Kunst aus dem Flugzeug macht den Himmel zur „unendlichen Leinwand“ – Kassel: Bestandsaufnahme der tollkühnen „Malerei im Äther“

Von Bernd Berke

Kassel. Vor der Kunst kam die Reklame: Anno 1927 war der Himmel über Deutschland voller Werbeflugzeuge, die in Riesen-„Dampf“-Lettern den Namen eines Waschmittels ans Firmament schrieben. Im August desselben Jahres stiegen (laut Bordbuch) sieben Doppeldecker des Düsseldorfer Konzerns auch über dem Ruhrgebiet auf; kaum ein Dorf in Europa blieb verschont. Das Schauspiel setzte die Massen in Erstaunen.

Selbst in Berlin guckte man so verwirrt ins Blaue, das sogar Verkehrsunfälle deswegen passierten. Wie aus den werbenden „Himmelsschreibern“ später „Himmelsmaler“, also Künstler wurden, zeigt jetzt erste größere Bestandsaufnahme überhaupt, eine Ausstellung des Kasseler Kulturamts.

Der Flug zur Kunst ging in den 60er Jahren ab, als man allenthalben die Grenzen des Museums sprengen und sich dem Alltag annähern wollte. Auf der Suche nach einer „unendlichen Leinwand“ durchpflügten etwa die Vertreter der „Land-Art“ ganze Äcker und Wüstenstriche. In diesem Umfeld kam auch die „Sky-Art“ (Himmelskunst) auf. Ältere Ahnen hat diese Kunstrichtung in den Futuristen und deren Bewunderung für grenzenlose Dynamik und Mobilität des Industriezeitalters.

Die mitunter bizarren Kondensstreifen ziviler und militärischer Donnervögel legten die Idee nahe, solche Zeichen ganz bewußt und nach ästhetischem Plan zu entwerfen. Gezeichnete Konzepte, die diese ansonsten sehr flüchtige Kunstrichtung dingfest machen, sind es vor allem, die neben vielem Foto-Dokumenten die Kasseler Schau ausmachen. Aber auch Comics sind zu sehen: Donald Duck, der Teufelskerl, bringt es – „rrroaaarrr!“ – sogar fertig, einen riesigen weißen Delphin ins Blau zu zaubern.

Die echten Himmels-Maler, das leuchtet ein, wollen „Kunst für alle“, wollen eine demokratische Kunst ohne „Schwellenangst“. Was sich „da oben“ künstlerisch tat und tut, ist in der Tat erstaunlich. Alle flugtechnisch denkbaren Figuren und Muster erschienen schon – günstige Wetterlage vorausgesetzt – am Himmel, meist von Piloten nach Künstlerplänen, seltener von tollkühnen Künstlern höchstselbst in den Äther gesetzt. Führend sind (wen wundert’s?) US-Amerikaner wie Steve Poleskie. Immerhin: Bei klarer Sicht will zur Ausstellungseröffhung am Samstag ein Deutscher (Jörg Steber aus Hamburg) seine Schleifen drehen.

Das Monopol auf Farbe haben immer noch die Militärs

Frappierend die Veränderangen, die die Himmelskunst den Bauten und Landstrichen angedeihen läßt. Durch einige richtig plazierte Himmelsstriche wirkt etwa der streng geometrisch abgezirkelte, altehrwürdige Kasseler Auepark samt Orangerie wie eine gigantische Science-Fiction-Landebahn. Oder: Der Schatten, den die dampfende Flugzeugspur zur Erde wirft, wird als „Boden-Zeichnung“ einkalkuliert. Wie Glücksräder lassen sich Steve Poleskies Konzept-Zeichnungen drehen, die gefährliche Kunst-Sturzflug-Situationen über Kasseler Gebäuden erlebbar machen.

Zahlreiche Arbeiten in der von Harald Kimpel aufgebauten Kasseler Ausstellung nehmen kritisch Bezug auf die militärische Durchdringung der Lüfte bzw. auf allfällige Vergitterung des Ausblicks (etwa durch Strommasten). Auch droben, so sieht man, ist die Freiheit eben keineswegs grenzenlos.

Apropos Militär: Luftwaffen wie die französische, die zu hohen Staatsfeiertagen die Farben der Trikolore aus Düsenmaschinen rinnen läßt, haben immer noch das Monopol auf Kolorierung am Himmel. Wie man es anstellt, daß die Farbpartikel sich nicht vom Dampf ablösen und auf entsetzte Zuschauer niederrieseln, haben die Künstler bis heute noch nicht herausbekommen. Einstweilen muß sich all ihre Kunstanstrengung also noch mit der Eigenfarbe des Himmels und draufgetupften Weiß-Effekten begnügen. Die ganz große Entfaltung der „Sky-Art“ steht daher womöglich noch bevor.

Ein Negativ-Kapitel ist der Umweltschutz. Zwar machen die Himmels-Maler inzwisehen ein großes Geheimnis aus der versprühten Mixtur, doch – so argwöhnt Ausstellungsmacher Kimpel – „ganz ohne schädliche Abgase wird es dabei wohl nicht abgehen.

Die originelle und seriöse Ausstellung (Kassel, Ständeplatz 16) dauert vom 9. August bis 14. September und ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Katalog kostet 20 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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