Alles bergen, was nicht vergessen werden soll: „Papyrus. Die Geschichte der Welt in Büchern“

Als Marcus Antonius in Ägypten ankam, war Rom zwar das Zentrum des größten Reiches im Mittelmeerraum. Aber eigentlich war es nur ein Labyrinth aus schlammigen Gassen. In Alexandria gab es hingegen Paläste, Tempel, Denkmäler – und eine Bibliothek, in der das Wissen der Welt gespeichert und dem Vergessen entrissen wurde.

Marcus Antonius, vom Wunsch beseelt, seiner Geliebten Kleopatra, die Sinnlichkeit und Kultur auf einzigartige Weise verkörperte, ein besonderes Geschenk zu machen, entschied sich für etwas, was die ägyptische Herrscherin nicht mit gelangweilter Mine zur Kenntnis nehmen konnte: Er ließ ihr 200.000 Bände für die Bibliothek zu Füßen legen, denn: „In Alexandria waren Bücher Treibstoff für Leidenschaften.“

Auch das Internet ist eine Bibliothek

Die spanische Autorin Irene Vallejo kennt viele solcher Legenden und Anekdoten, Mythen und Märchen, die sich um Politik und Sex, Geschichte und Literatur drehen, die eine Hymne auf das Buch singen und eine „Geschichte der Welt in Büchern“ erzählen. Das Buch, das viele Formen annehmen und aus Stein und Ton, Schilf und Seide, Leder und Holz gefertigt sein kann, ist zu einem Artefakt der Verständigung und einem Hort des Wissens geworden, hat sich im Laufe der Jahrtausende bewährt, ist unser „Verbündeter in einem Krieg, der in keinem Geschichtsbuch steht“: dem „Kampf um die Bewahrung unserer wertvollsten Schöpfung: der Worte, die kaum mehr als nur ein Lufthauch sind; der Fiktionen, die wir erfinden, um dem Chaos einen Sinn zu geben und in ihm zu überleben.“

Das Gerede vom Aussterben der Bücher, die durch elektronische Geräte ersetzt werden, entlockt Irene Vallejo nur ein müdes Gähnen. In „Papyrus“, ihrer abenteuerliche Reise durch das Universum der Bücher und Bibliotheken, in der Homer und Seneca, Sappho und Aristophanes genauso ihren Platz finden wie Paul Auster und Stefan Zweig, Mary Shelley und Annie Ernaux, sagt sie mit mildem Lächeln, dass das Internet auch nichts anderes ist als eine große Bibliothek, in der sich nur zurechtfindet, wer die Pfade kennt und die Zeichen deuten kann.

Eine Erfindung, die sich nicht mehr verbessern lässt

Eine Bibliothek ist für Vallejo der „Zufluchtsort, an dem wir all das bergen, was wir zu vergessen fürchten. Die Erinnerung der Welt. Ein Damm gegen den Tsunami der Zeit.“ Sie hält es mit Umberto Eco, der meinte, das Buch sei „ein technisch vollendetes Meisterwerk (wie der Hammer, das Fahrrad oder die Schere), das sich, soviel man auch erfinden mag, nicht mehr verbessern lässt.“ Seit die alten Ägypter entdeckten, dass sich aus den am Nilufer wachsenden Schilfhalmen Material zur Beschriftung fertigen ließ und sich die Papyrus-Rolle wunderbar eignete, um mit Feder und Tinte Gedanken zu fixieren (und nicht mehr umständlich in Stein oder Ton zu ritzen), war der Siegeszug des Buches nicht mehr aufzuhalten.

Alexander, der von Makedonien auszog, die Welt zu erobern, schlief stets mit einer Ausgabe von Homers „Ilias“ und einem Dolch unterm Kissen. Sein Verlangen nach dem Abwesenden und Unerreichbaren trieb ihn von einer Schlacht und einer eroberten Region zur nächsten. An Ägyptens Küste, wo sich Sand und Meer trafen und nichts außer Ödnis war, entschied er, eine neue Stadt zu bauen und eine Bibliothek, in der das Wissen der Welt vereint werden sollte. Dass heute niemand mit Gewissheit sagen kann, wie sie gebaut war und was sie beherbergt hat, ist eine andere Geschichte. Auch davon handelt Vallejos Buch. Eine Hommage, so spannend wie ein Abenteuerroman.

Irene Vallejo: „Papyrus. Die Geschichte der Welt in Büchern“. Aus dem Spanischen von Maria Meinen und Luis Ruby. Diogenes Verlag, Zürich, 746 Seiten, 28 Euro.

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