„Romeo und Julia“: Die Liebe zwischen Schlafwandlern – Wolf Redls Inszenierung zum Saisonstart in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Ein gigantisches Viereck lastet schwer über der Szene. Es ist dunkelrostrot besprenkelt. Längst eingetrocknetes Blut? Zeichenspur einer Gewalt, die sich seit altersher eingerichtet und unüberwindbar verewigt hat? Dann wäre die Tragödie von „Romeo und Julia“ nur eine unter vielen und man müßte nicht gar so viel Aufhebens darum machen. In diese Richtung scheint denn auch Wolf Redls vierstündige Bochumer Inszenierung des Shakespeare-Klassikers zu zielen.

An „Romeo und Julia“ haben sich in den letzten Jahren kaum noch große Bühnen gewagt. Das wird wohl seine guten Gründe haben. Tatsächlich gibt es hier ja zahlreiche Klischee-Klippen. Über die Abfolge von Selbstmordmonologen und -vollzügen muß man sich erst einmal mit Anstand hinwegretten.

Für Bochumer Verhältnisse und Erwartungshaltungen ist es eine sehr konventionelle Inszenierung geworden, die sich eher in Zurücknahme und Reduktion gefällt als darin, Überraschendes aus dem Stoff hervorzutreiben. Selbst die zahlreichen Degenfecht-Szenen werden in keiner Weise stilisiert, sondern nach „alter Schule“ vorgeführt.

Schon die Musikbegleitung deutet auf „Sparflamme“ hin: eine Art Minimal-Musik vom orgelstimmigen Sythesizer, ein stetes An- und Abschwellen, hier und da mit Geräuschen elektronischer Apokalypse angereichert. Sanfte Bedrohung und ein Hauch von schlechter Ewigkeit.

Auch die Gefühlslage ist kaum einmal leidenschaftlich oder gar hitzig. Es scheint, als sei man unschlüssig, ob man (noch oder wieder) die „ganz großen“ Emotionen riskieren soll und darf. Romeo (Thomas Wittmann) ist kein glühender Liebhaber, sondern ein schlafwandlerischer Jüngling, der gleich in seiner ersten Szene wie zwischen Watte gepackt und wie auf einer Wolke „hereinschwebt“. Ein somnambuler Märtyrer, der nichts bewirken wird. Wenn er plötzlich mit zwei Degen auf Tybalt losstürmt, wirkt dieser Furor wenig glaubhaft. Ähnliches gilt für Capulets unvermittelten Wutausbruch gegen seine Tochter Julia. Auch diese Julia (Micheline Herzog) ist eher ein seelisches Leichtgewicht; sie wird eben erst 14 Jahre alt. Mitleidig und nachsichtig, nicht aufgewühlt sieht man Ihrer Tragödie zu.

Schlüsselfigur dieser Inszenierung ist der Fürst Escalus (hier von einer Frau, Hildegard Kuhlenberg, gespielt). Kein machtvoller Souverän, der die verfeindeten Familien Montague und Capulet zur Versöhnung drängen könnte. Eher schon eine schwarze Klagegestalt, die die offenbar immer schon unvermeidlichen, furchtbaren Ereignisse lediglich schaudernd konstatiert und Strafen nur noch der „Ordnung“ halber zumißt.

Die Versöhnung der Grafen Montague und Capulet angesichts der Selbstmorde Romeos und JUlias wirkt denn auch eher wie eine Pflichtübung. Kurz, beinahe achselzuckend wird der Tod der jungen Liebenden bedauert. Dann gehen die beiden Grafen ab, als wollten sie nunmehr ihre Untaten gemeinsam ins Werk setzen.

Dankbare Nebenrollen: Stefan Hunstein (Mercutio) und Hedi Kriegeskotte (Julias Amme) bekamen den meisten Premierenbeifall. In der Tat schienen die Nebenrollen schlüssiger besetzt als die tragenden Parts.

Fazit: Halbwegs gutes Stadttheater (ohne Herablassung gesagt), aber gewiß keine Aufführung, die den – doch wohl noch vorhandenen? – Bochumer Anspruch einlöst, zu den „ersten“ Häusern der Republik zu gehören.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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