Bühnen-Effekte aus der Trickkiste – Wuppertaler Premiere „Alice im Wunderland“

Von Bernd Berke

Wuppertal. Im Wunderland der Theater-Effekte glaubte man sich zeitweise zu befinden, und das war gar nicht verwunderlich: Auf dem Programm der Wuppertaler Bühnen stand schließlich die Premiere von „Alice im Wunderland“.

John V. Baer und Götz Burger zeichneten für Dramatisierung und Inszenierung der Geschichte verantwortlich. Lewis Carrolls 1864 für ein Kind geschriebene Erzählung ist – wie so vieles, was Kindern in Buchform angedient wird – eigentlich eine hochintellektuelle Spielerei. Da geht es zum Beispiel um Überlappungen von Traum und Wirklichkeit. Mathematik- und Logik-Dozent Carroll konnte sein Metier kaum verleugnen. Sein Welterfolg behandelt – im Gewand des Märchens – Probleme der Wahrnehmung, der Identität und der Erkenntnis, die bisweilen zu aberwitzigem Nonsens vorangetrieben werden.

Sehr zweifelhaft, ob die etwa fünf- bis achtjährigen Kinder, die einen Großteil des Wuppertaler Premierenpublikums ausmachten, sich an solchem philosophischen und psychologischen Stoff laben können. Sie wurden aber durch optische „Zaubereien“, zuweilen an Effekthascherei grenzende Licht- und Kulissenspiele und sehr phantasievolle Kostüme entschädigt. Gerd Rohde (Bühnenbild) und Gralf-Edzard Habben (Kostüme) griffen ganz tief in ihre Trickkiste. Zwisehen stroboskop-zerhackten, unwirklichen Szenen und üppigen Blumenarrangements konnte man sich so richtig sattsehen. Mit der Ausstattung der Szenen hielt man sich eng an die in der Taschenbuchausgabe abgedruckten Illustrationen von John Tenniel.

Die zehnjährige Kirsten Bartholmai in der Titelrolle (sie wird sich im Lauf der Zeit mit Nadine Kettler abwechseln) verband kindliche Spontanität mit erstaunlicher Textsicherheit. Aus dem Ensemble jemanden besonders hervorheben, wäre ungerecht, da die Gruppenszenen mit grotesken Tierfiguren eben auf gemeinsamer Leistung basieren.

Immerhin fiel Michael Wittenborn auf, der als Frosch-Lakai bzw. als Hutmacher sein Talent zur slapstickreifen Darstellung entfaltete. Meist gerieten die Gruppenszenen recht lebendig. Allzu lebendig für manche. Bei einer Tanzeinlage rief ein Junge aus dem Publikum: „Ich dachte, wir wär’n im Theater und nicht in der Disco“.

Lediglich zwei Szenen (die mit dem „ewigen Fünf-UhrTee“ und die mit der „falschen Suppenschildkröte“) zogen sich zäh dahin. Viele Kinder begannen hier unruhig auf ihren Stühlen zu rutschen, manche murrten auch. Die Gesamtspieldauer von zwei Stunden verlangte ihnen eh viel Geduld ab.

Bemerkung am Rande: Das Programmplakat bringt nur reichlich hochgestochene Texte für Erwachsene – vom Essay Christian Enzensbergers bis hin zum Zitat des Surrealisten Breton. Was sollen Kinder, für die diese Aufführung doch gedacht ist, damit anfangen?

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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