Surreale Ästhetik des Untergangs: Perttu Saksas Fotografien vom Raubbau in Afrika

Perttu Saksa ist ein vielfach mit Preisen ausgezeichneter finnischer Foto- und Video-Künstler. In seiner Kunst interessiert er sich vor allem für das schwierige Verhältnis von Mensch und Natur, für die Belastungen der Umwelt durch menschliches Handeln. Seine nicht immer leicht zu entschlüsselnden Arbeiten werden weltweit in Galerien und Museen gezeigt. Jetzt präsentiert er ein Buch mit dem geheimnisvollen Titel „Dark Atlas“. Es enthält eine Auswahl von Fotografien, die bei seinen Reisen durch Afrika entstanden sind.

Im Fokus: Westafrika, vor allem in Nigeria und Togo, Regionen, die wir allzu schnell und mit kolonialem Unterton mit dem Klischee-Begriff „Schwarz-Afrika“ belegen. Der Titel „Dark Atlas“ spielt mit diesen Klischee-Vorstellungen, gibt aber auch einen Hinweis auf Thema und Ästhetik der Foto-Serie, die nichts mit touristischer Neugier zu tun hat, kein fotografisches Tagebuch einer Reise ins „Herz der Finsternis“ ist, die Joseph Conrad einst beschrieb.

Fern von allen Klischees

Auf den Fotos gibt es keine afrikanische Folklore, keine Stammes-Rituale, keinen üppigen Urwald, keine Mega-Citys, kein hektisches Menschen-Gewusel. Nichts, was unser Bild von „Schwarz-Afrika“ ausmacht, wird auf den Fotos irgendwie umkreist, ironisch eingefangen oder sarkastisch entlarvt. Das geheimnisvolle Dunkle ist das „Schwarze Gold“, das Rohöl, das unter katastrophalen Bedingungen gefördert wird. Die Umwelt und alle traditionellen gesellschaftlichen Zusammenhänge werden zerstört.

Gepanschtes Benzin an jeder Straßenecke

Es geht um das Benzin, das von den Bohrfeldern der multinationalen Konzerne von den ausgebeuteten und zu bitterer Armut verdammten Menschen gestohlen wird, die nichts vom Reichtum an Bodenschätzen haben und zu Dieben werden, um überleben zu können. Sie panschen das Benzin zu einer Billig-Ware, verkaufen es an jeder Straßenecke. Das Billig-Benzin, das dort „Kpayo“ heißt und in Kanister, Glas-Behälter und Plastik-Flaschen abgefüllt wird, steht im Zentrum des fotografischen Interesses. „Kpayo“ eröffnet für der Fotografen Gedanken-Räume, um auszuloten, welche Konsequenzen der Raubbau und Hunger nach Energie hat: für Mensch und Natur.

An den Grenzen der Wahrnehmung

Um das Phänomen des geklauten Billig-Benzins und die Auswirkungen des Energie-Raubbaus zu bebildern, wird nicht die unmenschliche Arbeit auf den Bohrfeldern gezeigt, auch nicht die ölverseuchten Flüsse oder die im schwarzen Schlamm verendenden Tiere. Der reale Wahnsinn der Energie-Gewinnung und die spätkapitalistische Zerstörungswut ist genauso fern wie die gesellschaftlichen, politischen, religiösen Verwerfungen in Afrika. Stattdessen erschafft Perttu Saksa surreal anmutende Stillleben, groteske, symbolisch aufgeladene Impressionen, die oft wie abstrakte Malerei aussehen oder wie das Bühnenbild einer rätselhaften Theater-Inszenierung. Er sucht mit der Kamera Licht in der Dunkelheit, konzentriert sich auf Konturen, spielt mit den Grenzen der Wahrnehmung, mit trügerischen Erwartungen.

Keine Analyse, kein Ausweg

Aus dem Halbdunkel schälen sich Umrisse von öligen Kanistern, verkratzten Glas-Behältern und verbeulten Plastik-Flaschen heraus, halb gefüllt mit goldgelb schimmerndem Billig-Benzin. Manchmal geht die Kamera ganz nah heran, tastet kleine Details dieser bizarren Gegenstände ab, nimmt das Auge des Betrachters mit ins Innere der Benzin-Behälter, fast meint man, den Geruch von Benzin in der Nase zu haben und die ätzende Wirkung auf der eigenen Haut zu spüren. Der Fotograf arrangiert und sortiert die Behälter nach Größe, Form und Farbe, erfindet eine ambivalente Scheinwelt aus schön-scheußlichen Sinnes-Täuschungen: hier wird nichts analysiert, keine Problem benannt, kein Ausweg aus dem Kreislauf von Energie-Hunger und Natur-Zerstörung aufgezeigt, sondern es werden ästhetische Pforten der Wahrnehmung geöffnet, Assoziations-Felder, die jeder für sich selbst erkunden, erfahren, erleben, deuten, weiterdenken muss.

Ekel, Tod und Verwesung

Manchmal steht Saksa mit seiner Kamera in einer menschenleeren Landschaft, über einem grauen Fluss ballen sich bedrohliche Wolken zusammen, eine einsame, vom Wind zerzauste Palme behauptet sich gegen das Unwetter. Oder er blickt auf das tiefdunkle Wasser und die an einen einsamen Strand brandenden grünen Wellen des Meeres. Im verwilderten Gestrüpp im Hinterland entdeckt er verlassene Häuser, Fenster und Türen sind entfernt, Hinterlassenschaften einstigen Wohlstandes, jetzt sind überall nur noch modrige Wände, kaputte Fußböden. Einmal sucht sich eine Python-Schlange ihren Weg durch die Ruine, einmal liegt ein toter Vogel auf den Holzdielen, einmal der Schädel eines Tieres. Eine gefangene Eule hockt verängstigt in einem vergitterten Korb, auf einem Foto sieht man die leere Hülle einer verendeten Schildkröte, auf einem anderen abgeschlagene Köpfe von einem Hund und einem Leoparden, zu einem bizarren Kunstwerk übereinander gestapelt. Gewalt und Tod, Ekel und Verwesung liegen in der Luft, man spürt es, aber man sieht nicht, warum das geschieht, wer dafür verantwortlich ist, muss sich selbst einen Reim darauf machen, was das alles bedeuten und wie man das verändern könnte.

Die Apokalypse hat bereits stattgefunden

Kein Mensch, nirgends. Nur auf dem allerletzten Bild sieht man, wie jemand seine Finger unter den Strahl einer goldgelben Flüssigkeit hält, sich mit Billig-Benzin die Hände wäscht und versucht, die schwarzen Öl-Reste von wahrscheinlich irgendeiner illegalen Tätigkeit, dem Stehlen oder Panschen von Benzin zu tilgen. Ansonsten hat man das Gefühl, der Mensch habe es geschafft, sich selbst und die Umwelt komplett zu zerstören. Alles ist menschenleer, die Natur sich selbst überlassen, die Apokalypse hat bereits stattgefunden, jetzt geht es nur noch darum, in der Asche der Energie fressenden kaputten Welt herumzustochern und aus den Ruinen einer Umwelt und Mensch vernichtenden Industriegesellschaft etwas Neues und Besseres aufzubauen.

Der „Dark Atlas“ zeigt uns, in symbolischer Abstraktion und sinnlicher Ästhetik, was die Lust am eigenen Untergang für katastrophale Folgen hat und dass es höchste Zeit und ein drängendes Ziel ist, etwas dagegen zu unternehmen. In Afrika, in Europa. Überall.

Perttu Saksa: „Dark Atlas“. Kehrer Verlag, Heidelberg/Berlin 2022, 96 Seiten, 40 Farbabbildungen, 38 Euro.

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