Opernsommer in Italien: Verdis „Aida“ als Spektakel mit hohem Schauwert in der Arena di Verona

Der Sieger: Carlo Ventre als Radamès am 25. August in der Arena von Verona. ©Foto: Ennevi/Fondazione Arena di Verona.

Der Sieger: Carlo Ventre als Radamès am 25. August in der Arena von Verona. ©Foto: Ennevi/Fondazione Arena di Verona.

Ein privates Leben ohne politische Karriere kann sich Radamès nicht vorstellen: Den Sieg im Krieg setzt er in seiner Fantasie voraus, um mit Aida glücklich zu werden: Rückkehr mit Lorbeerkranz und dann einen Thron nahe an der Sonne. Das ist er, der ägyptische Ehrgeizling, der seine Flucht in die Wüste nicht durchzieht, der für sein politisches Versagen aber konsequent einsteht: Die Ehre ist gerettet um den Preis des Lebens.

Dass beiden sich dann im Grab ein jenseitiger Himmel der Liebe erschließt, ist Aidas Verdienst. Die andere starke Frau dieser Geschichte, Amneris, bleibt einsam zurück, ist das eigentliche Opfer der verderblichen Konstellation. Ihr bleiben die Trauer und der Blick auf den Tod: Frieden erbittet sie – und ihr letztes Wort „pace“ schwebt über dem Pianissimo-Schluss der Oper.

Giuseppe Verdi hat in „Aida“ das Erbe Meyerbeers und seiner früheren Opern „I Vespri Siciliani“ und „Don Carlo“ weitergeführt: Der Kontrast intimer, kammerspielartiger privater Szenen und der gewaltigen Tableaus verschränkt das Politische und das Private szenisch und musikalisch. Für die Regie eine schwer zu lösende Aufgabe, die zu ungewöhnlichen Lösungen geführt hat, beginnend mit Hans Neuenfels‘ Aufsehen erregender Frankfurt Inszenierung in der Ära Michael Gielen vor fast 40 Jahren.

Seit 1913 über 700 Vorstellungen von „Aida“

Vor der Vorstellung: Arena-Besucher stärken sich in der Bars und Restaurants der Piazza Brá. Foto: Häußner

Für die Arena di Verona gehört Verdis Meisterwerk zum Gründungsmythos: 1913 war „Aida“ die erste dort inszenierte Oper mit inzwischen über 700 Vorstellungen. Ein Grund dafür ist der Schauwert vor allem des Tempel- und des Triumphbildes im ersten und zweiten Akts mit ihrer riesigen Chor- und Statistenparade. Seit 1980 gab es nur eine einzige Saison ohne dieses Zugpferd. In diesem Jahr zeigt man wieder die Rekonstruktion der ersten „Aida“ des Jahres 1913 – ein Höhepunkt des kulinarisch orientierten Historismus, eine ungebrochen der Bewunderung preisgegebene bunte Ägypten-Welt der Belle Èpoque.

Hier schreiten die Scharen des Pharaos über die riesige Bühne, flankiert von den monumentalen bemalten Säulen, die an Abu Simbel oder Luxor erinnern. Aida ist nicht die mit dem Putzeimer bewehrte Dienstbotin im vornehmen Großbürgerhaushalt wie weiland bei Neuenfels, sondern steckt im ägyptisierenden Modellkleid. Auf dem Höhepunkt ziehen weiße Pferde ein und Radamès, der Sieger, rollt auf einem voluminösen Thron heran. Selbst die äthiopischen Gefangenen sind sauber und ästhetisch gewandet; ihr unerkannter König Amonasro trägt ein farbenfrohes Kostüm, wie man es damals einem „Neger“-Fürsten für angemessen hielt.

Nur als das Ballett im attraktiven Kontrast von Gold und Schokoladenfarbe über die Bühne hüpft, regt sich leichte Heiterkeit im Publikum, wiewohl Susanna Egri in ihrer Choreografie wohl nicht die Absicht hatte, die Naivität von 1913 ironisch zu brechen. Und als aufklärungswilliger Mitteleuropäer von heute fragt man sich, wann wohl die erste Dekolonialisierungsgruppe ein Verbot dieser fröhlich-unbekümmerten Reprise vergangener Zeiten fordert.

Die Sänger müssen die Szenen mit Spannung erfüllen

Soia Hernández (Aida) und Batral Chuluunbaatar (Amonasro) am 25. August in der Arena di Verona. Foto: Ennevi/Fondazione Arena di Verona.

Soia Hernández (Aida) und Mario Cassi (Amonasro) am 25. August in der Arena di Verona. Foto: Ennevi/Fondazione Arena di Verona.

Da sich Gianfranco de Bosio in seiner Regie auf erhabenes Schreiten, Zeitlupenbewegungen der Körper und das – gekonnte – Arrangement der Chor- und Statistenmassen beschränkt, liegt es an den Sängern, die Szenen mit Spannung zu erfüllen. Punktuell gelingt das, etwa wenn sich im dritten Akt Aida und ihr Vater Amonasro treffen und der König seine Tochter zur Spionage einsetzen will. In diesem Moment bricht bei Saioa Hernández die seelische Erregung und der ausweglose innere Konflikt in der Interaktion durch, und der hervorragend disponierte Mario Cassi – ein Sänger, dessen Namen man sich merken sollte – weckt den ambivalenten Charakter seiner Rolle aus den Schemata der Arena-Gestik auf zu unmittelbarem, packenden Leben.

Cassi war der eindrucksvollste stimmliche Gestalter in der Solistentruppe dieses nur mäßig besuchten Arena-Abends: ein klarer, unverkrampft timbrierter Bariton, dramatisch ohne tour der force oder heftiges Vibrato, fähig zu dynamisch beweglichem Agieren und zu sorgfältig abschattierten Farben. Einen günstigen Eindruck hinterließ auch Carlo Ventre als Radamès, der noch in seiner Einstandsarie schwerfällig artikulierte und das fette Forte kaum verließ: Hauptsache, das b am Schluss sitzt und strahlt. Im Lauf des Abends jedoch sang er zunehmend flexibel und glänzte im Finale mit einem leuchtenden Mezzoforte, das die visionäre Entrückung der Musik im Klang der Stimme einholt. Seine Partnerin Saioa Hernández tat es ihm gleich und brillierte mit schimmernd lasiertem Sopran, nachdem sie sich in „Ritorna vincitor“ noch allein auf eine sicher positionierte, bisweilen stark vibratogesättigte und somit intonationsunscharfe Stimme gestützt hatte. Auch in „Qui Radamès verrà … O patria mia …“ vermisste man einen locker geführten Ton; die Höhe erreicht Hernández jedoch ohne spürbare Mühe.

Seelenzustände in flammenden Tönen

Judit Kutasi, die viel an der Deutschen Oper in Berlin singt, hatte als Amneris nach unerfreulichem Beginn ihren Höhepunkt im vierten Akt, als die verwöhnte Pharaonentochter erkennen muss, dass sie dem Entschluss von Radamès, den sicheren Tod in Kauf zu nehmen, aber auch der finster starren Macht der Priester ohnmächtig gegenübersteht. In diesen Momenten explosiver Wut und glühender Verzweiflung überwindet die Sängerin den eindimensional auf Größe und Wucht getrimmten, heftig vibrierenden, psychologisch kaum gestaltungsfähigen Ton ihrer ersten Auftritte und drückt den Seelenzustand ihrer Figur in frischen, flammenden Farben aus.

Die monumentale Szenerie, der Bühne von 1913 nachgebaut, entspricht dem Bild des antiken Ägypten in der Belle Èpoque. ©Foto Ennevi/Fondazione Arena di Verona.

Die monumentale Szenerie, der Bühne von 1913 nachgebaut, entspricht dem Bild des antiken Ägypten in der Belle Èpoque. ©Foto Ennevi/Fondazione Arena di Verona.

Bemerkenswert markant und sicher ist Carlo Bosi in den wenigen Sätzen des Boten. Gianluca Breda setzt als Ramfis auf einen bronzen dröhnenden Klang, Krzysztof Bączyk gibt einen noblen König. Der Chor Vito Lombardis bewältigt die Probleme, die sich aus den Distanzen der Bühne ergeben, mit gewohnter Selbstsicherheit; in der zweiten Szene des ersten Akts, im Tempel, gelingen dem Herrenchor leuchtende Pianissimi, berückender als alle Chorgewalt der Tableaus.

Francesco Ivan Ciampa will das Orchester davor bewahren, vordergründig und plakativ zu spielen, was an den meisten Stellen gelingt, an denen statt des Geschmetters des Triumphbildes die Finessen in der Balance und der Bildung des Klangs entscheidend sind. Hin und wieder setzt die schiere Größe der Arena solchem Streben Grenzen: Die Einleitung zum Nilakt mit ihren zarten Streichern verweht, die tiefen Streicher haben im Duett Aida-Amonasro zu wenig Gewicht; auch die Holzbläser haben es bisweilen schwer, sich durchzusetzen. Ciampa sollte auf einen „sonoren“ Ton auch im Piano achten.

Das 98. Festival beginnt am 13. Juni 2020 und bringt nach 14 Jahren wieder einmal die beiden unverwüstlichen Zwillinge „Cavalleria rusticana“ und „I Pagliacci“ auf die Arena-Bühne, dazu Puccinis „Turandot“ sowie die Verdi-Klassiker „Aida“, „Nabucco“ und „La Traviata“.

 

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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