Nicht mehr neu, aber noch jung: Konzertreihe in Düsseldorf würdigte Bernd Alois Zimmermann zum 100. Geburtstag

(c) Tonhalle Düsseldorf

Das Plakat zur Konzertreihe (© Tonhalle Düsseldorf)

Mancher Mensch wäre, vom Alter gebeugt, glücklich, erginge es ihm so wie der Musik des 20. Jahrhunderts. Sie mag komponiert sein, als die Großmütter der Zuhörer noch kleine Mädchen waren, doch sie bleibt ewig „neue“ Musik. Wer wäre nicht gerne ebenso alterslos?

Dabei ist Musik, die vor fünfzig, sechzig Jahren geschrieben wurde, eigentlich längst „alte“ Musik: Zu Mozarts Zeiten wäre es niemanden eingefallen, etwa Georg Friedrich Händel in Spezialkonzerten für „neue“ Musik zu spielen. Aber Bernd Alois Zimmermann etwa geht immer noch irgendwie als Zeitgenosse durch. Das ehrt ihn, zeigt es doch, wie zukunftsweisend seine Art zu komponieren war.

Aber der Mann wurde 1918 geboren und hat sich 1970 – vor fast 50 Jahren! – das Leben genommen. Dennoch ist seine Musik beim breiten Publikum noch nicht richtig angekommen. Das scheint sich soeben zu ändern: Die Neuinszenierungen seines Hauptwerks, der Oper „Die Soldaten“ in Nürnberg und Köln in seinem 100. Geburtsjahr waren Publikumsrenner mit ausverkauften Vorstellungen.

Bei den drei Konzerten, die in der Tonhalle Düsseldorf ein kleines Bernd-Alois-Zimmermann-Festival bildeten, ließ sich ein solcher Zulauf nicht feststellen. Das liegt sicher nicht daran, dass sich in Düsseldorf ein in Köln beheimateter Komponist nur mit Mühe vermitteln ließe. Es dürfte auch nicht an der attraktiven Dramaturgie der drei Abende liegen: An den zwei ersten spielte der kundige Pianist Udo Falkner Zimmermanns Gesamtwerk für Klavier – also Musik, die zwischen 1939 und 1956 entstanden ist. Dazu kombinierte er Stücke von Schülern Zimmermanns, Werke von tatsächlichen Zeitgenossen wie Wolfgang Rihm und Jörg Widmann sowie Musik von wichtigen Kollegen Zimmermanns wie Hans Werner Henze und Dieter Schnebel. Das dritte Konzert gehörte dem notabu.ensemble neue musik.

Bernd Alois Zimmermann. Foto: BAZ-Archiv

Bernd Alois Zimmermann. (Foto: BAZ-Archiv)

Bewandertes Publikum

An diesem Abend zeigten sich im weiten Rund der Tonhalle nur wenige der kulinarisch auf das Wiedererkennen beliebter Melodien geeichten Düsseldorfer Konzertgänger. Manch würdiger Herr, manch hoheitsvolle Dame dürften Zimmermann noch selbst erlebt haben. Ansonsten waren Aufmerksamkeit und Kenntnisreichtum zu spüren. Die Musiker konnten sich glücklich schätzen: Ein so bewandertes und gespannt lauschendes Publikum haben sie nicht jeden Tag.

Das notabu.ensemble neue musik. Foto: Hellmut Schlingensiepen.

Das notabu.ensemble neue musik. (Foto: Hellmut Schlingensiepen)

Schon die Rarität zu Beginn hätte den Besuch des Konzerts gelohnt: Es war gelungen, eine Aufzeichnung von „Metamorphose“ des Schweizer Filmemachers Michael Wolgensinger zu bekommen. Der Schwarz-Weiß-Film aus dem Jahr 1954 reiht ohne Handlung und ohne Worte Bilder aneinander, deren Verknüpfung assoziativ bleibt. Einzelne Szenen scheinen erzählen zu wollen, werden aber unterbrochen oder abgeschnitten durch Einblendungen, Grafiken und andere abstrakte Elemente oder archaische Landschaftsbilder.

Die sechs Sätze der Musik Zimmermanns tragen Bezeichnungen, wie sie in alten Suiten zu finden sind, etwa Invention, Kanon oder Gigue. Der dritte Teil ist eine „Romanza“, der fünfte eine „Habanera“: Zu Bildern von Geburt und Tod – ein Kalb kommt auf die Welt und ein Stier wird im Kampf getötet – findet Zimmermann spanisch anmutende Rhythmen; zu ruhigen Bildsequenzen und langen Einstellungen schreibt er schwebende, hochdifferenzierte Klänge. Zum Saxofon, einem typischen Instrument des Jazz und des Schlagers, tritt eine opulent besetzte Schlagzeuggruppe, ansonsten beschränkt sich Zimmermann auf die gängigen Orchesterinstrumente. Immer wieder klingen Jazz-Elemente durch und zeigen, dass er keine Scheu hatte, sich aus der „U-Musik“ zu bedienen und ihre Stilformen als Material in anspruchsvolles Komponieren zu integrieren.

Flirt mit Jazz und U-Musik

Abzulesen ist diese Offenheit auch im „Monolog für zwei Klaviere“, in dem Frederike Möller und Yukiko Fujieda stilistische wie pianistische Kompetenz bewiesen. Das 17-minütige Stück aus dem Jahr 1964 ist ein „Flirt mit U-Musik und Jazz“, aber auch eine ausgefeilte Studie über die Möglichkeiten der Zitat- und Collagetechnik. Zimmermann legt Debussy und Beethoven, Messiaen und Bach übereinander und verarbeitet sie formal staunenswert komplex.

In dieser Klavierstudie, aber auch im Konzert für Trompete und Orchester auf der Basis des bekannten Gospel-Melodie „Nobody knows the trouble I’ve seen“ verbindet Zimmermann Komplexität und Leichtigkeit auf wunderbare Weise: Das Schwere scheint ganz selbstverständlich und ungezwungen, die Musik „schwitzt“ an keiner Stelle, sondern fließt, als hätte es für sie nie einen anderen Weg gegeben. Ein Kennzeichen wirklich souveränen Komponierens. Der Trompeter Ferenc Mausz, Dirigent Mark-Andreas Schlingensiepen und das Orchester lassen – ebenso souverän – keine Anstrengung erkennen, spielen Zimmermann mit Freiheit und Bravour.

Ein Solitär im Programm ist die berührende Violasonate von 1955, ein persönlich gehaltenes Requiem, aber auch eine Studie über die Möglichkeit, alte Techniken der Komposition in die Gegenwart zu transformieren. Yuri Bondarev spielt das gebrochene Choralthema „Gelobt seist Du Jesu Christ“ deutlich heraus und nutzt seine eminenten tontechnischen Möglichkeiten vom satten Klang bis zu resonanzlos ausgedünnten Tönen, vom ruhevollen Grundpuls bis zu grellen Akzenten, um die Struktur des Werks zu verdeutlichen. Das ist keine „neue“, aber wirklich nach wie vor „junge“ Musik.

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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