An der Grenze zur Klamotte – Friedrich Wolfs „Koritke“

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Kunst ist Waffe!“ Mit Stücken, die dieser Parole zu Bühnenwirksamkeit verhelfen sollten, war Friedrich Wolf (1888-1953; das Programmheft verrät so gut wie nichts über ihn) einer der meistdiskutierten Arbeiter-Schriftsteller der Weimarer Republik.

Wolf, im Brotberuf Arzt, ab 1928 Mitglied der KPD, schrieb nach expressionistischen „Oh-Mensch“-Anfängen Agitprop-Stücke immer reineren Wassers. In Wuppertal, wo man jetzt Wolfs „(Die Zeche zahlt) Koritke“ (Regie: Dieter Reible) ausgrub, kam freilich ein grundbiederes Stück auf die Bühne. Arbeitertheater hart an der Grenze zur Klamotte.

Allerdings hat bereits der Text deutliche Schwächen, so zum Beispiel die aus heutiger Sicht überaus dick aufgetragehe Symbolik des Oben und Unten, die überdies um Begriffe wie „Blut“ und „Licht“ kreist. Sprachlich steht dazu ein abgehackter Telegrammstil in seltsamem Kontrast.

Inhaltlich dreht sich alles um Mia, die mit Vater Koritke und Stiefmutter in einem Kellerloch haust. Doch dann wird sie allenthalben „entdeckt“: Fabrikdirektor Lomm (wie sich später herausstellt: Mias eigentlicher Vater) will aus ihr eine propere Chefsekretärin machen; der Student Miltiz jubiliert über ihre tänzerische Begabung, mit der sie gewiß „hinauf ans Licht“ kommen werde; Koritke und die Industrielle Lis Benz schließen sich ihm an. Ein jeder will sie nach seinem Bilde formen.

Doch halt! Erst kommt, frei nach Brecht, das Fressen, dann die Kunst. Die Tanzausbildung kostet Geld, und das ist bei Direktor Lomm zu holen: Vom Platin-Diebstahl bis zum Mordversuch – fortan ist der Mann seiner Habe und seines Lebens nicht mehr sicher. Am Schluß bleibt jedoch Koritke auf der Strecke.

Wo immer Wolf Zähne (sprich: Klassenverhältnisse) zeigt, da hat man sie ihm in Wuppertal „gezogen“. Einzig Norbert Kentrup als muskulöser Proletarier, der sich als Rausschmeißer und Ringer verdingt, ließ etwas von den Triebkräften ahnen, die auch Friedrich Wolf bewegt haben mögen. Kentrup setzte Wolfs Forderung, das Theater solle auch „Muskelentladung, Akrobatik, Gymnastik“ sein, überzeugend um und gab auch verhaltenere Szenen intensiv. Während Andrea Witt als „Die Koritkin“ und Gerd Mayen als Direktor Lomm solide spielten, war Noemi Steuer mit ihrer zentralen Rolle nach meiner Ansicht überfordert.

Ob Rena Liebenow (hier als Industrielle Lis Benz) sich danach drängt, Boulevardstil zu spielen, ob die Regie es ihr abverlangte oder ob sie gar nicht anders kann – sie selbst mag es am besten wissen. Zu diesem Stück paßt es jedenfalls nicht – ihr stets verbindliches Lächeln, das vielleicht „Ist ja alles halb so schlimm“ besagen soll. Dazu Alexander Pelz als Student Miltiz. Nun ja. Ob er Jubel oder Trauer mimt, man weiß jedenfalls sofort genau, was gemeint ist. Weniger Nachdruck wäre mehr. Franz Träger als Filmregisseur trat so auf, wie Klein Mäxchen sich früher einen solchen vorgestellt hat.

Die Bühneneinrichtungen (Peter Werner) verrieten immensen Aufwand, sie huldigen wenigstens keinem platten Abbildungs-Naturalismus. Zwar getreulich nachgebautes Interieur zeigend, werden sie doch so hingestellt, daß keine falsche Illusion aufkommt. Rundum bleibt die Bühnentechnik sichtbar.

Der Beifall, mächtig angeheizt von strategisch verteilt sitzenden „Freunden des Hauses“, war beinahe frenetisch. Als das Regie-Team sich auf der Bühne zeigte, ertönten auch vereinzelte Buh-Rufe.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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