Stocksteife „Mahagonny“-Oper: Holzfäller erscheinen im Frack

Von Bernd Berke

Duisburg. Wer „seinen“ Brecht in- und auswendig zu kennen glaubte, bekam ihn jetzt wieder einmal überraschend anders gewendet.

Was vorgestern in der Duisburger Mercatorhalle und gestern im Festspielhaus Recklinghausen als „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ firmierte, war, was die Stimmlage der Gesangsdarbietungen angeht, eine eher konventionelle Oper. Als „Oper“, die freilich die Gattungsgrenzen gesellschaftskritisch hätte sprengen sollen, hatten Bert Brecht und Kurt Weill „Mahagonny“ in der Tat gedacht.

Beteiligt waren das Kölner Rundfunkorchester (Leitung: Jan Latham-König), das Vokalensembles der Staatlichen Musikhochschule Köln, ein Sprecher und acht Gesangssolisten, darunter die besonders als Wagner-Interpretin bekannt gewordene Anja Silja als Hure „Jenny“. Harald Banter produzierte im Rahmen des Rheinischen Musikfests ’85 für den WDR, Regle führte Adolf Dresen. Übermenschliche Regieanstrengungen waren freilich kaum vonnöten, handelte es sich doch um eine konzertante Aufführung ohne Bühnenbild und gespielte Handlung.

Musikalisch war das zweifellos aller Ehren wert und selbst für orthodoxe Brecht-Enthusiasten zumindest interessant, weil so ganz anders als in der Song-Tradition umgesetzt. Die Geschichte mit den Holzfällern aus Alaska, die in der Stadt Mahagonny ein himmlisch-höllisches Genußparadies vorfinden (einzige Todsünde ist es dort, kein Geld zu haben, sonst ist „alles erlaubt“), von zwangsläufig stocksteifen Akteuren in Fräcken vortragen zu lassen, wirkt aber doch reichlich seltsam. Im Vordergrund standen ganz eindeutig die schönen Klänge, kaum einmal ein distanziertes „Vorzeigen“ des Textes im Sinne Brechts.

Ohne szenische Elemente wirkte die Aufführung über lange Strecken blutarm und „ausgedünnt“. Hier eine hilflos unterstreichende Geste der Solisten, dort ein paar aufgesetzte Gags (heftige Betätigung einer Windmaschine, horrender Pistolenknall) sowie Diaprojektionen können das fehlende Drumherum lediglich vage herbeizitieren.

Am Sonntag, 9. Juni, strahlt der WDR die Produktion von 20.15 bis 23 Uhr in seinem 3. Hörfunkprogramm aus.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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