„Jedermann“ will alles – Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes in einer Bochumer Variante

Von Bernd Berke

Bochum. Dröhnender hat der Tod den reichen „Jedermann“ wohl selten gerufen. In der Bochumer Jahrhunderthalle, einem gigantischen früheren Werksgebäude von Krupp, hallt das Echo des Namens sekundenlang schaurig nach. Überhaupt ist beim Sterben des reichen Mannes in Bochum beinahe alles anders als in Salzburg, wo Hugo von Hofmannsthals Version alljährlich als christliches Mahn-Spiel vor dem Dom gegeben wird.

Der „Bochumer Jedermann“ (offizieller Titel) ist ein Investor, der just das aufgegebene Krupp-Areal rings um die imposante Jahrhunderthalle aufkaufen und die Industriebrache zum lukrativen Konsum- und Freizeitparadies ausbauen will. So etwas soll’s ja geben.

Mit dem Cabrio durch die Jahrhunderthalle

Spielort gleich Handlungsort. Das hat einen gewissen Reiz; gibt es doch dem reichen Jedermann (Thomas Rech) Gelegenheit, mit einem Cabrio bayerischer Marke samt zickiger Buhlschaft (sprich: Geliebte; Vesna Buljevic) durch die Halle zu rasen und das Objekt seiner Begierde gleich in Augenschein zu nehmen.

„Jedermann“ will alles. Gott ist hier nicht mehr der große Weltenherrscher, sondern nur eine ferne, etwas brüchig gewordene Stimme. Und der Teufel (Axel Walter), ein Abklatsch des Mephisto, treibt nur miesen Schacher: Gibst du mir deine Seele, bekommst du die Immobilie gratis…

Zwischen Aufblähung und Kleinkunst

Das Theaterkollektiv „stahlhausen enterprises“ (Bochums freie Thealozzi-Truppe, verstärkt um Darsteller verschiedenster Provenienz) müht sich, die weiträumige Spielfläche weidlich zu nutzen. Schon der Bote, der zu Beginn Aufmerksamkeit vom werten Publikum fordert, kommt auf modischen Rollschuhen (Inline-Skater) angedüst. Alsbald hinkt der Teufel unter wabernden Dampfwolken herbei, wird aber sofort von einem Hausmeister im Revier-Tonfall („Wat machß du denn hia, ey?“) angemeiert. Das nicht immer fruchtbare Wechselspiel zwischen Aufblähung und Kleinkunst zieht sich durch den ganzen Abend.

Regisseurin Gudrun Gerlach hat sich nicht nur textlich im ganzen Umkreis des Stoffes (Urversion: England, spätes 15. Jahrhundert) bedient, sondern auch auf der Bühne ein Konglomerat aller möglichen Theaterformen angerichtet. Sie hat sich halt überall was abgeguckt, wohl auch hoch droben bei Heiner Müller und Pina Bausch. Doch hier heinermüllert und pinabauscht es lediglich lau daher, die Mittel reichen – zumal in zahllosen Nebenrollen – für wirkliche Kraftakte nicht hin.

Man sollte doch, man müßte mal…

Musicalartige Einlagen haben wir auch. Zudem tritt eine Männergesangsgruppe („Brüder, zur Sonne, zur Freizeit“) an. Man sieht Sequenzen mit „volksnahem“ Spaß- und Lachtheater, aber auch Versuche im finsteren großen Weltendrama. Gerüste werden aufgefahren, Feuer lodern im Hintergrund. Exerzitien in Sachen Tanztheater gibt’s gleichfalls, wenn jene fünf „Leichen der Vergangenheit“ der körperlichen Selbsterfahrung frönen. Vieles wirkt wie beliebiger Einschub, etwa nach dem Leitsatz: Diese Form könnten wir doch auch noch erproben. Man sollte doch, man müßte mal…

Manche mögen es für sinnlichen Reichtum an Ausdrucksformen halten, doch aufs Ganze gesellen, zerfasert das Konzept. Es ist kein grandioses, aber doch ein sympathisches Projekt, unterhaltsam oder bedenkenswert in manchen Einzelteilen. Besonders die Szenenfolge mit „Jedermanns“ Investoren-Pressekonferenz samt anschließender Schickimicki-Fete, in deren Verlauf sich ein von ihm drangsalierter Bochumer Opel-Malocher in den Tod stürzt, entfaltet bewegende Kontrastwirkung.

Am Schluß wird – wie rührend – „Jedermanns“ Seele durch ein armes Ruhrgebietspaar (Frührentner und Taubenmutter) doch noch gerettet, so daß Satan sich ein anderes Opfer suchen muß. Tatsächlich ist ein neuer Investor, ein neuer „Jedermann“ sogleich zur Stelle, und alles könnte von vorn beginnen. Jaja, so ist der Welten Lauf. Doch haben wir damit wirklich etwas gelernt, was wir vorher nicht wußten?

Termine: 13., 14., 19., 20.. 21.7. (jeweils 21 Uhr), zahlreiche weitere Aufführungen bis Ende August (dann Beginn 20.30 Uhr). Jahrhunderthalle Bochum, Zufahrt Gahlensche Straße. Karten (22 DM, ermäßigt17DM). Tel. 0234/17 59 0.

 

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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