Inszenierung der Familie auf Papier und Leinwand

Von Bernd Berke

Münster. „Familie“ – das Thema beschäftigt alle: vom häuslichen Krach und Frieden bis hin zu den zahllosen Clans, die sich im Fernsehen das Leben sauer machen. Breites Interesse dürfte also der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte sicher sein, die rund 60 „Deutsche Familienbilder des 19. Jahrhunderts“ in Münster versammelt.

„Geborgen und gefangen“, so das Ausstellungsmotto, seien die Menschen im Schoß der Familie, behauptet Angelika Lorenz. Auf der Basis ihrer Doktorarbeit ist die Ausstellung entstanden. Jedoch: Auf den hier gezeigten Gemälden und Graphiken ist von dieser Doppeldeutigkeit der „Familienbande“, ist von Ironie noch wenig zu spüren. Damals galt das innige Zusammenleben der Blutsverwandten eben als naturgemäß und wurde gegen erkünstelte Imponier-Posen des Adels ins Spiel der Geschichte gebracht.

Nein, „gefangen“ wirken sie noch nicht, jene Figuren auf den Kupferstichen Daniel Chodowieckis, die in enger Verschlingung sich dem Privatglück hingeben, während daneben der Junggeselle im trostlos-kahlen Zimmer vor sich hinstiert. Das war damals kaum als Satire gemeint.

Schon im Klassizismus und in der Romantik ist „Natur“ aber nicht mehr selbstverständliches Attribut der Familie, sie muß in immer aufwendigeren Kunst-Kompositionen herbeizitiert werden. Man sieht idealische, wirklichkeitsferne Landschaften, konstruierte Staffagen und darin Menschen, z. B. „Gräfin Fries mit ihren Kindern“ (Josef Abel, 1811), die in ihren familiären Rollenzuweisungen (hier: Mütterlichkeit) heroisiert werden und wie antike Helden wirken.

Im Biedermeier, der „Hoch-Zeit“ der Familienbilder, nähern sich Landschaft und Requisiten zwar wieder der Wirklichkeit, gezeigt wird aber nur noch der enge Bereich um den heimischen Herd. Mit der Bildauswahl lassen sich Entwicklungsthesen belegen: Zum Beispiel die allmähliche Ausgliederung der Arbeitssphäre aus dem Familienbezirk sowie der gesellschaftliche Prozeß, der von der Groß- zur ideologisch hoffnungslos überfrachteten Kleinfamilie führt.

Die Zusammenstellung hat auch ihre „kulinarischen“ Seiten, so etwa Bilder von Ferdinand Georg Waldmüller, die zwar – aus heutiger Sicht – vor falscher Idylle nur so strotzen, aber schlicht und ergreifend perfekt gemalt sind.

Schließlich löst sich die Gattung der Familienbilder auf. Die Triebkräfte sind dabei wohl nicht nur innerkünstlerischer Art, die Bilder spiegeln auch reale Auflösungstendenzen der Institution Familie. Den Schlußpunkt setzt Lovis Corinths „Weihnachtsbaum“ (1913), nur noch eine – die Ungegenständlichkeit streifende – Rückenansicht zweier vereinzelter Kinder inmitten der festlichen Gaben. Hier ist die starre Inszenierung der bürgerlichen Familie mit ihren Symbolen von Natur, Besitz jung Bildung durchbrochen.

Die Ausstellung dauert vom 27. April bis 29. Juni, das Katalogbuch (Dissertation von Angelika Lorenz) kostet 29 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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