Daniil Trifonov: Grandioses Debut beim Klavier-Festival Ruhr

Daniil Trifonov bei seinem Debüt beim Klavier-Festival Ruhr in Düsseldorf, Foto: KFR/Frank Mohn

Daniil Trifonov bei seinem Debüt beim Klavier-Festival Ruhr in Düsseldorf, Foto: KFR/Frank Mohn

Hymnische Kritiken zu bekommen, ist heutzutage nicht schwer. Die Frage ist immer, von wem. Der 21-jährige Russe Daniil Trifonov hat sie nicht aus einer gut geschmierten PR-Maschinerie, sondern von Kritikern, deren Kompetenz und Unabhängigkeit erprobt sind.

Der junge Mann scheint sich zum Glück auch nicht als kompatibel für Kampagnen zu geben: Seine noch nicht inflationär verbreiteten Äußerungen in Interviews deuten auf ein maßvolles gezügeltes Selbstbewusstsein hin, das sich vor allem musikalisch verwurzelt: Auf der einen Seite zitiert ihn das Programmheft zu seinem Einstand beim Klavier-Festival Ruhr mit dem Satz, er verstehe das Wort Karriere im musikalischen Sinne; auf der anderen hatte er sein im letzten Jahr schon geplantes Debüt bei dem renommierten Ruhrgebiets-Tastenmarathon abgesagt, um nach dem Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv noch schnell auch den Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau zu gewinnen. Dem 16. Chopin-Wettbewerb war er einen dritten Preis wert. Aber Martha Argerich und Krystian Zimmerman wurden in Warschau auf den Newcomer aus Nischnij-Nowgorod aufmerksam. Und wenn Argerich einmal sagt, so etwas habe sie noch nie gehört, hat das Gewicht.

So haben sich die Portale der Klavierwelt für Trifonov weit geöffnet. Er hat schon in Sälen gespielt, die für Andere Gipfelpunkt einer langen Karriere sind: Carnegie Hall New York, Wigmore Hall London, Musikverein Wien, Suntory Hall Tokyo, Salle Pleyel Paris, Amsterdamer Concertgebouw und Berliner Philharmonie; dazu kommen jetzt im Sommer Festivals wie Verbier, Lockenhaus oder das – neben dem Ruhr-Festival – zweite wichtige europäische Pianistentreffen im südfranzösischen La Roque d’Anthéron. Und wer mit den Berliner und den New Yorker Philharmonikern spielt, mit dem Cleveland Orchestra und den Wiener Philharmonikern, von dem lässt sich getrost behaupten, er habe den Durchbruch nicht nur geschafft, sondern längst hinter sich.

Solche Leute holt das Klavier-Festival an Rhein und Ruhr! Ruhris und Rheinis sollten, so sie es denn wahrnehmen, stolz sein auf ihr noch existierendes Kulturleben. Zumindest die lesende Öffentlichkeit hatte für diese Wahrnehmung wenig Chancen: Das Trifonov-Debüt wurde publizistisch weitgehend ignoriert. Zu wenig lokale Relevanz für „Europas neue Metropole“? Das stimmt sogar: Trifonov bewegt sich auf internationalen Parketts. Der einzige Unterschied zu arrivierten Künstlern seines Kalibers ist das Fehlen von Hochglanz-Breitseiten, die ihm mit ihrem Dauer-Salut den Weg auch in „lokale“ Feuilletons freischießen.

Das Publikum in Düsseldorf jubelte. Trifonov erwies sich als „formidabler Virtuoso“, wie ihn die „New York Times“ bei seinem Debüt im August 2011 beschrieben hat. Das betrifft nicht nur Wucht und Kraft des Zugriffs, etwa in den bösen Glockenschlägen und dem ungezähmten Furor von Skrjabins fis-Moll-Sonate Nr. 3, einem Paradestück Trifonovs. Sondern auch den Bruitismus und die ungeschönte Raserei in den pianistisch unglaublich anspruchsvollen Transkriptionen Guido Agustis von Strawinskys „Feuervogel“-Sätzen. Und die technischen Raffinessen von Chopins Etuden op. 25, die Trifonov so spielend bewältigt, als habe er ein paar Übungsstückchen von Karl Czerny vor sich.

Daniil Trifonov bei seinem Debüt beim Klavier-Festival Ruhr in Düsseldorf, Foto: KFR/Frank Mohn

Daniil Trifonov bei seinem Debüt beim Klavier-Festival Ruhr in Düsseldorf, Foto: KFR/Frank Mohn

Aber all die grandiosen Kaskaden, die Pranke im Bass und die gleißende Kraft des Diskants, die durchgerauschten Passagen und Arpeggien, die Raserei der Hände und der Triumph ihrer Spannweite über die Grenzen der Physis – alles das macht den jungen Virtuosen noch nicht zu einem Dramatiker, einem Poeten oder einem Lyriker am Klavier, sondern erst einmal zu einem Techniker. Wenn da nicht noch etwas ganz Anderes wäre: Im Allegretto der Skrjabin-Sonate zum Beispiel ist es die Farbe der Bässe, ein trocken-drohendes Staccato, das die Leichtigkeit als trügerisch entlarvt. Es ist die Abtönung der Phrasenenden, die zeigt, mit wie viel Delikatesse Trifonov zu modellieren versteht. Es ist die souveräne Geschmeidigkeit, mit der er sich an das Maestoso im letzten Satz anschleicht: Wie ein Tiger spannt er die Sehnen an, um dann mit voller Kraft abzuspringen.

Mehr noch: In Tschaikowskys „Echo rustique“ aus den 18 Morceaux op.72 bricht sich eine fröhlich zupackende Lust am Spielen ihre Bahn, ein gewitzter Blick auf den „Effekt“. Und in der cis-Moll-Hommage an Chopin aus dem gleichen Zyklus überzeugt der klare Aufbau des Stücks, die klug gesetzten dynamischen Forte-Piano-Kontraste, und wieder die federnden, gestaltreich durchformten Bässe. Bei Strawinsky transzendiert Trifonov die knallig-wilde Energie der „Danse infernale“ in der „Berceuse“ in kühler Poesie, in zerbrechlich-gläsernen Klangflächen. Das ungerührte, kalte Feuer dieser Tanz-Explosionen erfasst Trifonov ebenso wie die orchestrale Fülle des Finales.

Bedürfte es nach so viel musikalischer Überzeugungskraft noch eines letzten Impulses, um Trifonovs überragende Begabung zu bestätigen: mit Claude Debussys „Images“ hätte er ihn gegeben. Die „reflets dans l’eau“ habe ich – weder auf Tonträger noch live – schon lange nicht mehr so kontrolliert, so klar und dennoch mit solch poetischer Durchdringung erlebt wie an diesem Abend im Düsseldorfer Robert-Schumann-Saal. Die große Kunst der Balance – hier der innere Drang des Stücks, mit lyrischen Farben aquarelliert zu werden, dort der Wille Debussys zu Klarheit und seine Distanz zu schweifend-glühender Innerlichkeit – beherrscht Trifonov schlicht überwältigend. Und die Versenkung am Schluss hat in ihrer zärtlichen Freude am lichten Ton nichts vom Hang zum romantischen Kolorit, das Debussy gerne in die Nähe unscharfer Farbenmalerei des Impressionismus rückt.

Dass ein 21jähriger noch nicht „fertig“ ist mit dem Erschließen musikalischer Weltenräume, ist eine Binsenweisheit, die eigentlich keiner Erwähnung bedürfte. Aber bevor Trifonov zum jungen Abgott aus einer neuen Pianistengeneration stilisiert wird, sei auch auf Momente hingewiesen, die sein Potenzial auf künftige Erfüllung hin offen halten: Es ist, pikanterweise, das Einfache, das ihm noch nicht so souverän von der Hand geht. Tschaikowskys Morceaux, „Salonstücke“ im besten Sinne, wünschen sich im Falle der Valse aus op.51 das „Sentimentale“, also die Verschattung des Tons, den Trifonov zu klar und zu diesseitig nimmt. Die Bässe sind in diesem Fall zu bestimmt gesetzt, Arpeggien fehlt das biegsame Gleiten mit dem Hauch des Ungefähren. Das Sentiment will, überspitzt gesagt, ein kleines Spiel mit der Schlamperei – und das fordert das überlegen-augenzwinkerte Loslassen eines Virtuosen, der weiß, was er kann, und der sich dennoch ein wenig „gehen“ lässt.

Auch im Andante der Skrjabin-Sonate steht die jugendliche Ernsthaftigkeit der Suche nach dem Doppelgesicht der perfekten Töne noch im Wege. Bei Chopin schafft es Trifonov, poetisches Raffinement expressiv zu gestalten; da sind es nurmehr Details, die davon zeugen, wie jung dieser Ausnahme-Pianist ist: die Bässe der f-Moll-Etüde wirken ratlos unter der silbrigen Oberfläche; in der e-Moll-Etüde kommt er zu schnell zum Ziel des Crescendo und für die melancholische Lähmung des Stücks in cis-Moll fehlt ihm noch ein Quentchen Geduld. Doch das sind nicht mehr als winzige Flecken in einem überwältigend leuchtenden Bild, das, wäre es makellos, seine innere Tiefe verlöre.

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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