Manege frei für die blutige Geschichte der Deutschen – Frank-Patrick Steckel inszeniert in Bochum Heiner Müllers „Germania Tod in Berlin“

Von Bernd Berke

Bochum. Heiner Müllers fragmenthafte Szenen-Collagen wie „Germania Tod in Berlin“ sind große Herausforderungen an das Theater: Jede Szene hat ihren speziellen Charakter und muß, soll sie ihre Kraft entfalten, mit je besonderen Mitteln auf die Bühne gebracht werden. Da wird denn rasch deutlich, wie groß die Ideenfülle eines Regisseurs ist und wieviel Phantasie er wirksam freisetzen kann.

In Bochum, wo am Samstag mit dem „Germania“-Stück die Schauspielsaison recht verheißungsvoll eröffnet wurde, zeigte sich, daß Frank-Patrick Steckel in dieser Hinsicht aus dem Vollen schöpft. Mittel des Straßen- und Clownstheaters setzt er ebenso ein wie Formen der Pantomime und des Tanzes (Choreographie: Gerhard Bohner).

Zu Beginn eine Toncollage (Ronald Steckel): Marschtritte und der verzerrte „Heil“-Schrei einer ekstatischen Masse. Ein knallroter Vorhang (Bühnenbild: Johannes Schütz), auf dem Tuch die verblassenden Worte des Kommunistischen Manifestes von Karl Marx, am unteren Ende gar nicht mehr lesbar, ungültig sozusagen. Der Vorhang spannt sich um einen halbrunden Platz mit Sand. Manege frei für die blutige deutsche Geschichte.

Der Tod (Agnès Moyses) ist ein machtvoller Magier: Seine weißen Handschuhe leuchten aus der Vorhangspalte hervor, dann schwingt er die Sense zu seinem Tanz um einen abgerissenen Arm, dessen Hand sich noch um ein Gewehr krampft. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Wie in einem schlechten Endlos-Witz betritt er auch später immer wieder auf die Bühne, wortlos die Ernte des deutschen Elends einbringend.

Dieses im allfälligen Kriegswahn gipfelnde Elend, das sich – Heiner Müller zufolge – fortzeugt von Germanen und Nibelungen über Preußen und die NS-Zeit bis ins Jetzt, betrifft die Deutschen insgesamt, also auch die DDR. Am Tresen der DDR-Kneipe anno ’53 (Stalins Tod) ist in der Bochumer Inszenierung eine notdürftig überklebte Ecke abgeblättert, darunter sieht man wieder das Hakenkreuz. Auf die DDR-Straßenszenen (1949) senkt sich symbolisch eine bedrohliche Kanone mit Sowjet-Stern. Solche Verweise sind legitim, sie bringen Irritationen in die Handlung, die ja auch schemenhafte Hoffnung auf einen „besseren“ als den real existierenden DDR-Sozialismus erkennen läßt.

Anders als Hans Peter Cloos, der letzte Woche in Wuppertal Heiner Müllers „Leben Gundlings“‚mit starkem Endzeit-Akzent auf die Bühne brachte, „ködert“ uns Steckel anfangs mit stellenweise bravourös überbordender Komik, er läßt einen da kaum zur Besinnung kommen. Die Straßen- und Clownsszenen sowie die brodelnde Groteske aus dem „Führerbunker“ (mit schwangerem Goebbels, masturbierendem Wolfsmenschen) enthalten freilich – erst unterschwellig, dann schreiend deutlich – auch schon jenen Stoff, aus dem der Tod gewirkt ist und der die Szenen nach der Pause in zunehmende Düsternis hüllt. Ein Ereignis ist dabei das getanzte „Nachtstück“, die Selbstzerfleischung eines Puppenmenschen (Frank Prey).

Im vielköpfigen Ensemble gab es keine besonderen Schwachpunkte. Den größten Sonderbeifall erhielt Armin Rohde für seinen Auftritt in der Clownsszene. Herausragend übrigens auch die Arbeit der Kostümbildnerin Andrea Schmitt-Futterer, die manche Figuren so treffend ausgestattet hat, daß sie lange im Gedächtnis bleiben werden.

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 23 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Theater abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.