„Lyriksalven pflügen sich kometenhaft ins Gedächtnis“ oder: Höhenflüge beim Poetry Slam

Nur mal so als Beispiel fürs Genre: Sebastian Rabsahl, deutschsprachiger Meister im Poetry Slam 2008, bei einem Slam-Auftritt in Kiel, 2016. (Foto: Wikimedia Commons, © Ichwarsnur / Marvin Radke) – Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en

Es ist schon sehr lange her, doch erinnere ich mich gut, wie uns schon in den Einführungs-Veranstaltungen des Germanistikstudiums eingeschärft wurde, doch bitte Worte wie „Dichtung“ und „Dichter“ (vom Gendern war noch keine Rede) nicht weiter zu verwenden. So erhaben und feierlich sollte es nicht mehr zugehen, denn derlei Tremolo-Stimmung war oft genug missbräuchlich verwendet worden.

Daher die im Grunde nachvollziehbare Kehrtwende. Schlicht und einfach „Texte“ sollte es fortan heißen; ganz gleich, ob es nun um Lyrik von Hölderlin und Rilke oder einen Artikel der „Bild“ ging. Mit solch nüchterner Nivellierung ging vielleicht auch eine – einstweilen noch unbeabsichtigte – unterschwellige Einebnung, wenn nicht gar Wertminderung schriftstellerischer Schöpfungen einher. Wenn eh alles eins ist, kann ja auch alles Literatur sein. Und überhaupt: „Jeder Mensch ist ein Künstler“, so lautete ja jene oftmals falsch verstandene Beuys-Parole, die seither im Schwange war.

Es war wohl e i n e der Voraussetzungen für den Aufstieg dessen, was wir seit einiger Zeit als popkulturelle Haupt-Erscheinungsform von Literatur kennen: Poetry Slam. Wörtlich könnte man’s ungefähr mit „Dichtungs-Kracher“ übersetzen. Aber das scheint in Zeiten, in denen sich nahezu alle als perfekt Englisch-Sprechende gerieren (haha!), wohl herzlich überflüssig zu sein.

Poetry Slam also. Gern in Form einer Stand-Up-Comedy-Darbietung (ähnlich wie beim Impro-Theater), in jedem Falle bühnentauglich. Das Publikum muss trampeln und johlen, sonst war es eigentlich nix. Na gut, manchmal darf es auch ein wenig ergriffen sein. Selbst Bewerbungen um Stadtschreib-Posten sollten tunlichst Hinweise auf „Skills“ in Poetry Slam und allfällige Diversität enthalten, sonst sinken die Chancen erheblich.

Die Urheberinnen und Urheber sitzen nicht mehr (oder allenfalls nebenbei) im stillen Poesie- oder Prosa-Kämmerlein und schreiben empfindsam vor sich hin, sondern betreten am liebsten gleich die Bretter und hauen ihre Zeilen beherzt ‚raus. Keine Frage, dass es dabei auch etliche Könnerschaft zu bewundern gilt. Doch es sind inzwischen dermaßen viele Slammer(innen) unterwegs, dass auch viele Dilettierende unter ihnen sind, ja sein müssen. Wie auf jedem anderen Gebiet menschlichen Schaffens auch. Was willst du denn mal werden: Influencender oder Slammerin?

Hehre Kunst der Überleitung: Just heute erreicht uns eine über die Maßen wortmächtige Pressemitteilung aus der Ruhrgebiets-Gemeinde Herne, Absender ist die Organisation WortLautRuhr. Sozusagen mit Pauken und Trompeten wird die Tatsache verkündet, dass mit 16 Veranstaltungen auf acht Bühnen vom 27. bis 30. Oktober 2023 in Bochum die „deutschsprachigen Meisterschaften im Poetry Slam“ stattfinden, und zwar mit dem Einzelfinale in der „prestigereichsten Location des Ruhrgebiets“. Nun ratet! Welche Location könnte das denn sein? Die Weltkulturerbe-Zeche Zollverein in Essen? Das Dortmunder Westfalenstadion? Das Schauspielhaus Bochum?

Weit gefehlt. Nach dieser Lesart ist es das Bochumer Starlight Express-Theater. Das Kriterium muss also viel mit Show und manches mit Remmidemmi zu tun haben. Egal. Die Leute, die bei der Meisterschaft antreten, kämen jedenfalls „aus allen 7 deutschsprachigen Ländern“ – wobei schon zu fragen wäre, ob etwa Bayern, Sachsen und Thüringen jeweils einzeln mitgezählt werden. Nun ja, ebenfalls egal.

Bei der Beschreibung dessen, was Poetry Slam sei, greifen die Macherinnen und Macher des gastgebenden WortLautRuhr jedenfalls mächtig in die Harfe. Drum wollen wir es abschließend in Form lyrischer Hervorbringungen hierher setzen. Poetry Slam erzeuge immer wieder „Internet-Hypes“ (gähn!), es dränge jede Menge „hungriger Nachwuchs“ (puh!) auf die Bühnen. Und dann, alles wörtlich zitiert:

Poetry Slam ist Party,
Poetry Slam ist Emotion.
Hier haut einen die geballte Wortgewalt
und Performance-Ekstase von den Sitzen,
Lyriksalven pflügen sich
kometenhaft ins Gedächtnis,
Lachmuskelkater garantiert.

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Infos:

www.wortlautruhr.de
www.slam23.de

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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