Monatsarchive: März 2004

Ein Glimmen in den Ascheresten der Gefühle – Eric-Emmanuel Schmitts Zweipersonenstück „Enigma“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Der Dichter-Titan Abel Znorko lebt seit vielen Jahren als Eremit auf einer Insel in Polarnähe. Nähert sich jemand seiner Behausung, greift er zum Gewehr und feuert. Kein schöner Zug des Nobelpreisträgers.

Reales Vorbild könnte J. D. Salinger („Der Fänger im Roggen“) sein, dem man nachsagt, es mit ungebetenen Gästen ähnlich rabiat zu halten.

Dabei hat Znorko dem vermeintlichen Journalisten Erik Larsen doch schriftlich ein Interview genehmigt. Und nun empfängt er ihn mit solchen Salven. Dann aber lässt er ihn herankommen; freilich nur, um ihn eisgrau abweisend zu behandeln. Eric-EmmanuelSchmitts Erfolgsstück „Enigma“ ergeht sich fortan in dialogischen Sinn-Wendungen, die das Gesagte und für wahr Gehaltene immer wieder umstoßen.

Wenn alle Fassaden abgetragen sind, bleiben zwei verflucht einsame … Weiterlesen

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Der Mensch in hundsgemeinen Perspektiven – Bilder von Johannes Grützke in Olpe

Von Bernd Berke

Olpe. Fast alle Menschen auf Johannes Grützkes Bildern wirken, als habe sie einer im falschen, im denkbar peinlichsten Moment ertappt. Sie schneiden allerlei krampfhafte Grimassen; krähend lachen sie, als wären sie völlig entgeistert – und vom Ebenmaß oder Schönheit dürften sie nicht einmal träumen.

Der Berliner Grützke, vieldeutig funkelnder Ironiker und Sarkast unter Deutschlands (kritischen) Realisten, firmiert eigentlich als ausgesprochener Großstadt-Maler. Doch jetzt hat es eine Reihe seiner Bilder ins sauerländische Olpe verschlagen, noch dazu in den Saal des Kreishauses. Ob sich die Leute, die dort in den nächsten Wochen tagen, unter den stechenden Blicken der Grützke-Gestalten immer behaglich fühlen werden?

Klaus Droste vom Olper Kunstverein Südsauerland hat die Schau in Zusammenarbeit mit der Essener Galerie „KK“ … Weiterlesen

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Die Kannibalen wollen doch nur spielen – Paolo Magelli inszeniert Nestroys „Häuptling Abendwind“ als Insel-Karneval

Von Bernd Berke

Mülheim. Dschungel-Drama ganz anders: Österreichs Theater-Urviech Johann Nepomuk Nestroy (1801-1862) verlegte seine Burleske „Häuptling Abendwind“ in exotische Gefilde, damit er europäische Gebräuche umso trefflicher zerrspiegeln konnte. Ja, jegliche nationale Staatlichkeit gerät hier ins Fadenkreuz des Witzes. Fast schon ein anarchistischer Ansatz.

Paolo Magelli (Regie) und Gralf-Edzard Habben (Bühnenbild) haben die grelle Rarität fürs Mülheimer Theater an der Ruhr in Szene gesetzt. Ein abgezirkeltes Halbrund markiert den Bühnenausschnitt, der wie eine gläserne Schneekugel wirkt. Darin leuchten Südsee-Farben: Alles so schön bunt hier! Es herrscht allerliebste, spielzeughafte Künstlichkeit. Am Schluss werden Bühnenarbeiter kommen und dies alles auf offener Szene abbauen: Es war nur ein Spiel, nun ist es aus.

Wenn zwei Herren jeweils des anderen Gattin verspeist haben

Die … Weiterlesen

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Wie eine Bußpredigt zur Umkehr – „Der Untenstehende auf Zehenspitzen“ von Botho Strauß

Von Bernd Berke

Botho Strauß gilt als erklärter Widersacher der Gegenwart. Hier und jetzt verbucht er lauter Verluste. In seinem neuen Buch führt er abermals Klage: Es schwinde jede wahre Sinnlichkeit, es verflüchtige sich jeder feste Glaube.

Es wachse hingegen die Abstumpfung, und süchtige Sex-Mechanik habe den „heiligen Sexus“ verdrängt. Allmählich vergehe sich auch die Fähigkeit, das Vermisste auszudrücken, weil die dafür nötige Sprache kaum noch gebräuchlich sei.

Angesichts solch düsterer Befunde war es umso erstaunlicher, jüngst von einer raren Begegnung mit dem äußerst zurückgezogen in der Uckermark lebenden Autor zu lesen. Strauß, so die FAZ-Sonntagszeitung, habe sich in seiner Einsiedelei ein privates DVD-Kino mit allem HighTech-Komfort eingerichtet. Hin und wieder bitte er die Dorfbewohner zu Filmabenden (nicht nur stilles … Weiterlesen

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„Den Menschen nicht absacken lassen“ – Dortmunder Autor Josef Reding wird 75 Jahre alt

Von Bernd Berke

Dortmund. Er gilt als durchaus gesprächig, auch in eigener Sache. Doch literarisch äußert er sich sehr knapp und unprätentiös. Ohne Umschweife und fast schmucklos steuern Josef Redings Kurzgeschichten und Gedichte auf die Realität zu. Er möchte rasch wirken, da halten gedrechselte Feinheiten nur auf.

Reding, 1929 in Castrop-Rauxel als Sohn eines Filmvorführers geboren und seit 1965 in Dortmund lebend, wird heute 75 Jahre alt. Weit über 30 Bücher gibt es von ihm, übersetzt in 16 Sprachen und vielfach preisgekrönt. Den kurzen Formen blieb er durchweg treu.

Ein Gedicht über Dortmund beginnt so: „Meine Stadt ist oft schmutzig; / aber mein kleiner Bruder / ist es auch / und ich mag ihn. / Meine Stadt ist oft laut; … Weiterlesen

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Peter Paul Rubens auf Schritt und Tritt entdecken – ein Streifzug durch Antwerpen

Von Bernd Berke

Antwerpen. Was wahr ist, muss wahr bleiben: Mag auch Europas französische Kulturhauptstadt Lille heuer die größte Rubens-Ausstellung zeigen, so klingen doch die Grundtöne seiner Lebensmusik besonders in der belgischen Hafenmetropole Antwerpen nach. Einladung in eine wunderschöne Stadt – zu Rundgängen auf den Spuren des Peter Paul Rubens:

In Antwerpen, der Stadt seiner Vorfahren, hat der 1577 in Siegen geborene Barock-Meister (nach Kölner Kindheit und unterbrochen durch italienische Lehr- und Wanderjahre) gewohnt und gewirkt; sporadisch ab 1589, dauerhaft von 1608 bis zu seinem Tod 1640.

Es „rundet“ sich weder das Geburts- noch das Sterbedatum, dennoch kann man füglich von einem „Rubens-Jahr“ sprechen. Als hätten sich die Städte verabredet, rücken auf einmal überall seine Werke in den Mittelpunkt. Antwerpen … Weiterlesen

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Die Musik der Farben – Bildertausch auf Zeit: Köln zeigt Werke der Gruppe „Blauer Reiter“ aus München

Von Bernd Berke

Köln. Der Presseandrang war gestern nicht ganz so groß, als hätten Bayern München und der 1.FC Köln ihre Kicker ausgetauscht. Doch ein hochkarätiger Bilderwechsel zwischen den beiden Metropolen beschäftigt die Szene schon seit Wochen. Geradezu atemlos wurde jeweils vermeidet, welche Kunstschätze wann, wie, wo und warum auf die Reise gingen.

Nun ist es so weit: Fast 1000 Werke von Pablo Picasso hängen (aus Beständen des Kölner Ludwig Museums kommend) im Münchner Lenbachhaus. Und 65 sonst in München verwahrte Gemälde der legendären Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ sind am Rhein zu sehen. Die Debatte wird nicht so bald verstummen: Offenbart der bloße Tausch schiere Ratlosigkeit, oder ist er kulturpolitisch beispielhaft?

Luftiger präsentiert als am angestammten Ort

Vergleicht man lediglich … Weiterlesen

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Luftige Bilder zum Durchatmen – Werke von Max Liebermann in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Pomp und Pathos der Gründerzeit waren ihm wesensfremd. Max Liebermann (1847-1935) stammte aus großbürgerlichem Hause. Von früh auf an gediegenen Reichtum gewohnt, hatte er das Imponiergehabe von nationalistischen Emporkömmlingen eben nicht nötig. Doch den Künstler bewegte das Leben jener Menschen, die mit harter Arbeit ihr kärgliches Dasein fristeten.

Im stilistischen Gefolge der niederländischen Genremalerei (die sich freilich oft in derben Zechgelagen und erotischem Handgemenge genügte), malte Liebermann Bauern, Knechte, Mägde, Korbflechter, Gänserupferinnen, Näherinnen oder Waisenkinder – und zwar keineswegs „von oben herab“.

Keine Sozialkritik, aber auch keine falsche Idylle

Diese zumeist erdfarben dunklen Bilder lassen den einfachen Leuten ihre Würde. Von barscher Sozialkritik sind sie eben so weit entfernt wie von verlogener Idylle. Statt dessen: Realistisch … Weiterlesen

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Exzess und Geborgenheit – Berlinale-Sieger „Gegen die Wand“ von Fatih Akin

Von Bernd Berke

Wahrlich, das gibt es im deutschen Kino höchst selten: Dass ein Film die raue Wirklichkeit nahezu ungefiltert auf die Leinwand bannt, ja uns geradezu damit anspringt – und noch dazu eine überlebensgroße Liebesgeschichte erzählt. Auch wenn Fatih Akins „Gegen die Wand“ kein zwingender Berlinale-Sieger sein sollte, so ist er doch der Ehren würdig.

Der 40-jährige Cahit (auf barsche Weise einprägsam wie derzeit kaum ein Darsteller in unseren Breiten: Birol Ünel) ist „ganz unten“ in den Gossen des Alkoholismus angelangt. Im Vollrausch pflanzt der Deutsch-Türke seinen rostigen Ford frontal gegen eine Hamburger Betonwand. Offenkundig ein Selbstmordversuch.

„Ich will leben, tanzen, ficken“

In der Klinik setzt ihm das schöne Mädchen Sibel zu (ebenbürtiger Widerpart: Sibel Kekilli, über deren vorherige … Weiterlesen

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