Phil Glass mit viel Kaffee: Víkingur Ólafsson beendet seine Zeit als Porträtkünstler der Philharmonie Essen

Der Pianist Víkingur Ólafsson. (Foto: Sven Lorenz)

Mit einem Solo-Abend in der Mischanlage der Kokerei Zollverein und einem Auftritt mit den Essener Philharmonikern mit Wolfgang Amadeus Mozarts c-Moll-Klavierkonzert (KV 491) hat Víkingur Ólafsson seine Zeit als Porträtkünstler der Philharmonie Essen beendet.

Sechs Mal war der Isländer in der laufenden Spielzeit zu Gast: Mit dem Concertgebouw Orkest als Orchesters „in Residence“ spielte er das a-Moll-Konzert von Edvard Grieg, mit der Tschechischen Philharmonie erklang Robert Schumanns Konzert in der gleichen Tonart. Ólafsson begleitete den Liedsänger Matthias Goerne und widmete sich mit dem Philharmonic Orchestra aus dem norwegischen Bergen Maurice Ravels G-Dur-Konzert.

Die persönlichste Note jedoch trug sein Solo auf Zollverein. Eingepackt in einen Pullover in geometrischen Sechziger-Jahre-Mustern, entlockte er dem Flügel die magischen Klänge von Philip Glass und stellte zwischen dessen „Etüden“ den hierzulande noch unbekannten Briten Edmund Finnis vor. Der 1984 geborene Komponist schrieb für Ólafsson „Mirror Images“ für Klavier solo. 2022 in London uraufgeführt, sind diese Miniaturen harmonisch raffiniert verdichtete Klangjuwelen, die in wechselnder Beleuchtung ein Farbenspiel kreisen lassen, das tatsächlich an leicht verschwommene Bilder in einem Spiegel erinnern.

Der formsuchende Hörer zeitgenössischer Experimentalmusik kommt dabei weniger auf seine Kosten als der Genießer ästhetisch polierter Klangmagie. Dazu mag der Pianist auch selbst beitragen, denn er spielt delikat verschattet und taucht die Finnis-Stückchen in eine Sphäre eines beinah romantisch anmutenden Ungefährs. Das wie spontan entwickelt wirkende Spiel tut so, als wolle es die Raffinesse der Komposition verschleiern: In solchen Momenten selbstvergessenen Fließens, harmonisch wie absichtslos scheinenden Fortschreitens und virtuoser Gelöstheit könnte man Finnis für einen John Field des 21. Jahrhunderts halten: einen Träumer in Harmonien und Phrasierungen, der für sich selbst die Wege einer Musik erkundet, die sich leicht und luftig wie eine Wolke am Firmament bildet, scheinbar aus dem Augenblick geboren und im nächsten Moment in neuen, fantastischen Gestalten aufquellend.

Mit der Verschleierung steht auch Philip Glass auf gutem Fuß. Nicht umsonst tragen seine „Etudes“ diesen auf formale Strenge hinweisenden Titel. Hinter der Magie der Wiederholungen und unmerklichen Veränderungen, der simpel anmutenden harmonischen Transformation einfachen Materials verbirgt sich strenge, formal an Barockmusik erinnernde Architektur. Jeder Pianist, der sich diesen ausgeklügelten, meditativ gleichförmigen Stücken stellt, muss unglaublich konzentriert vorgehen und braucht Ausdauer, Formbewusstsein und einen langen Atem.

Víkingur Ólafsson zeigt mit der Eröffnung von „Glassworks“, wie sein Interpretationsansatz aussieht: Bei ihm mutiert der gleichförmige Rhythmus von einem milchigen Impressionismus zu immer schärfer wahrnehmbarer Kontur. Verdichtung und Steigerung werden deutlich markiert, die unmerklichen Verschiebungen in Dynamik und Anschlagsfarbe akzentuiert. Glass wirkt auf einmal lebendig inspiriert statt esoterisch versunken – wie ein Edelstein, den ein Lichtstrahl trifft und der in seinen Facetten zu funkeln beginnt.

Die Offenheit der Musik, die ihre scheinbare Simplizität nahelegt, gibt Raum für Reflexion, sagt Ólafsson in seinen Erläuterungen. Er arbeite gern mit lebenden Komponisten: „Das hilft mir bei der Arbeit mit den Toten“, denn mit denen lässt sich keine Debatte mehr führen, keine direkte Kritik mehr artikulieren und kein gemeinsames Experiment mehr durchführen. Das Spektrum der knapp 80 Minuten in der – jetzt Ende April – beinahe noch winterlich kühlen Mischanlage mit ihren akustisch günstig wirkenden, apart farbig ausgeleuchteten Betontrichtern reichte von der quirligen F-Dur-Etüde Nr. 13 („Phil Glass mit zu viel Kaffee“) bis zur depressiv pendelnden Nummer fünf in f-Moll, die in ihrer Kargheit unter Ólafssons Händen eine Expressivität ohnegleichen entwickelt.

Er habe diese Porträtreihe sehr genossen, bekennt der Pianist im Gespräch: das Essener Publikum, die spannenden Locations und nicht zuletzt die Gelegenheit, sich in verschiedenen Genres zu präsentieren, haben für ihn die Zeit in Essen „amazing“ gemacht.

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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