„Bochum“ in Bochum – ein wehmütiges Singspiel mit Liedern von Herbert Grönemeyer

BochumTief im Wehesten, wo die Sonne verstaubt„…gibt es Theateraufführungen, die sind noch viel besser, als man glaubt. Die Rede ist von „Bochum“ in Bochum, genauer gesagt im Schauspielhaus Bochum.

Das Bochumer Ensemble belebt seit einiger Zeit mit großen Erfolg das Genre Singspiel neu. Die Qualität der „Tribute to Johnny Cash„-Inszenierungen hat sich mittlerweile revierweit herumgesprochen, die Inszenierung „Heimat ist auch keine Lösung“ riss das Publikum im letzten Jahr zu Begeisterungsstürmen hin und rührte nicht nur mich zu Tränen.

Seit der Spielzeit 2013/2014 zeigt das Haus nun „Bochum“, ein Singspiel von Lutz Hübner mit Liedern von Herbert Grönemeyer. „Bochum“ ist weit mehr als eine Würdigung des berühmten Sohnes der Stadt, „Bochum“ ist auch eine Reminiszenz an die Vergangenheit der Stadt, ein wehmütiger Rückblick, ein Abschied. Abschied von „diesem Handy-Hersteller, dessen Namen nicht genannt werden darf„, von „diesem Auto-Hersteller, dessen Name bald nicht mehr genannt werden darf„, wohl auch der Abschied vom „Pulsschlag aus Stahl“. Was der Stadt nebem dem Namen der Currywurst, „der nicht genannt werden braucht, weil ihn ohnehin jeder kennt“ bleibt, ist ungewiss. „Bochum“ zeigt nur den Abschied, keine Lösung, keinen Ausblick, nur die Wehmut, keinen Protest. Den findet man dann wohl eher im ambitionierten Detroit-Projekt.

Im Theaterstück selbst ist es der Abschied von einer Eckkneipe. Die Band spielt ein letztes Lied. Lotte, die gute Seele der Kneipe, räumt die letzten Gläser zusammen, das Bierfass ist leer. Im Morgengrauen werden die Abrissbagger anrücken. Roger, Ralf, Peter und Sandra sind Stammgäste, seit sie vor fast 30 Jahren nach ihrer Abiturfeier mehr oder weniger zufällig in dieser Kneipe versackten. Unglücklich versuchen sie, den Moment des Abschieds noch hinaus zu zögern. Lotte spendiert ihnen schließlich die letzten Schnäpskes, für jedes Jahr einen.

Und so trinken sie „auf die alten Zeiten. (Denn worauf sonst sollte man in Bochum trinken können?)“. Der Alkohol entfaltet den „Fallschirm in der Not„, die Vier und Lotte beschwören Erinnerungen herauf, alte Träume, aber auch alte Gespenster. Worte alleine reichen nicht, ihre Gefühlslage zu beschreiben und so wird „das alte Liedgut“ rausgekramt und inbrünstig gesungen. Vom Mensch(en), vom Vollmond, von der Zeit, als sich was drehte, von Männern, von Flugzeugen im Bauch und natürlich von Bochum.

Die musikalische Leitung liegt wie oft in Bochum bei Torsten Kindermann, somit quasi beim legitimen Nachfolger Grönemeyers. Im Zusammenspiel mit der an jedem denkbaren Instrument versierten Band wirken die Lieder überraschend und eigenwillig arrangiert. Aber wenn man sich auf die ungewohnten Arrangements einlässt, sind sie großartig. Das Stück „Bochum“ als Ballade funktioniert wunderbar – wer hätte das gedacht? Ausgefallene Percussion, gelegentlicher A-cappella-Gesang – man entdeckt die altvertrauten Stücke neu, plötzlich findet man sogar an Liedern, die man nie mochte, großen Gefallen.

Regisseurin Barbara Hauck inszeniert behutsam, an keiner Stelle überfrachtet oder kitschig, den Schauspielern viel Raum lassend. Lächelnd entdeckt man kleine Würdigungen des dramaturgischen Aufbaus eines Grönemeyer-Konzerts – das Steiger-Lied vor „Bochum“, als letztes Lied „Halt mich“. Und wie so oft in Bochum möchte man die großartigen Schauspieler gar nicht mehr von der Bühne lassen. An und für sich möchte man gar keinen hervorheben aus dieser Riege, aber ich bin jedes Mal wieder begeistert von der Bühnenpräsenz des Michael Schütz und meine persönliche „Entdeckung“ des Abends war Günter Alt. Selten hat eine Bühnenfigur so viel Sympathie ausgelöst.

Verdiente standing ovations gab es nach der Aufführung, die Künstler revanchierten sich gerne. Unter anderem „Bochum“ gab es nochmal, diesmal als gewohnte rockige Version, die Zuschauer mitklatschend und singend. Es mag Einbildung gewesen sein, aber nach den jüngsten verbalen Entgleisungen des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt, hörte sich das gemeinsam gegröhlte „Wer wohnt schon in Düsseldorf“ noch einen Tick inniger und trotziger an als sonst.

Drei Zugaben und ungezählte Vorhänge später findet man sich wieder, draußen vor der Tür und kann Lotte nur zustimmen: „Realität ist nur die kleine häßliche Schwester der Kunst„. Aber wenigstens wissen wir jetzt, was Glückauf auf englisch heisst: Luck up. Gesprochen, Lack ab. Das mag im Moment (noch) für Teile des Reviers gelten, für das Schauspielhaus Bochum auf gar keinen Fall.

„Bochum“ wird auch in der Spielzeit 2014/2015 noch auf dem Spielplan stehen. Termine und Informationen auf der Homepage des Schauspielhauses Bochum.

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