Blutiges Todesmärchen

Theater kann erschüttern, belehren, eine neue Perspektive aufzeigen. Oder für kurze Zeit eine andere Realität auftun, deren Regeln und Bilder uns bisweilen fremd sind, die uns aber gefangen nimmt und verzaubert in ihrer Einzigartigkeit. Federico García Lorca hat mit seiner „Bluthochzeit“ ein solchLeonardo (Björn Gabriel) hat sich seine Braut (Caroline Hanke) geschnappt. Foto: Birgit Hupfeldes Stück geschrieben, für das Paolo Magelli auf der Dortmunder Bühne eine fordernde Übersetzung gefunden hat.

Federico García Lorca war gerade 38 Jahre alt, als er von Handlangern des späteren Diktators Francisco Franco im Bürgerkrieg getötet und in ein Massengrab geworfen wurde. Seine Homosexualität und die linken, gesellschaftskritischen Arbeiten des berühmten spanischen Dichters waren ihnen verhasst.

Der Sohn eines Großbauern jedoch war den Traditionen seiner Heimat eng verbunden, suchte mit einem reisenden Studenten-Theater Kultur und Bildung in die ländlichen Regionen zu bringen und wob Mythen und Märchen seines Volks in seine bildgewaltige Arbeit. Spürbar auch in der „Bluthochzeit“, die früheste seiner großen Frauentragödien und Teil der Bauerntrilogie, die sich mit der Stellung der Frau in der Landbevölkerung auseinandersetzt.

Regisseur Paolo Magelli stürzt seine Zuschauer unmittelbar in Lorcas Welt, ohne Vorhang, ohne Vorbereitung. Eine Welt, deren erdrückende Konventionen und blutgetränkte Geschichte schon von Anfang an auf den Menschen lastet: Unter einem niedrigen Dach liegen und robben der freudige Sohn (Sebastian Graf), der kurz vor der Hochzeit steht, und die misstrauische Mutter (Friederike Tiefenbacher), die Mann und Kind durch eine Familienfehde verlor und den Sohn nun nicht ziehen lassen will. Ihr Gefühl trügt sie nicht: Leonardo (Björn Gabriel), ehemaliger Verlobter der Braut (Caroline Hanke) und jetzt unglücklich verheiratet, gehört zur verfeindeten Sippe. Kurzerhand fliehen die beiden am Tag der Hochzeit – und der gehörnte Bräutigam sucht blutige Vergeltung. Deutlich ist in diesem Liebeschaos von sommernachtsträumerischem Ausmaß die Verehrung Lorcas für Shakespeare zu spüren.

Schon vorab hatten Regisseur Magelli und sein Team erklärt, dass sie Lorcas Stück von Ballast, Schnörkel und Sentimentalitäten befreien wollten. Dieses Herausschälen des Wesentlichen durchdringt alle Aspekte: Die eigens neu angefertigte Übersetzung von Dramaturg Alexander Kerlin, die eine harte, einfache, bildmächtige Sprache offenbart. Die wunderbaren Kostüme von Leo Kulaš, die in dezenten Details gen Spanien entrücken, ohne folkloristisch zu werden. Und auch das extrem reduzierte Bühnenbild von Hans Georg Schäfer in Form eines fahrbaren Dachs an Stahlstreben, das erdrückt und befreit, Spalte zwischen Phantasie und Wirklichkeit sein kann.

Es ist eine Herausforderung, dass nicht alles erklärt wird, manches skurril wirkt – doch es lohnt, sich darauf einzulassen: Der Zuschauer wird hineingezogen in eine fremde und faszinierende Welt voll fantastisch schräger Klänge (mit Musik von Paul Wallfisch) und unbekannter, seltsam schöner Bilder, die Lorcas Nähe zum Surrealismus unterstreichen. Da reitet Leonardo auf einem Gabelstapler, wird eine quietschende Wiege an einem Wollfaden gezogen oder kämpfen die Liebenden wie Stiere, während die Braut über ihnen zu schweben scheint.

Das Ensemble schafft es in einer dichten, konzentrierten Gesamtleistung dieses brutale Todesmärchen zusammen zu spinnen. Heiter erzählen sie von der Sehnsucht nach Freiheit und Gefühl im Kampf gegen eine sittenstrenge Gesellschaft. Ein Abend, der nachwirkt, wie ein schräger, entrückter, packender Traum – vom Publikum aber unterschiedlich aufgenommen wurde.

(Dieser Artikel stammt aus der Westfälischen Rundschau / Foto: Birgit Hupfeld)

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1 Antwort zu Blutiges Todesmärchen

  1. Wenn man zusätzlich zum Theaterbesuch auch noch Lorcas Stück „Bernarda Albas Haus“ liest, was sich ganz entschieden mindestens ebenso sehr lohnt, (sogar in der Schule, Reclam lässt grüßen), behält man vor allem in Erinnerung, dass in ihm – ganz nachhaltig nachhallend und sehr bewegend in Singularität (!) und Plural – ausschließlich Frauen vorkommen.

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