlesen

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Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo – Zeit für eine Debatte über die Rolle der Religionen

Der feige Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo hat zwölf Menschen das Leben gekostet und großes Leid über ihre Angehörigen, ihre Freunde, ihre Kollegen gebracht.

Und er verletzt auch meine a-religiösen Gefühle zutiefst, meine Vernunft, mein Herz. Die Erkenntnis, dass Religionen und (Massen-)Wahn sehr nah beieinander liegen, ist – im wahrsten Sinne des Wortes – beileibe nicht neu. Zeigt sich dieser Zusammenhang aber im alltäglichen Leben als Katastrophe, wird er vollends unerträglich. Da hilft auch die Flucht von Sprechern religiöser Verbände in die Schutzbehauptung, Religionen und religiöser Fundamentalismus als Terrorismus hätten nichts miteinander zu tun, nirgends weiter, sondern verdunkelt nur tatsächliche Zusammenhänge.

Es wird also höchste Zeit für mehr radikale Religionenkritik, für eine Debatte über die Rolle der … Weiterlesen

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Kurz und abgeschmackt: der ARD-„Brennpunkt“ über den Anschlag in Paris

Das war wirklich ausgesprochen dürftig: Die ARD hat heute ab 20:15 Uhr einen gerade mal 17 Minuten langen „Brennpunkt“ zum ruchlosen Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ erübrigt. Mit mancher mittelschweren Wetterkapriole hat man sich schon länger aufgehalten.

Oben rechts befindet sich der Ausschaltknopf. (Foto: BB)

Oben rechts befindet sich der Ausschaltknopf. (Foto: BB)

Schlimmer noch: Der Einstieg war ungemein abgeschmackt. Moderator Markus Preiss, bis vor kurzem noch selbst in Paris eingesetzt, hielt es für nötig, uns den Schrecken des Attentats vor Augen zu führen, indem er salbungsvoll sagte, Paris sei ja sonst für das Schöne im Leben bekannt: für die Liebe, für Kunst, für gutes Essen… Man bewundere den Eiffelturm und manche andere Sehenswürdigkeit, doch heute…

Ja, ist es denn zu fassen? Wie fühllos können Fernsehleute sein, … Weiterlesen

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Das Elend eines Kampfpiloten – James Salters Roman „Jäger“ (1957) endlich auf Deutsch

Cleve Connell ist der Anführer eines Schwarms von Kampfpiloten. Seine Aufgabe besteht darin, feindliche Maschinen abzuschießen und den eigenen Bodentruppen Schutz zu gewähren. Das hat jahrelang funktioniert.

Connell wurde in mehreren Kriegen für seinen Mut ausgezeichnet. Doch jetzt ist er in Korea stationiert. Und das Glück oder das Gespür für den Sieg kommt ihm abhanden. Immer wieder steigt er mit seiner Maschine in den Himmel auf. Doch nie bekommt er den Feind zu fassen, nie kann er nachweisen, dass er immer noch ein Ass ist, ein Held, dem Krieg Ruhm bedeutet und dem das Töten als eine Art Sport gilt. Allmählich wird er zum Gespött der Einheit und droht an seiner vermeintlichen Unfähigkeit zu zerbrechen.

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Bevor James Salter zum Schriftsteller … Weiterlesen

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Wenn der Minister von Wurst und Käse erzählt

Ein Minister, dessen ministrable Realexistenz mir immer erst dann wieder bewusst wird, wenn er sich zu ziemlich unwesentlichen Politikbereichen äußert (vermutlich geschieht das immer dann, wenn er sich von der allgemeinen Vergessenheit bedroht sieht); diesem Minister also (es handelt sich um einen gewissen Christian Schmidt aus der unvermeidlichen CSU) fiel es ein, dass er sich nach wiederholtem Flachsinn, den sein heimischer Ministerpräsident Seehofer von sich gegeben hat, auch mal wieder zu Wort melden musste.

Erstens, um den Nachweis zu erbringen, dass es ein Bundesagrarministerium wirklich gibt.

Natürlich künstlich: Wurst und Käse aus dem Kinder-Kaufladen. (Foto: Bernd Berke)

Natürlich künstlich: Wurst und Käse aus dem Kinder-Kaufladen. (Foto: Bernd Berke)

Zweitens, um den Nachweis zu erbringen, dass nicht nur sein Ministerpräsident in München dummes Zeug mundartlich verbreiten kann.

Drittens, um zu zeigen, dass … Weiterlesen

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Einkaufen früher und heute

Ein hundert Jahre altes Foto: Es zeigt ein Fachwerkhaus im Dörfchen Voerde, heute ein Ortsteil der Stadt Ennepetal, das Haus mit einer Art Schaufenster, sonst keine Werbung außer dem Namen des Ladeninhabers. Einkaufen in einem solchen Kolonialwaren-Geschäft war damals normal. Und heute? Discounter und Supermärkte bestimmen unseren Alltag.

In solchen Läden wurde die Ware noch aus Fässern und Schubladen in Papiertüten gefüllt oder in Zeitungspapier eingewickelt, Heringe lagerten in der Tonne, Zucker und Mehl stand in Säcken auf dem Boden, und weil es keine Autos gab, fand man natürlich derartige Geschäfte der „Grundversorgung“ an jeder Ecke.

Ein Dorfladen in Voerde  vor 100 Jahren. (Foto: Stadtarchiv Ennepetal)

Ein Dorfladen in Voerde vor 100 Jahren. (Foto: Stadtarchiv Ennepetal)

Heute wird diese allgemeine Versorgung mit den wichtigsten Lebensmitteln von Supermärkten oder Discountern übernommen, … Weiterlesen

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Routine im linksliberalen Korsett: Der „Geierabend“ braucht dringend Auffrischung

Der einstmals „alternative“ Dortmunder Bühnenkarneval „Geierabend“ ist mit den Jahren immer erfolgreicher geworden. Unser Gastautor Michael Westerhoff findet allerdings auch, dass die Veranstaltung heute viel harmloser daherkommt. Hier seine Eindrücke vom Premierenabend:

Müde Gags und schlecht einstudierte Szenen. Einzig der „Steiger“ Martin Kaysh läuft zu Normalform auf. Der Rest des neuen Geierabend-Programms („Nach uns die Currywurst“) ist genauso uninspiriert wie das Spiel des BVB in dieser Saison.

Schon das Intro, eine Coverversion von Robbie Williams’ „Let me entertain you“, lässt Böses erwarten. Dass die Zuschauer den Text nicht verstehen können, liegt nur zum Teil an der schlechten Akustik. Vielmehr scheinen die Ensemble-Mitglieder beim gemeinsamen Auftritt alle einen unterschiedlichen Text zu singen. Eine Tatsache, die sich wie ein roter Faden durchs … Weiterlesen

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Martin Walsers Roman „Ein springender Brunnen“ – wiedergelesen als Meisterwerk über eine Kindheit und Jugend im Faschismus

Martin Walser 2013 in Duisburg Foto: Jörg Briese

Martin Walser 2013 in DuisburgFoto: Jörg Briese

Ich erinnere mich, und zugegeben, das alles hört sich für Heutige an, als stünde es in einer Erzählung voller Stereotype, ich erinnere mich also: Unser Klassenlehrer am Duisburger Mannesmann-Gymnasium Mitte der 60er-Jahre war während des sog. Dritten Reiches Offizier der Wehrmacht. Wenn der um 1920 Geborene von Hinterhalt und Überfällen der Tito-Partisanen in Jugoslawien erzählte, hingen wir an seinen Lippen und waren froh, dass zuletzt immer er und seine Kompanie den verdienten Sieg davontrugen. So verbrachten wir manche Religionsstunde, vor allem vor den Ferien, und waren stolz, wenn er uns außerhalb des Unterrichts wohlwollend „Männer!“ rief.

Ab 1967 hatte er ein zweites Thema: den Sechstagekrieg Israels gegen Ägypten, Jordanien und Syrien, von ihm … Weiterlesen

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