„Tatort“ Dortmund: So heimelig kann Fernsehen sein!

Das trifft sich gut: Da ist man gerade heute früh aus dem Urlaub zurückgekehrt und hat deshalb sowieso schon diesen Distanzblick auf die eigene Stadt. Und dann läuft just am selben Abend der allererste ARD-“Tatort“, der in Dortmund spielt.

Auch da wirken die wie mit dem Salzstreuer auf den Film verteilten Schauplätze (man muss schließlich den Ort sofort nachhaltig beglaubigen) so fremd vertraut. Wenn man sich hier auskennt, muss man freilich befürchten, dass die fernsehtauglich sehenswerten Stätten alsbald aufgebraucht sein werden, sollte es in dieser nahezu panischen Frequenz weitergehen. Stadtsilhouette aus der Ferne, Standard-Panorama mit Bibliothek und „Dortmunder U“, Katharinentreppe, Polizeipräsidium, Industriemuseum Zeche Zollern, Westfalenstadion (aka Signal-Iduna-Park), allerlei Ansichten zwischen Halde und pompöser Großbürgervilla – all das wurde gleich geflissentlich in die erste Folge (Untertitel „Alter Ego“) gepfercht.

Bei einer mehrmals gezeigten Einstellung schweift der Kamerablick gar bis in die Straße, in der ich lebe. Oh, wie heimelig kann Fernsehen sein! Und das, obwohl (ungelogen!) in Köln etliche WDR-Redakteure nicht einmal wissen, dass es in Dortmund ein Landesstudio des Senders gibt…

Na, egal.

Von „Taubenvatta“ bis zum Bionik-Unternehmer reicht die Skala der Sozialtypen. Dortmund hat offenkundig nicht nur lastende Vergangenheit, sondern auch (technologische) Zukunft. Der erste Mord wird denn auch nicht etwa mit einem Hammer ausgeführt, sondern mit einem niedersausenden Computerbildschirm. Und der Sohn des einstigen Stahlmagnaten lässt Roboter entwickeln. Sein eiförmiges Büro stammt übrigens vom Designer Luigi Colani und befindet sich gar nicht in Dortmund, sondern in der kleinen Nachbarstadt Lünen. Aber wir wissen ja, dass Städte im Film ohnehin nur ein Konstrukt sind.

Das Betriebsklima im Ermittlerteam wird unversehens zum Hauptereignis, die Morde in der Schwulenszene laufen gleichsam nebenher und dürfen – mitsamt einer homophoben Sekte – geradezu als Ausweis für Urbanität neueren Zuschnitts gelten. Der wie aus dem Nichts von Lübeck her kommende Kommissar Faber (Jörg Hartmann) ist einer, der Interesse und Argwohn auf sich zieht. Harsch, verschattet, ziemlich depressiv, manchmal nahezu autistisch, Hauptspeise Ravioli aus der Dose, nirgendwo heimisch – außer vielleicht künftig wieder ein kleines bisschen in Dortmund, wo er seine Kindheit verlebt hat? Einer, der sich intensiv in die Gefühlslage der Täter versetzt, gerade wenn sie von der Norm abweichen. Seine eigene Seelenstimmung scheint rasch zu wechseln zwischen „Was mache ich hier eigentlich?“ und jäher Identifikation. Man möchte wirklich wissen, wie das weitergeht mit ihm und seiner Abteilung (Anna Schudt, Stefan Konarske, Aylin Tezel). Insofern hat der Auftakt einen wesentlichen Zweck erfüllt.

Jargon und Mundart des Reviers zitieren sie hier, als sei das alles nur eine Reminiszenz. Mal taucht kurz ein knorriger Schulhausmeister (übrigens gespielt von Rolf Dennemann, gelegentlich auch Mitarbeiter der Revierpassagen) auf, mal besagter Taubenzüchter, der Angst hat, dass hergelaufene Yuppies seine Tiere vergiften, oder ein BVB-Fantrüppchen grölt unflätiges Zeug. Doch das sind bloße Episoden. Meist reden sie hier recht elaboriert daher. Der Kommissar zitiert Tennessee Williams ganz beiläufig aus dem Gedächtnis. Überhaupt wird vorwiegend druckreifes Hochdeutsch mit ganz leichter Einfärbung gesprochen. Mehr darf man den Bayern oder Schwaben wohl nicht zumuten. Und es gilt ja auch, jeglichem Klischee zu entrinnen.

Über einige Details darf man aus lokaler Sicht milde lächeln. Wenn etwa ein Verdächtiger seine nächtliche Anwesenheit im Kulturzentrum „Dortmunder U“ damit begründet, dass dort tagsüber Besucher seien, so schwingt insgeheim die örtliche Debatte um den notorischen Besucherschwund mit. Sieht man das weitläufige Treppenhaus, so staunt man, dass tatsächlich mal alle Rolltreppen wie geölt funktionieren. Doch was kümmert’s den kleinen Rest der Republik?

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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15 Antworten zu „Tatort“ Dortmund: So heimelig kann Fernsehen sein!

  1. Bernd Berke sagt:

    Nachher kommt noch einer an und sagt, er sei der Bruder von Chaplin.

  2. Bernd Berke sagt:

    @Rudi: Na, und ob der nett war!

  3. Michaela sagt:

    Also, jetzt könnte ich nur noch mit der alten Story rausrücken, dass ich mal mit dem Messemer und der Schwiers … Aber das hieße ja, olle Kamellen – ja, was? Ausgraben? Aufwärmen? Wieder aufgießen? Rundlutschen? Was auch immer: Das wollen wir keinesfalls!

  4. Rudi Bernhardt sagt:

    Pöh, das kann ich nicht mehr toppen, :-(. Aber wir bleiben einer Meinung, dass er ein richtig netter Kerl war, oder ?

  5. Bernd Berke sagt:

    @Rudi – Nächster Trumpf: Ich bin imstande und stelle hier oder bei facebook ein Foto ‚rein, auf dem ich mit Felmy zu sehen bin. 😉

  6. Rudi Bernhardt sagt:

    @Bernd, das soll sich auch auf Außenaufnahmen bezogen haben, was mich denn doch stört. @Michaela und Bernd, ich toppe: Ich konnte als 17-jähriger Bengel Felmy sogar mal die Hand geben weil ich damals mit seinem Stiefsohn Manuel Werner befreundet war – ätsch, grins.

  7. Michaela sagt:

    Aber wie! Hansjörg Felmy! Den fand ich immer toll.

  8. Bernd Berke sagt:

    Und wenn ich Dir jetzt erzähle, dass ich Hansjörg Felmy alias Kommissar Haferkamp bei seinem allerersten „Tatort“-Dreh in Essen beobachten durfte? Wirst Du dann wenigstens ein kleines bisschen neidisch?

  9. Michaela sagt:

    Na, ich meine auch nicht unbedingt Schimi … obwohl ich jetzt natürlich erzählen könnte, wie damals, als ich noch mit der WG im Wasserviertel wohnte, bei uns um die Ecke ein Schimi-Tatort gedreht wurde, und wir mussten natürlich alle kucken geh’n, und Schimi hat doch tatsächlich meinem (Ex-)Schwager zugezwinkert und „Na, Auge!“ gesagt! Ist das nicht eine tolle Geschichte? Aber die gehört eigentlich in einen anderen Kommentar-Strang.
    Duisburg ist übrigens in meinen Augen bis auf wenige Stadtteil-Teile eine ziemlich hässliche Stadt.

  10. Bernd Berke sagt:

    Übrigens ist die Darstellerin der deutsch-türkischen Kommissarin leider in ihren schauspielerischen Mitteln sehr limitiert.

  11. Bernd Berke sagt:

    Wo die Innenaufnahmen entstehen, ist mir eigentlich wurscht. Außerdem soll es angeblich helfen, Produktionskosten und somit Gebühren zu sparen. Und wenn die Fernsehleute schon mal sparwillig sind, soll man sie nicht hindern.

  12. Bernd Berke sagt:

    @Michaela: Schimi kann heute kein Maßstab mehr sein.

  13. Rudi Bernhardt sagt:

    Warum, wie ich las, viele Locations praktischerweise in Köln gedreht wurden, entzieht sich allerdings meinem Verständnis.

  14. Hans Hermann Pöpsel sagt:

    Leider war schon ziemlich früh erkennbar, wer der Täter war.

  15. Michaela sagt:

    Na, Dortmund is‘ ebent nich‘ Duisburg!

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