Israel-Boykotteurin sollte Nelly-Sachs-Preis erhalten – Nimmt Dortmunder Jury die fragwürdige Entscheidung zurück?

Die pakistanisch-britische Autorin Kamila Shamsie sollte den mit 15.000 Euro dotierten Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund erhalten. Doch nun sieht es so aus, als werde die Entscheidung rückgängig gemacht.

Die alle zwei Jahre verliehene Literatur-Auszeichnung ist der (bislang noch) renommierteste Kulturpreis, den die Stadt zu vergeben hat. Und was ist daran jetzt verkehrt?

Problematische Preisträgerin? Kamila Shamsie. (Foto: Mark Pringle)

Problematische Preisträgerin: Kamila Shamsie. (Foto: Mark Pringle)

Diesmal liegt man mit der Kandidatenkür leider völlig „daneben“. Wie diversen Quellen zu entnehmen ist, zuvörderst den Ruhrbaronen, beteiligt sich die Autorin Kamila Shamsie offenbar ganz bewusst und entschieden am Kulturboykott gegen Israel – im Kontext der so genannten BDS-Kampagne, um die es bereits bei der RuhrTriennale heftigen Streit gegeben hat. Triennale-Intendantin Stefanie Carp musste sich einen unglücklichen, chaotischen und sehr widersprüchlichen Umgang mit dem Thema vorhalten lassen.

Die naturgemäß apologetische Jury-Begründung für die jetzige Dortmunder Entscheidung zum Nelly-Sachs-Preis findet sich hier. Die etwas verschwurbelte Diktion deutet darauf hin, dass man sich von rein literarischen Erwägungen hat (ver)leiten lassen – ganz ohne Rücksicht auf politische Aspekte, was in diesem Falle wenigstens naiv ist. Oder waren da gewisse Zusammenhänge gar nicht bekannt? Dann wäre es fahrlässig zu nennen. Inzwischen hat die Stadt recht unmissverständlich Stellung bezogen (siehe unten).

Der jetzige Vorfall (oder wohl treffender: Skandal) ist mindestens so gravierend wie die erwähnten Vorgänge bei der RuhrTriennale, wurde doch mit der allerersten Preisträgerin und zugleich Namensgeberin Nelly Sachs (1891-1970) im Jahr 1961 in Dortmund eine herausragende Dichterin geehrt, die mit ihrem Werk auch und vor allem für jüdische Traditionen und Belange einsteht, jedoch niemals platt parteilich, sondern in höchst einfühlsamem Geiste.

Nelly Sachs als junge Frau im Jahr 1910. (Wikimedia Commons / gemeinfrei / Fotograf(in) nicht namentlich bekannt) - Link: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nelly_Sachs_1910.jpg

Nelly Sachs als junge Frau im Jahr 1910. (Wikimedia Commons / gemeinfrei / Fotograf(in) nicht namentlich bekannt) – Link: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nelly_Sachs_1910.jpg

Die in Berlin geborene Nelly Sachs war eine deutsch-schwedische Schriftstellerin jüdischer Herkunft. Sie war eine Angehörige des gebildeten jüdischen Bürgertums, das einst in Deutschland tief verwurzelt war und damals das gesamte Kulturleben nachhaltig geprägt hat – bis die Nazis die Macht an sich rissen. Vom NS-Regime wurde Nelly Sachs drangsaliert, so dass sie 1940 nach Schweden flüchtete; gerade noch rechtzeitig, um dem Abtransport in ein Lager zu entgehen.

Den Dortmunder Nelly-Sachs-Preis erhielt sie 1961, 1966 bekam sie den Literaturnobelpreis „für ihre hervorragenden lyrischen und dramatischen Werke, die das Schicksal Israels mit ergreifender Stärke interpretieren“.

Wie verhält sich zu all dem der Israel-Boykott der jetzigen Preisträgerin? Steht er nicht dem Geist und dem Sinn des Werkes von Nelly Sachs völlig fern oder gar diametral entgegen? Muss man die Preisvergabe nicht einen eklatanten Fehlgriff nennen?

Noch mehr Fragen: Ob es Proteste bei einer etwaigen Preisverleihung am 8. Dezember geben würde, zu der die Autorin nach Dortmund anreisen wollte? Ob aus den Reihen früherer Preisträger vielleicht gar jemand die Auszeichnung zurückgeben wird? Wüste Spekulation, sicherlich. Aber auch nicht auszuschließen.

Jedenfalls muss man sich schon darauf gefasst machen, dass Dortmund in den politisch hellhörigen Feuilletons zumindest bundesweit, wenn nicht international ins Zwielicht gerät. Man kann auch in diesem Sinne nur inständig hoffen, dass die Preis-Entscheidung schnellstens revidiert wird.

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Stellungnahme der Stadt Dortmund:

Preisvergabe überdenken

Inzwischen liegt eine Stellungnahme der Stadt Dortmund vor. Im Wortlaut:

„…Zum Zeitpunkt der Entscheidung war keinem der Jurorinnen und Juroren bekannt, dass Kamila Shamsie in der Vergangenheit die Kampagne BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) unterstützt hat. In der Vorbereitung der Jury ergaben sich keinerlei Hinweise auf Aussagen, die mit BDS in Verbindung stehen. BDS hat das Ziel, Israel wirtschaftlich, politisch und kulturell zu isolieren.

Die Autorin hat am Mittwoch, 11. September, persönlich Stellung bezogen und ihre Unterstützung für BDS bekräftigt.

Die neunköpfige Jury des Nelly-Sachs-Preises wird vor dem Hintergrund dieser veränderten Ausgangs- und Informationslage in den nächsten Tage zusammentreten, um ihre Entscheidung im Rahmen eines satzungsgemäßen Verfahrens (zu) überdenken. Über das Ergebnis werden wir schnellstmöglich informieren.

Der Rat der Stadt Dortmund hat sich im Februar 2019 klar positioniert und eine „Grundsatzerklärung des Netzwerkes zur Bekämpfung von Antisemitismus in Dortmund“ beschlossen. Darin heißt es u. a., dass „…Organisationen, Vereine(n) und Personen, die etwa (…) zu antijüdischen oder antiisraelischen Boykotten aufrufen, diese unterstützen oder entsprechende Propaganda verbreiten (z. B. die Kampagne ‘Boycott – Divestment – Sanctions (BDS)‘ keine Räumlichkeiten oder Flächen zur Verfügung gestellt werden.“

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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